Werkblatt
- Zeitschrift für
Psychoanalyse und Gesellschaftskritik
Die von Wilhelm Reich (vor allem in den Jahren 1927-1937) entwickelten
Theorien, die ihn schließlich aus der "Psychologie" überhaupt
hinausführten,1 habe ich im Hinblick auf die Freudsche Aufklärung
diskutiert.2 Der revolutionäre Arzt ersann anstelle der "talking cure"
mit ungewissem Ausgang eine " Technik" - die "Charakteranalyse" -, die
es ihm ermöglichen sollte, Neurosepatienten in kurzer Frist zu der
("naturgegebenen") Endstufe ihrer libidinösen Entwicklung, zur "Genitalität"
zu führen. Die von "prägenitalen Beimischungen" gereinigte Genitalität
erschien ihm als eine wahre Panazee zur Heilung von Individuum und Gesellschaft,
als Garant des individuellen Glücks und als Triebfeder der Sozialrevolution.
Dies aber ist heute nicht mein Thema.
Zu dem hier vorgestellten Band, der der Aufklärung des "Falles"
Reich dient,3 habe ich eine Kritik an einem ersten Versuch zu einer Geschichte
der Psychoanalyse in Deutschland - in den Jahren 1933-19514 - beigesteuert.5
Diese "Geschichte" erscheint mir als ein typisches Produkt des psychoanalytischen
Psychologismus, der (unbeschadet der Kritik Otto Fenichels6) infolge der
Abkapselung der mainstream-Psychoanalyse von den übrigen Sozialwissenschaften
zur charakteristischen Ideologie der meisten psychoanalytischen Autoren
geworden ist. Was die Autorin zu ihrer aufwendigen Rekonstruktion veranlaßt
hat, ist die beunruhigende Frage, welche Folgen die Vertreibung der Mehrheit
der deutschen und österreichischen Psychoanalytiker aus ihren Bildungszentren
Berlin und Wien durch die Nationalsozialisten für die psychoanalytischen
Organisationen, für das Selbstverständnis der Psychoanalytiker
und für die Weiterentwicklung ihrer Theorien hatte. Die Antwort auf
diese Frage stand freilich für die Verfasserin der "Geschichte", die
über ein größeres Material verfügte als andere Autoren,
die sich bisher mit den Schicksalen der Psychoanalyse in Deutschland beschäftigt
haben, von vornherein fest: "Die Psychoanalyse habe (jedenfalls als Organisation)
die Geschichte der dreißiger und vierziger Jahre überlebt, wenn
auch von "Gravuren" (Lockot, S.9) gezeichnet.
Um zu dieser überaus schlichten Anwort auf eine überaus interessante
Frage zu kommen und diese Antwort auch in der Konfrontation mit den "Quellen"
durchzuhalten, bedurfte es eines bestimmten Interpretationsrahmens, dessen
Konstituentien ich kurz charakterisieren möchte:
- Die Geschichte der psychoanalytischen Intellektuellen-Organisation
wird nicht als eine besondere Konfiguration der Sozialgeschichte der dreißiger
und vierziger Jahre verstanden - also als deren Mikrokosmos -, sondern
"aus sich selbst", wobei die Zeitgeschichte nur mehr den unscharf gehaltenen
Hintergrund der Vereinsgeschichte abgibt. In den bibliographischen Angaben
zu dieser Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland sucht man daher vergeblich
nach zeitgeschichtlichen Darstellungen.
- Jeder Vergleich mit den Schicksalen anderer, nicht-psychoanalytischer
Intellektuellengruppierungen der dreißiger und vierziger Jahre unterbleibt.
- Das von den main-stream-Psychoanalytikern und Verbandsfunktionären
entwickelte Selbstverständnis, ihre Rechtfertigungsideologien und
ihre "Geschichtsschreibung" in eigener Sache werden im wesentlichen akzeptiert.
"Heterodoxe" Quellen (ob Reich, ob Fenichel...) werden prinzipiell nicht
berücksichtigt. Ebenso wenig aktuelle Kontroversen um die Geschichte
der Psychoanalyse (S.12).
- Eine Auseinandersetzung mit der in den dreißiger und vierziger
Jahren produzierten psychoanalytischen Literatur fehlt. Das heißt:
Die Geschichte eines internationalen Intellektuellenvereins wird ohne Berücksichtigung
der von ihnen entwickelten Theorien geschrieben. Die Frage nach der Prägung
dieser Theorien durch die geschichtlichen Erfahrungen der Theoretiker kann
darum nicht einmal aufgeworfen werden.
- Die Autorin ist ängstlich besorgt, ein eigenes Urteil über
die von ihr geschilderten Personen und Handlungen zu vermeiden. Darum möchte
sie die Dokumente - die freilich von ihr ausgewählt und in etwa 400
Zitate zerlegt worden sind, die sie dann wieder zu einer "Geschichte" montierte
- für sich selbst sprechen lassen (S.11), die Psychoanalyse-Geschichte
sich selber schreiben lassen (S.20), nach Möglichkeit hinter all'
den Zitaten verschwinden...
Die eigentümliche Konstruktion dieser ersten Geschichte der Psychoanalysen
in Deutschland verdankt sich der Vereinsloyalität ihrer Autorin. Was
immer die Dokumente "sagen" mögen: die apologetische Tendenz geht
darüber hinweg. Der seltsame Titel des Buches (das Bruchstück
eines Zitats aus einem Brief Freuds an Max Eitingon) verrät es: Hier
ging es wirklich um eine Art "Reinigung" der Psychoanalyse, um den Versuch,
sie vor der Geschichte zu retten, vor einer Geschichte, die auch eine Verfallsgeschichte
der Freudschen Psychoanalyse ist.
Der (stillschweigende) Ausschluß Wilhelm Reichs aus der ("arisierten")
DPG im Jahre 1933, der 1934, auf dem 13. Internationalen Kongreß
der Psychoanalytiker in Luzern, von der IPV sanktioniert wurde, wirft ein
Schlaglicht auf die Verfassung der psychoanalytischen Organisationen in
den dreißiger Jahren und bietet einen Schlüssel zum Verständnis
ihrer späteren Schicksale. Wir wissen heute, was Reich nicht wußte,
daß nämlich Freud selbst seit Januar 1932 auf den Ausschluß
dieses "bolschewistischen" Störenfrieds hinarbeitete, weil er fürchtete,
sein Lebenswerk, die organisierte Psychoanalyse, werde, sofern sie als
antifaschistische Bürgerkriegspartei aufträte, vernichtet werden,
und weil er hoffte, sie könne, politisch neutralisiert ("fleischfarben"),
eventuell überleben. Diese Weichenstellung hat die Psychoanalyse in
Deutschland und Osterreich nicht vor "Arisierung" und "Gleichschaltung"
bewahrt. Aber sie ist zu einem "essential" der psychoanalytischen Verbandstradition
geworden. "Orthodoxie" schließt seither den antisoziologischen Psychologismus
in der Theorie und das Jasagen zum politischen und kulturellen Status quo
in der Praxis ein.
In der "Reinigung der Psychoanalyse" wird der Ausschluß Reichs
einfach ausgespart. Die Autorin muß darum dazu auch nicht Stellung
nehmen. Was für ihr Buch im ganzen gilt, bestätigt sich auch
hier: Sie hat alle Materialien in der Hand, die es ihr ermöglichen
würden, die Frage nach dem Hergang und der Bedeutung des Ausschlusses
von Reich aus den Reihen der Freudianer zu beantworten. Und sie verzichtet
darum auf die Reproduktion der immer wieder erneuerten, alten Verbandslegende,
ein Ausschluß Reichs habe gar nicht stattgefunden, dieser sei vielmehr
"freiwillig ausgetreten". Doch sie versagt sich ein eigenes Urteil, das
sie mit ihrer Verbandsloyalität nicht in Einklang zu bringen wüßte.
Der erste Versuch, eine Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland
(in den Jahren 1933-1951) zu schreiben, ist mißlungen; das Buch von
Lockot ist nur ein "Steinbruch", eine problematische Materialsammlung.
Wir brauchen aber eine Geschichte der Psychoanalyse in ihrem sozialen Kontext,
eine Geschichte der Verbandstreuen und ihrer Opponenten der Orthodoxen
und der Dissidenten dieser den Verfall der Freudschen Aufklärung,
ihre Entpolitisierung, das heißt: ihre Reduktion auf eine Psychotechnik,
verständlich macht.
Anmerkungen:
1 Reich, W. (1994): Jenseits der Psychologie; Briefe und Tagebücher
1934-1939, Köln 1996.
2 Libido und Gesellschaft, Frankfurt (Suhrkamp) 1973 (2. erw. Aufl.
1982).
3 Fallend, K. und B. Nitzschke (1997): Der 'Fall' Wilhelm Reich. Beiträge
zum Verhältnis von Psychoanalyse und Politik. Frankfurt (Suhrkamp).
4 Lockot, R. (1994): Die Reinigung der Psychoanalyse. Die Deutsche
Psychoanalytische Gesellschaft im Spiegel von Dokumenten und Zeitzeugen
(1933-1951). Tübingen (edition discord).
5 "Psychoanalytiker in Deutschland 1933-1951. Ein unglückseliger
Verein und eine Geschichte, die sich nicht selber schreibt." In: Fallend
und Nitzschke (Hg.): (1996} aaO. (vgl. Anm. 3), S 167-189.
6 Fenichel, 0. ( 1953/54): Aufsätze, Bd.1 und II, hg. von K. Laermann.
Olten und Freiburg i. Br. 1979 und 1981.