Werkblatt - Zeitschrift für 
Psychoanalyse und Gesellschaftskritik


Brief von Sigmund Freud an Otto Rank
23.7.1924

Ich bin wirklich in den Monaten seit unserer Trennung noch weiter von der Zustimmung zu Ihren Neuerungen abgekommen, an meinen Fällen nach den zwei zu Ende geführten nichts gesehen was dazu stimmt und überhaupt nichts anderes als was ich schon wußte; die finale Geburtsphantasie scheint mir immer noch das Kind zu bedeuten, das man dem Vater analytisch schenkt. Ich mache mir oft große Sorge um Sie. Die Ausschaltung des Vaters in Ihrer Theorie scheint mir doch allzusehr den Einfluß persönlicher Momente aus Ihrem Leben, die ich zu kennen glaube, zu verraten, und mein Argwohn steigt, daß Sie dies Buch nicht geschrieben hätten, wenn Sie selbst durch eine Analyse gegangen wären. So möchte ich Sie sehr bitten, sich nicht zu fixieren, sich einen Rückweg offen zu lassen.

Brief von Otto Rank an Sigmund Freud
New York 8.9.1924

Lieber Herr Professor,
Der indirekte Vorwurf, den Sie mir wegen meines Nichtschreibens machen veranlaßt mich, im Zusammenhang mit Ihrer ganz eindeutig ablehnenden Haltung gegenüber meiner Auffassung Ihnen heute schon zu sagen, was ich mir eigentlich bis zu meiner Rückkehr aufheben wollte. Umsomehr als ich den Eindruck habe, daß Sie aus bestimmten Gründen wissen wollen, woran Sie eigentlich mit mir sind, um die Situation zu klären, was auch ich wünsche, da ich sie in ihrer gegenwärtigen Form für unhaltbar ansehe.
Nun Tatsache ist, daß es mir genau so ergangen ist wie Ihnen Ihrerseits; ich habe nämlich während meiner ganzen Arbeit hier die sehr vielseitig und interessant ist, täglich und stündlich nichts als Bestätigungen und sogar Ergänzungen meiner Auffassung gefunden, die übrigens auch hier bereits von verschiedenen Seiten bestätigt wird. Zufällig hatte ich erst in den letzten Tagen wieder Gelegenheit zu sehen, wie die Phantasie, dem Vater ein Kind zu schenken, nicht anders als durch Zurückführung auf die Mutter und die eigene Geburt analytisch zu lösen und therapeutisch fruchtbar zu machen ist. Im übrigen sehe ich gar nicht ein, warum Sie soviel Wert auf die finale Geburtstheorie legen, die therapeutisch und theoretisch bei weitem nicht so wichtig ist als die Grundauffassung, daß die Übertragungslibido eine rein mütterliche ist und die Angst, die allen Symptomen zu Grunde liegt, ursprünglich an das mütterliche Genitale geknüpft war und erst sekundär auf den Vater übertragen wurde. Wenn sie das Übertragungsphänomen vom Vater aus deuten, dann bekommen Sie beim Mann die homosexuelle Fixierung als Resultat der Analyse, was tatsächlich bei allen Fällen, die von anderen Analytikern zu mir kommen, der Fall ist. Die Analytiker unter diesen Patienten haben das auch sowohl subjektiv als objektiv gefühlt, subjektiv, da sie nichts von ihrer Neurose verloren haben, objektiv, da sie mit dieser Technik ihre eigenen Patienten nicht heilen konnten. Und dies liegt nicht an den Menschen hier, die nicht besser oder schlechter als die in Europa sind, sondern an den Mängeln der Methode und Technik. Als die Leute sahen, daß sie mit den von mir angegebenen Modifikationen leichter arbeiten und bessere Resultate - sowohl in ihrer eignen Analyse als auch mit ihren Patienten - erzielen, haben sie mich wie einen Erlöser gepriesen. Ich bin nicht so verblendet um von diesen Erfolgen nicht ein gut Stück als komplexbedingt abzuziehen, aber was übrig bleibt, ist ein Stück Wahrheit und Wirklichkeit, das man durch Schließen der Augen nicht aus der Welt schaffen kann. Ich habe den bestimmten Eindruck, daß Sie gewisse Dinge nicht sehen wollen oder sehen können, denn manchmal klingen Ihre Einwendungen so, als hätten sie gar nicht gelesen oder gehört, was ich eigentlich gesagt habe. (Ich erinnere Sie nur daran, daß ich Sie aufmerksam machen konnte, daß Sie Ferenczi und mir etwas imputieren wollten, was wir gar nie behauptet hatten; es war gerade das Gegenteil.) Auch jetzt wieder sprechen Sie davon, daß ich den Vater ausgeschaltet hätte; das ist natürlich nicht der Fall und kann gar nicht sein, wäre ja Unsinn. Ich habe nur versucht, ihm den richtigen Platz anzuweisen. Sie bringen da offenbar die persönlichen Beziehungen zwischen Ihnen und mir hinein, wo sie gar nicht hingehören. In diesem Zusammenhang hat mich ganz sonderbar berührt, daß gerade Sie mir vorhalten, ich hätte diese Auffassung nie vertreten, wenn ich analysiert worden wäre. Dies mag wohl sein. Die Frage ist nur, ob das nicht sehr bedauerlich gewesen wäre. Ich kann das jedenfalls nach allem, was ich von Resultaten an analysierten Analytikern gesehen habe, nur als ein Glück bezeichnen. Im übrigen wissen Sie so gut wie ich, daß der Vorwurf, eine Erkenntnis stamme aus einem Komplex, erstens überhaupt sehr wenig bedeutet, zweitens aber gar nichts über Wert oder Wahrheitsgehalt dieser Erkenntnis aussagt. Umso weniger als eben die Psa gezeigt hat, daß gerade die größten Leistungen aus Komplexen und deren Überwindung resultieren. Während ich dies schreibe empfinde ich es schmerzlich, daß durch eine wissenschaftliche Divergenz, über die man doch glauben wollte ernsthaft diskutieren zu können, ein Mißton in unsere persönliche Beziehungen gekommen ist. Bis zu einem gewissen Grade ist das aber wohl in allen menschlichen Beziehungen unvermeidlich. Ich glaube aber aus Ihrem Briefe zu hören, daß Ihre persönlichen Gefühle für mich noch die alten sein könnten. Umso tiefer muß ich es bedauern, daß Sie mir sachlich so wenig Gerechtigkeit widerfahren lassen können. Ich bin z.B. fest davon überzeugt, daß Sie eine ganz unrichtige Vorstellung davon haben, wie ich die psa. Technik ausübe. Ich habe eigentlich gar nichts davon aufgegeben, sondern nur etwas hinzugefügt, was ich allerdings für sehr wichtig halte und was auch andere bereits für unerläßlich zum Verständnis der Fälle und zu ihrer therapeutischen Beeinflussung betrachten. Ich weiß nicht inwieweit ich mich noch der Hoffnung hingeben darf, Ihnen einmal an Fällen zeigen zu können, was ich leisten kann. Jedenfalls ist es mehr und Besseres als zu jener Zeit, wo Sie selbst noch sehr hoch von meinen therapeutischen Leistungen sprachen.
Ich weiß auch nicht in wie weit sich Ihr Urteil oder Vorurteil gegen meine Auffassung von einigen vorlauten Schreiern hat beeinflussen lassen, die das unwiderstehliche Bedürfnis zu haben scheinen, sich von Zeit zu Zeit zu Rettern der Psa oder Ihrer Person aufzuwerfen, ohne zu sehen, daß sie dabei nur ihrer kindlichen Eifersucht die Zügel schießen lassen. So muten mich auch die neuesten Berliner Pläne und Verschwörungen, von denen ich höre, in ihrer Geste so läppisch an und sind einer wissenschaftlichen Bewegung so unwürdig, daß ich hoffe auch Sie werden dafür nicht viel übrig haben. Ich möchte wissen, was damit eigentlich erzielt werden soll. Will man mich aus meinen offiziellen Stellungen verdrängen, an die ich bis jetzt nicht durch Ehrgeiz, sondern durch Pflicht und Sorge und Arbeit gebunden war, so kann man das ganz ohne Hintertreppenpolitik erreichen, wenn Sie dies für wünschenswert halten sollten. Will man meine Auffassung widerlegen, so braucht man erst recht dazu kein Intrigenspiel anzustellen. Je mehr Licht dabei herrscht, desto angenehmer kann es mir sein, denn desto deutlicher wird die profunde Ignoranz von Leuten wie Abraham u.a. zu Tage treten. Glauben Sie denn wirklich, Herr Professor, daß mir ein Argument von einem Abraham Eindruck machen wird, wenn ich in dieser Sache selbst an Ihrem Urteil irre geworden bin. Aber ich glaube, den Leuten kommt es viel mehr auf das Intrigieren selbst als auf das Erreichen bestimmter Ziele an. Hier ist aber gerade der Punkt, wo ich nicht mitspielen werde, wenn die Karten nicht auf beiden Seiten aufgedeckt werden. Denn man kann doch wohl kaum erwarten, daß ich mich nach den Erfahrungen mit dem seligen Komité noch einmal auf eine ähnliche Geschichte mit Konzessionen und Kompromissen einlasse, angeblich im Interesse der psa Bewegung, in Wirklichkeit aber im persönlichen Interesse der Beteiligten, die wohl wissen, wie leicht man sich bei dem vergnüglichen Schauspiel eines Autodafes die eigenen Finger verbrennen kann. Sie werden mir vielleicht sagen, ich befinde mich in einem Irrtum; Abraham ist im Gegenteil zum Frieden bereit etc. Das ist ja eben die Heuchelei, gegen die ich mich wehre, daß man im Interesse der Sache angeblich Opfer bringt, die keinem etwas nützen, sondern die Bewegung, für die sie angeblich gebracht werden, zugrunde richten. Vergessen wir nicht, daß die psa Bewegung als solche eine Fiktion ist. Keine Fiktion sind die Menschen die eine Bewegung machen und für die Menschen, die jetzt am Werk sind in psa Bewegung zu machen, habe ich offen gestanden gar nichts übrig.
Wie Sie sehen sage ich Ihnen meine Stellung zu der ganzen Sache so offen als man es nur kann, weil ich darin die letzte Hoffnung sehe, die Situation, die ja auch für Sie selbst schon schwierig geworden ist - da Sie verschiedenen Personen gegenüber eine verschiedene Stellung zu meinen Aufstellungen einnehmen müssen - möglichst bald zu klären. Auch fühle ich, daß Sie persönlich ein Recht darauf haben, in dieser kritischen und persönlich so schmerzlichen Situation zu erfahren, was ich wirklich denke und fühle.
Ich habe mich sehr gefreut, von Ihnen selbst zu hören, daß Sie mit Ihrem Befinden zufrieden sind; wenn man der Psychologie des Dementis trauen darf so wird dieses gute Befinden noch recht lange anhalten.
Mit den besten Empfehlungen an Ihre Familie und herzlichen Grüßen an Sie selbst
bin ich
Ihr ergebener
Rank