Werkblatt
- Zeitschrift für
Psychoanalyse und Gesellschaftskritik
Ich bin wirklich in den Monaten seit unserer Trennung noch weiter von der Zustimmung zu Ihren Neuerungen abgekommen, an meinen Fällen nach den zwei zu Ende geführten nichts gesehen was dazu stimmt und überhaupt nichts anderes als was ich schon wußte; die finale Geburtsphantasie scheint mir immer noch das Kind zu bedeuten, das man dem Vater analytisch schenkt. Ich mache mir oft große Sorge um Sie. Die Ausschaltung des Vaters in Ihrer Theorie scheint mir doch allzusehr den Einfluß persönlicher Momente aus Ihrem Leben, die ich zu kennen glaube, zu verraten, und mein Argwohn steigt, daß Sie dies Buch nicht geschrieben hätten, wenn Sie selbst durch eine Analyse gegangen wären. So möchte ich Sie sehr bitten, sich nicht zu fixieren, sich einen Rückweg offen zu lassen.
Brief von Otto Rank an Sigmund Freud
New York 8.9.1924
Lieber Herr Professor,
Der indirekte Vorwurf, den Sie mir wegen meines Nichtschreibens machen
veranlaßt mich, im Zusammenhang mit Ihrer ganz eindeutig ablehnenden
Haltung gegenüber meiner Auffassung Ihnen heute schon zu sagen, was
ich mir eigentlich bis zu meiner Rückkehr aufheben wollte. Umsomehr
als ich den Eindruck habe, daß Sie aus bestimmten Gründen wissen
wollen, woran Sie eigentlich mit mir sind, um die Situation zu klären,
was auch ich wünsche, da ich sie in ihrer gegenwärtigen Form
für unhaltbar ansehe.
Nun Tatsache ist, daß es mir genau so ergangen ist wie Ihnen
Ihrerseits; ich habe nämlich während meiner ganzen Arbeit hier
die sehr vielseitig und interessant ist, täglich und stündlich
nichts als Bestätigungen und sogar Ergänzungen meiner Auffassung
gefunden, die übrigens auch hier bereits von verschiedenen Seiten
bestätigt wird. Zufällig hatte ich erst in den letzten Tagen
wieder Gelegenheit zu sehen, wie die Phantasie, dem Vater ein Kind zu schenken,
nicht anders als durch Zurückführung auf die Mutter und die eigene
Geburt analytisch zu lösen und therapeutisch fruchtbar zu machen ist.
Im übrigen sehe ich gar nicht ein, warum Sie soviel Wert auf die finale
Geburtstheorie legen, die therapeutisch und theoretisch bei weitem nicht
so wichtig ist als die Grundauffassung, daß die Übertragungslibido
eine rein mütterliche ist und die Angst, die allen Symptomen zu Grunde
liegt, ursprünglich an das mütterliche Genitale geknüpft
war und erst sekundär auf den Vater übertragen wurde. Wenn sie
das Übertragungsphänomen vom Vater aus deuten, dann bekommen
Sie beim Mann die homosexuelle Fixierung als Resultat der Analyse, was
tatsächlich bei allen Fällen, die von anderen Analytikern zu
mir kommen, der Fall ist. Die Analytiker unter diesen Patienten haben das
auch sowohl subjektiv als objektiv gefühlt, subjektiv, da sie nichts
von ihrer Neurose verloren haben, objektiv, da sie mit dieser Technik ihre
eigenen Patienten nicht heilen konnten. Und dies liegt nicht an den Menschen
hier, die nicht besser oder schlechter als die in Europa sind, sondern
an den Mängeln der Methode und Technik. Als die Leute sahen, daß
sie mit den von mir angegebenen Modifikationen leichter arbeiten und bessere
Resultate - sowohl in ihrer eignen Analyse als auch mit ihren Patienten
- erzielen, haben sie mich wie einen Erlöser gepriesen. Ich bin nicht
so verblendet um von diesen Erfolgen nicht ein gut Stück als komplexbedingt
abzuziehen, aber was übrig bleibt, ist ein Stück Wahrheit und
Wirklichkeit, das man durch Schließen der Augen nicht aus der Welt
schaffen kann. Ich habe den bestimmten Eindruck, daß Sie gewisse
Dinge nicht sehen wollen oder sehen können, denn manchmal klingen
Ihre Einwendungen so, als hätten sie gar nicht gelesen oder gehört,
was ich eigentlich gesagt habe. (Ich erinnere Sie nur daran, daß
ich Sie aufmerksam machen konnte, daß Sie Ferenczi und mir etwas
imputieren wollten, was wir gar nie behauptet hatten; es war gerade das
Gegenteil.) Auch jetzt wieder sprechen Sie davon, daß ich den Vater
ausgeschaltet hätte; das ist natürlich nicht der Fall und kann
gar nicht sein, wäre ja Unsinn. Ich habe nur versucht, ihm den richtigen
Platz anzuweisen. Sie bringen da offenbar die persönlichen Beziehungen
zwischen Ihnen und mir hinein, wo sie gar nicht hingehören. In diesem
Zusammenhang hat mich ganz sonderbar berührt, daß gerade Sie
mir vorhalten, ich hätte diese Auffassung nie vertreten, wenn ich
analysiert worden wäre. Dies mag wohl sein. Die Frage ist nur, ob
das nicht sehr bedauerlich gewesen wäre. Ich kann das jedenfalls nach
allem, was ich von Resultaten an analysierten Analytikern gesehen habe,
nur als ein Glück bezeichnen. Im übrigen wissen Sie so gut wie
ich, daß der Vorwurf, eine Erkenntnis stamme aus einem Komplex, erstens
überhaupt sehr wenig bedeutet, zweitens aber gar nichts über
Wert oder Wahrheitsgehalt dieser Erkenntnis aussagt. Umso weniger als eben
die Psa gezeigt hat, daß gerade die größten Leistungen
aus Komplexen und deren Überwindung resultieren. Während ich
dies schreibe empfinde ich es schmerzlich, daß durch eine wissenschaftliche
Divergenz, über die man doch glauben wollte ernsthaft diskutieren
zu können, ein Mißton in unsere persönliche Beziehungen
gekommen ist. Bis zu einem gewissen Grade ist das aber wohl in allen menschlichen
Beziehungen unvermeidlich. Ich glaube aber aus Ihrem Briefe zu hören,
daß Ihre persönlichen Gefühle für mich noch die alten
sein könnten. Umso tiefer muß ich es bedauern, daß Sie
mir sachlich so wenig Gerechtigkeit widerfahren lassen können. Ich
bin z.B. fest davon überzeugt, daß Sie eine ganz unrichtige
Vorstellung davon haben, wie ich die psa. Technik ausübe. Ich habe
eigentlich gar nichts davon aufgegeben, sondern nur etwas hinzugefügt,
was ich allerdings für sehr wichtig halte und was auch andere bereits
für unerläßlich zum Verständnis der Fälle und
zu ihrer therapeutischen Beeinflussung betrachten. Ich weiß nicht
inwieweit ich mich noch der Hoffnung hingeben darf, Ihnen einmal an Fällen
zeigen zu können, was ich leisten kann. Jedenfalls ist es mehr und
Besseres als zu jener Zeit, wo Sie selbst noch sehr hoch von meinen therapeutischen
Leistungen sprachen.
Ich weiß auch nicht in wie weit sich Ihr Urteil oder Vorurteil
gegen meine Auffassung von einigen vorlauten Schreiern hat beeinflussen
lassen, die das unwiderstehliche Bedürfnis zu haben scheinen, sich
von Zeit zu Zeit zu Rettern der Psa oder Ihrer Person aufzuwerfen, ohne
zu sehen, daß sie dabei nur ihrer kindlichen Eifersucht die Zügel
schießen lassen. So muten mich auch die neuesten Berliner Pläne
und Verschwörungen, von denen ich höre, in ihrer Geste so läppisch
an und sind einer wissenschaftlichen Bewegung so unwürdig, daß
ich hoffe auch Sie werden dafür nicht viel übrig haben. Ich möchte
wissen, was damit eigentlich erzielt werden soll. Will man mich aus meinen
offiziellen Stellungen verdrängen, an die ich bis jetzt nicht durch
Ehrgeiz, sondern durch Pflicht und Sorge und Arbeit gebunden war, so kann
man das ganz ohne Hintertreppenpolitik erreichen, wenn Sie dies für
wünschenswert halten sollten. Will man meine Auffassung widerlegen,
so braucht man erst recht dazu kein Intrigenspiel anzustellen. Je mehr
Licht dabei herrscht, desto angenehmer kann es mir sein, denn desto deutlicher
wird die profunde Ignoranz von Leuten wie Abraham u.a. zu Tage treten.
Glauben Sie denn wirklich, Herr Professor, daß mir ein Argument von
einem Abraham Eindruck machen wird, wenn ich in dieser Sache selbst an
Ihrem Urteil irre geworden bin. Aber ich glaube, den Leuten kommt es viel
mehr auf das Intrigieren selbst als auf das Erreichen bestimmter Ziele
an. Hier ist aber gerade der Punkt, wo ich nicht mitspielen werde, wenn
die Karten nicht auf beiden Seiten aufgedeckt werden. Denn man kann doch
wohl kaum erwarten, daß ich mich nach den Erfahrungen mit dem seligen
Komité noch einmal auf eine ähnliche Geschichte mit Konzessionen
und Kompromissen einlasse, angeblich im Interesse der psa Bewegung, in
Wirklichkeit aber im persönlichen Interesse der Beteiligten, die wohl
wissen, wie leicht man sich bei dem vergnüglichen Schauspiel eines
Autodafes die eigenen Finger verbrennen kann. Sie werden mir vielleicht
sagen, ich befinde mich in einem Irrtum; Abraham ist im Gegenteil zum Frieden
bereit etc. Das ist ja eben die Heuchelei, gegen die ich mich wehre, daß
man im Interesse der Sache angeblich Opfer bringt, die keinem etwas nützen,
sondern die Bewegung, für die sie angeblich gebracht werden, zugrunde
richten. Vergessen wir nicht, daß die psa Bewegung als solche eine
Fiktion ist. Keine Fiktion sind die Menschen die eine Bewegung machen und
für die Menschen, die jetzt am Werk sind in psa Bewegung zu machen,
habe ich offen gestanden gar nichts übrig.
Wie Sie sehen sage ich Ihnen meine Stellung zu der ganzen Sache so
offen als man es nur kann, weil ich darin die letzte Hoffnung sehe, die
Situation, die ja auch für Sie selbst schon schwierig geworden ist
- da Sie verschiedenen Personen gegenüber eine verschiedene Stellung
zu meinen Aufstellungen einnehmen müssen - möglichst bald zu
klären. Auch fühle ich, daß Sie persönlich ein Recht
darauf haben, in dieser kritischen und persönlich so schmerzlichen
Situation zu erfahren, was ich wirklich denke und fühle.
Ich habe mich sehr gefreut, von Ihnen selbst zu hören, daß
Sie mit Ihrem Befinden zufrieden sind; wenn man der Psychologie des Dementis
trauen darf so wird dieses gute Befinden noch recht lange anhalten.
Mit den besten Empfehlungen an Ihre Familie und herzlichen Grüßen
an Sie selbst
bin ich
Ihr ergebener
Rank