Karl Mätzler, Dr.phil. arbeitet als Psychoanalytiker in freier
Praxis und in der Sexualberatungsstelle Salzburg. Als einer, der die Entwicklung
der "Werkstatt für Gesellschafts- und Psychoanalyse" von der Gründung
bis zur Auflösung miterlebt und mitgestaltet hat, versucht er Gedanken
und Thesen zu formulieren, die eine Diskussion über Ursachen und Hintergründe
der Auflösung, sowie deren Verwobenheit mit der psychoanalytische
Kultur Salzburgs anregen könnten. |
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Mittlerweile gibt es eine reichhaltige Palette an Literatur, die sich
kritisch mit den Institutionalisierungsprozessen konventionell organisierter
Psychoanalyse auseinandersetzt sowie deren Verkrustung und Unveränderbarkeit
beklagt. Es gehört mittlerweile schon zum guten Ton, die kritischen
Stimmen von Anna Freud und Siegfried Bernfeld, bis herauf zu Paul Parin
und Johannes Cremerius, um die Bekanntesten zu nennen, wohlwollend zu zitieren,
während sich in den traditionellen psychoanalytischen Organisationen
jedoch kaum Veränderungen feststellen lassen. Von einer verstärkten
kulturkritischen oder gar politischen Arbeit kann keine Rede sein. Ganz
im Gegenteil. Die Ausbildungsstrukturen sind nach wie vor von Machtmißbrauch
und Infantilisierung geprägt - in Österreich noch zusätzlich
durch die gesetzliche Verankerung eines autoritär verschulten Zeugnissammelsystems
zementiert. Auch die zaghaften Versuche, der kritischen Position mehr Struktur
und Einfluß zu geben, sind mehr oder weniger im Sand verlaufen.(1)
Ein Grund, warum diese Kritik in so geringem Ausmaß praktische Relevanz
erlangt hat, liegt meines Erachtens darin, daß sie so sehr in einer
anklagenden Haltung bestehender Verhältnisse verhaftet blieb, bzw.
vorrangig die Veränderung der Institutionen von innen her im Auge
hatte. Demgegenüber waren und sind die Versuche psychoanalytischer
Institutionalisierung unabhängig von konventionellen Verbänden
relativ selten. (2) So lassen sich
auch kaum Erfahrungsberichte und Analysen neuer, ungewöhnlicher Wege
finden. Diese wären jedoch für eine fruchtbare Veränderung
psychoanalytischer Organisationen von großer Wichtigkeit. Deshalb
ist eine Analyse der Erfahrungen der Salzburger "Werkstatt für Gesellschafts-
und Psychoanalyse" nicht nur von lokalem Interesse, sondern kann auch für
das Verständnis anderer Zusammenhänge von Psychoanalytikern von
Nutzen sein. [65]
Dabei möchte ich folgende These aufstellen: In jeder Institution
entwickeln sich, auf Grund ihrer Entstehungsgeschichte, sozialen Zusammensetzung,
ökonomischen Zwänge und der sie umgebenden politischen Verhältnisse
spezifische mehr oder weniger neurotische Störungen, die sich meist
in rigiden internen Strukturen, Ausbildung von Ideologien und einer Bereitschaft
zu Verfolgungsängsten äußern. Natürlich ist es so,
daß Institutionen, bzw. die Individuen aus denen sie bestehen, grundsätzlich
unbewußte Strukturen produzieren. Die Frage kann also nicht sein,
wie die Produktion von Unbewußtheit grundsätzlich vermieden
werden kann, sondern vielmehr in welchem Ausmaß dies geschieht und
wie flexibel damit umgegangen wird, bzw. wie starr und rigide die entsprechende
Abwehrstruktur sein muß. Wenn man von dem Anspruch ausgeht, daß
Psychoanalytiker ihr Handwerkszeug auch auf ihre eigene Profession anwenden
sollen, so müßte sich auch für jeden psychoanalytischen
Mikrokosmos, also in jeder psychoanalytischen Organisation, eine auf Grund
ihrer Geschichte und sozialen Zusammensetzung spezifische unbewußte
Struktur analysieren lassen. Da ein solches Unterfangen nur mit Hilfe zahlreicher
Selbstentblößungen möglich ist, die die Größen-
und Allmachtswünsche in Frage stellen, ist damit auch eine große
Angst vor vermeintlichen Angriffen diverser Gegner verbunden. Eine weitere
Schwierigkeit stellt die Abschottung der meisten psychoanalytischen Verbände
nach außen dar, die eine solche sozialpsychologische Untersuchung
durch Außenstehende erschwert und gleichzeitig einen Teil der Abwehrstruktur
darstellt. Auch in diesem Fall besteht die Schwierigkeit darin, daß
ich selbst maßgeblicher Exponent in Entstehungsgeschichte und aktuellen
Konflikten, also selbst Mitproduzent der zu untersuchenden unbewußten
Strukturen bin. Mein Versuch einer Analyse kann deshalb nicht frei sein
von blinden Flecken und verschiedenen libidinösen und aggressiven
Wünschen. Die Stimmigkeit einer solchen "Selbstanalyse" wird sich
also erst im Austausch mit anderen erweisen. [66]
Ein Projekt "selbstautorisierter" Psychoanalyse
Die Besonderheit der Salzburger "Werkstatt für Gesellschafts- und
Psychoanalyse" lag darin begründet, daß sie weder als Abspaltung
von einer traditionellen psychoanalytischen Vereinigung, noch als Neugründung
von etablierten Psychoanalytikern, sondern als Zusammenschluß psychoanalytisch,
studentischer "Laien" entstanden ist. Anfang der 80-er Jahre, als spätes
Kind der 68-er Protestbewegung und als Alternative zur psychoanalysefeindlichen
Universität von unzufriedenen Psychologiestudenten gegründet,
entwickelte sie sich im Laufe der Jahre zu einer psychoanalytischen Forschungs-
und Ausbildungsstätte, deren Arbeitsweise kaum von formalen, äußeren
Zwängen bestimmt war. Vielmehr entstanden Aktivitäten aus den
konkreten Bedürfnissen der jeweils engagierten Personen und konnten
sich so als verändernd-eingreifende psychoanalytische Methode prozeßhaft
entwickeln. (3) Diese "ursprüngliche"
und "freie" Art psychoanalytischer "Aus"-Bildung, die sich nicht auf die
Rezeption und pädagogisierender Weitergabe von Theorien und Praxiserfahrungen
beschränkt, sondern die Psychoanalyse als Instrument des - auch politischen
- Handelns und Verstehens erfahrbar macht, bekam mit dem neuen österreichischen
Psychotherapiegesetz eine völlig neue Dynamik, an deren Auswirkungen
ich im Folgenden einiges an Erkenntnissen über die unbewußt,
neurotische Struktur dieser "usprünglichen" Institution im besonderen,
sowie über die Schwierigkeiten mit den psychoanalytischen Organisationen
im allgemeinen, zeigen möchte.
Die Anfänge eines klinischen Ausbildungsprojektes mit dem Ziel
der Ausübung des Berufes des Psychoanalytikers reichen in der Werkstatt
bis ins Jahr 1986 zurück. Nach Beendigung ihres Studiums entstand
damals bei einigen Personen der Bedarf nach einer fundierten klinisch-psychoanalytischen
Ausbildung. Da die bisherigen Erfahrungen mit der Selbstorganisation des
psychoanalytischen Studiums sehr ermutigend gewesen waren, wurde diese
Tradition auch in der klinischen Ausbildung fortgesetzt.
Die ersten Diskussionen waren von einer relativ breiten Basis innerhalb
der Werkstatt getragen. Schließlich entstand eine erste Ausbildungsgruppe
aus einem Zusammenschluß von Personen, die für sich beschlossen
hatten, miteinander zu arbeiten und gemeinsam darüber zu entscheiden,
wer in die Gruppe aufgenommen wird und wer nicht. Diese Konkretisierung
[67] des Ausbildungsinteresses und des Ausbildungssettings durch eine begrenzte
Anzahl von ca. acht Personen führte bereits zu massiven Unmutsäußerungen
innerhalb der Werkstatt. Kritisiert wurde vor allem die selbstgewählte
Abgeschlossenheit der Gruppe, die keine freie Teilnahme ermöglichte,
sowie die grundsätzliche professionelle Orientierung auf den Beruf
des klinischen Psychoanalytikers. Diese Abwendung von der Orientierung
als studentische Ausbildungsalternative hin zu einem mehr berufspraktisch
orientierten Anwendungsinteresse kam damals dem Bruch eines Tabus gleich.
Es galt fast als Sakrileg, den Wunsch zu haben, selbst ein Psychoanalytiker
werden zu wollen, wie er als angepaßtes, unpolitisches Subjekt ständig
bekämpft wurde. So hatten auch klinische Themen bis dahin im Veranstaltungsprogramm
der Werkstatt kaum eine Rolle gespielt. Schon ein Jahr zuvor war die Gründung
der Sexualberatungsstelle als klinisches Standbein der Werkstatt aus ähnlichen
Gründen auf massiven Widerstand gestoßen. Da es aber immer einen
Konsens darüber gegeben hatte, sich bildenden Interessensgruppen einen
Entfaltungsraum zu geben, waren sowohl Sexualberatungsstelle, als auch
Ausbildungsgruppe nicht zu verhindern. Allerdings war das Mißtrauenspotential
sehr groß. Nach zwei bis drei Jahren war die erste Gruppe soweit
etabliert, daß sich eine zweite Ausbildungsgruppe hinzugesellen konnte.
Nachdem die einzelnen Teilnehmer der ersten Gruppe nach Inkrafttreten des
österreichischen Psychotherapiegesetzes im Jahr 1991 im Rahmen der
Übergangsregelungen in die Liste der Psychotherapeuten eingetragen
worden waren (allerdings ohne die Zusatzbezeichnung "Psychoanalyse"), konnten
in den Jahren 1992 und 1993 auch noch einige Teilnehmer der zweiten Gruppe,
aber auch "gruppenlose" Mitglieder unter Berufung auf absolvierte Werkstattveranstaltungen
eine Eintragung erreichen. Damit stand die Perspektive einer möglichen
gesetzlichen Anerkennung eines Ausbildungsganges in der Werkstatt auf Grund
der bereits vorhandenen Ausbildungs- und Anerkennungsrealität im Raum.
Auf diesem Hintergrund fand sich auch noch eine dritte Gruppe zusammen.
In Zahlen ausgedrückt ergab das ein Ausbildungsseminar mit ca. 20-25
Personen plus einiger weiterer Interessenten. Also eine durchaus beachtliche
Größe.
Nach einem Grundsatzbeschluß der Generalversammlung, eine solche
Anerkennung anzustreben, wurde innerhalb eines Jahres nach langen Diskussionen
mit allen Beteiligten ein ausführliches Ausbildungskonzept offiziell
eingereicht. (4) Danach mußten
intern die organisatorischen Voraussetzungen für die Durchführung
des Konzepts geschaffen werden. Es war [68] geplant, mit der Gründung
eines "Ausbildungsseminars", als unabhängiger Unterorganisation der
Werkstatt, einerseits den öffentlich zugänglichen, "freien" psychoanalytischen
Ort Werkstatt zu erhalten, um andererseits den gesetzlich geforderten Rahmenbedingungen
trotzdem gerecht werden zu können. Eine solche "Aufteilung" hätte
jedoch plötzlich eine interne "Ungleichheit" geschaffen. Schließlich
mußte eine Seminarleitung gewählt werden, deren Aufgabe es gewesen
wäre, die gesetzlich vorgegebenen Strukturen zu gewährleisten
und die erforderlichen Entscheidungen zu treffen. Dazu kam es jedoch nicht
mehr, da sich ein intensiver Streit an der Frage des Aufnahmeverfahrens
von neuen Ausbildungsteilnehmern entzündete, der sich nicht lösen
ließ. Die "berüchtigten" Aufnahmegespräche stellten schon
lange einen der zentralen Kritikpunkte an den etablierten Verbänden
dar. Trotzdem kam die Vorbereitungsgruppe, auch abgesehen von den gesetzlichen
Vorgaben, nach langen Diskussionen zu der Auffassung, daß eine geregelte
Aufnahme in irgend einer Weise stattfinden sollte. Um einen Machtmißbrauch
und jene rein "physiognomische" Entscheidungen zu verhindern, wurden verschiedene
wählbare Verfahren erdacht, die dem Bewerber möglichst viele
Freiheiten lassen sollten, bis hin zur Möglichkeit eine eigene begründete
Verfahrensmodalität vorschlagen zu können. Trotz dieses Versuches,
der Aufnahmeform eine interessante Auseinandersetzungsperspektive zu geben,
konnte dieser Punkt von vielen nicht akzeptiert werden. Damit war das Projekt
einer klinischen Ausbildung in der Werkstatt auf Grund einer fehlenden
Mehrheit beendet.
Die Frage ist nun weniger wer recht hatte, sondern warum ausgerechnet
um diese Frage ein solch erbitterter Kampf geführt wurde, der letztlich
eine Einigung verhinderte. Mir scheint, daß sich an der Frage des
Aufnahmeverfahrens etwas Grundsätzliches entladen hat, das durch die
Erfahrung der plötzlichen Ungleichheit schmerzlich bewußt geworden
war. Nämlich, daß die Zeiten der geschwisterlichen "Gleichheit"
in der Werkstatt endgültig vorbei sein könnten. Als spätes
Kind der 68-er Protestbewegung hat die Werkstatt auch ganz spezifische
unausgesprochene Ideologien entwickelt, wie etwa jene der antiautoritären
Haltung, die notwendige Struktur und Autorität (im Sinne von Wissen)
mit der Ausübung von Gewalt und Machtmißbrauch verwechselt und
damit das Kind mit dem Bade ausschüttet. Es müssen daher alle
gleich sein, es darf niemand mehr Autorität erlangen als andere, es
dürfen daher auch keine Generationen entstehen. Die Stimmigkeit dieser
These zeigt sich auch an zwei wesentlichen Phänomenen innerhalb der
Werkstatt, die ich im Folgenden genauer betrachten möchte. [69]
Das "Verschwinden" als Symptom
Autorität bedeutet in der real existierenden Psychoanalyse vor
allem klinische Autorität. In der Geschichte der Werkstatt sind alle
"klinischen" Projekte bei ihrer Gründung massiv kritisiert und bekämpft
worden, bzw. kurz vor oder nach ihrer Etablierung verhindert oder ausgegrenzt
worden. Das deutet darauf hin, daß die Autorität der klinischen
Anwendung auch in ihrer Ablehnung vorhanden war. Sie konnte nicht als wichtiger
Teil psychoanalytischer Kompetenz und Autorität akzeptiert werden,
sondern mußte im Gewand der Angst vor einer drohenden Übermacht
der "Kliniker", die die Sozialforscher verdrängen könnten, als
Ganzes bekämpft werden. Die tatsächliche Realität in der
Werkstatt hat jedoch vielmehr in einer starken Tendenz zur Verhinderung
jeder klinischen Praxis (5) und
Ausbildung (6) auf der einen und
einer nicht existierende psychoanalytisch-sozialwissenschaftlichen Praxis
auf der anderen Seite bestanden.
Dieses "Verschwinden" klinischer Praxis hatte auf einer anderen Ebene
eine Entsprechung. In der Geschichte der Werkstatt sind mit auffälliger
Häufigkeit diejenigen Personen, die sich qualifiziert und autorisiert
haben auf verschiedene Weise immer verschwunden. Auch wenn sich dafür
je individuell Erklärungen finden lassen, muß man trotzdem von
einem kollektiven Phänomen oder einem Symptom mit fatalen Folgen sprechen.
Ich denke, daß es sich hier um einen generations- und werkstattspezifischen
Wiederholungszwang handelt, den es aufzuklären gilt.
-
Jene Personen, die nach dem Tod von Igor Caruso (7)
Autoritätsfunktionen übernehmen hätten können (z.B.
ein Teil der früheren Assistenten Carusos oder lokale Psychoanalytiker)
konnten oder wollten diese nicht wahrnehmen oder mußten ihre berufliche
Zukunft in andere Städte verlagern.
-
Fachliche Autoritäten wurden fast immer aus dem Ausland geholt, waren
also nur kurzfristig verfügbar. Die Autoritäten vor Ort waren
höchstens als reale oder phantasierte Gegner, mit denen man sich besser
nicht an einen Tisch setzte, zu gebrauchen. Erst als manche "Werkstättler"
ihre persönlichen Analysen bei ansässigen Analytikern begonnen
hatten oder konkrete Arbeitskontakte (z.B. Supervision) geknüpft wurden,
konnte die Berührungsangst etwas abgebaut werden.
-
Die Herausbildung eigener "Autoritäten", die sich nach Studienabschluß
aus dem geschwisterlichen Kreis zu etablieren versuchten, wurde z.B. bei
der Gründung von Sexualberatungsstelle und Ausbildungsgruppe massiv
behindert. [70]
-
Die meisten praxisorientierten Mitglieder haben ihr Ausbildungsinteresse,
ihre Zeit und ihr Engagement anderswo untergebracht und sind damit mehr
oder weniger für die Werkstatt als tragende Elemente "verschwunden".
-
Das Ausbildungsprojekt scheiterte nicht zuletzt an der mangelnden Beteiligung
derjenigen Leute, die von ihrer Kompetenz und ihrem Selbstbewußtsein
her in der Lage gewesen wären, einem solchen Unterfangen Tragfähigkeit
zu geben.
-
Die fehlende Etablierung sozialwissenschaftlicher Kompetenz in einem Verein
mit gesellschaftsanalytischem Anspruch ließ auch "Autoritäten"
in die Privatinitiative oder an andere Institutionen abwandern.
-
Jene (bemerkenswert zahlreichen) Personen in und um die Werkstatt, die
sich auf die Erforschung der Geschichte der Psychoanalyse spezialisiert
haben, arbeiten alle mehr oder weniger vereinzelt oder in anderen Institutionen
und haben meines Erachtens mit zu wenig Nachdruck versucht, ihre Erkentnisse
in eine lebendige Diskussionskultur einzubringen bzw. zu einer solchen
beizutragen oder z.B. ein Forschungsinstitut zur Geschichte der Psychoanalyse
zu gründen.
Die "vaterlose" Werkstatt - Gesellschaft
Mich beschäftigt dieses "Verschwinden" von Autoritätsfiguren
seit langem in Bezug auf meine eigene Sozialisationsgeschichte vor, mit
und um die Werkstatt. Es dürfte wohl ein spezifisches Merkmal der
Nachkriegsgenerationen sein, Väter, Mütter, Familien zu haben,
die in ihrer Auseinandersetzungbereitschaft oder Sozialisierungsfunktion
nur partiell oder gar nicht verfügbar waren, also tendenziell nicht
vorhanden oder sich verflüchtigend, verschwindend waren. Auch auf
der Universität fanden sich solche Figuren nur marginal. Es war naheliegend,
den Mangel in solidarisch, geschwisterlicher Form als Familien- und Autoritätsersatz
auszugleichen. Es war wohl die bestmögliche Form. Die Identifikation
mit einem kranken und gestorbenen Caruso war nahezu ideal, weil sie auch
der Angst vor einer konkreten Auseinandersetzung mit einer Autorität
entgegenkam. Mit einem lebenden und lehrenden Caruso hätten Identifikation
und solidarischer Zusammenschluß nie so gut funktionieren können.
Die Tatsache, daß er dann auch noch starb und keinen würdigen
Nachfolger hinterließ, war nahezu ein "Glücksfall". Sonst hätte
es die Werkstatt wohl nie gegeben. [71] So gesehen haben 14 Jahre Werkstatt
vermutlich das bestmögliche aus der Situation gemacht und sicherlich
sehr viel bewirkt. Andererseits scheint damit auch ein Wiederholungszwang
in Gang gesetzt worden zu sein, den es zu verstehen gilt. Autoritäten
waren zwar erwünscht, wurden auch geholt (z.B. aus dem Ausland) und
selbst produziert, aber auf der anderen Seite immer wieder in die Flucht
geschlagen, damit die alte Situation erhalten blieb.
Dieser Wiederholungszwang des "Verschwindens" ist auch im Zusammenhang
mit dem oben beschriebenen Klima des Mißtrauens und der Verfolgungsangst
zu sehen. Verfolgungsangst kann nur dadurch gemildert werden, daß
alle Objekte, die zu potentiellen Verfolgern oder Vertreibern werden könnten,
unschädlich gemacht werden. Jede Rivalität zwischen Geschwistern
oder mit Autoritäten wird dann schnell zum Existenzkampf. Eine fruchtbare
Rivalität ist in der Werkstatt letztlich nur in besonderen Enklaven
möglich gewesen.
Die Existenzangst rührt meines Erachtens daher, daß die
Werkstatt neben den legitimen Kindern Carusos, dem "Arbeitskreis" (8)
und den "Kinderanalytikern" (9),
sozusagen ein illegitimes Kind Carusos war, das den Vater gar nie aus der
Nähe gekannt hat, der sich also auch nie zu seinem Kind bekennen konnte.
Das illegitime Kind mußte ständig Angst haben, nicht zur Kenntnis
genommen zu werden und lief ständig Gefahr, abgelehnt oder vertrieben
zu werden, wenn es in den anerkannten Familienverband aufgenommen werden
wollte. Zu dieser institutionell unbewußten Struktur sind auch nur
solche Menschen gestoßen, die mit ihrer individuell unbewußten
Struktur dazu gepaßt haben, bzw. wurde sie von solchen Menschen auch
gemacht, die auf Grund ihrer persönlichen Sozialisationsgeschichte
ähnliche Hintergründe der Existenzangst haben. Aus dieser unbewußten
Struktur entstand eine Ideologie oder ein institutionalisiertes Über-Ich,
das mit rigiden Verboten arbeiten mußte, um ein Eintreten in die
konkret praktizierte Rivalität mit den legitimen Geschwistern zu verhindern.
Das führte jedoch zu einer ständigen Tendenz, das eigenen Fortkommen
zu behindern und mündete letztlich in einer Art Selbstbestätigung
in der Selbstzerstörung, der Bestätigung der Ablehnung und fehlenden
Existenzberechtigung. Die Symptome des Weggehens, der zunehmenden Reduzierung
auf Formalitäten und des Klimas von Mißtrauen, sind in diesem
Zusammenhang zu sehen. Um Mißverständnisse zu vermeiden: Aus
dieser Analyse läßt sich nicht zwangsläufig ableiten, daß
die Werkstatt nur in Form der Anerkennung als Ausbildungsverein ein legitimes
Kind werden hätte können. [72] Das Problem ist vielmehr, daß
es offenbar nicht möglich war, eine wirklich autonome Existenzberechtigung
zu erlangen, wie immer diese auch ausgesehen hätte.
Inszenierung von Anerkennung und Ablehnung im Feld lokaler Psychoanalyse (10)
Diese Problem von Anerkennung und Ablehnung als unbewußt, neurotischer
Struktur, hat im sozialen Feld der österreichischen und speziell der
Salzburger Psychoanalyse seine offenbar notwendige Entsprechung auf der
Seite der etablierten Kollegenschaft in Form von verschiedenen Arten der
Ablehnung bzw. des "nicht ernst Nehmens" der Werkstattaktivitäten
auf einer ganz realen Ebene:
-
mit der bei Psychoanalytikern verbreiteten Abstinenz in sozialpolitischen
Fragen, (11) waren die österreichischen
und besonders die Salzburger Psychoanalytiker in den Jahren 1979-1982 nicht
dazu in der Lage, die Anliegen der Studenten um die Erhaltung der Psychoanalyse
auf der Salzburger Universität zu unterstützen und damit ernst
zu nehmen. Das war ein wesentlicher Grund warum die lokalen Psychoanalytiker
als Autoritäten schwer akzeptiert werden konnten, weil sie als solche
in ihrer sozialen Kompetenz versagt hatten.
-
Die seit 15 Jahren regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen
der Werkstatt mit Psychoanalytikern und Sozialwissenschaftlern aus der
ganzen Welt werden bis heute von der Mehrzahl der ortsansäßigen
Analytiker nicht besucht. So auch bei der zuletzt stattgefundenen Tagung
der Sexualberatungsstelle anläßlich des 10-jährigen Bestehens. (12)
-
Die Beschäftigung mit der kulturkritischen Seite der Psychoanalyse
als einem Hauptanliegen der Werkstatt wird von manchen zwar anerkennend
wahrgenommen, aber nicht eigentlich als psychoanalytisch angesehen, sondern
vielmehr als eine Art interessanter Freizeit- und Nebenbeschäftigung.
-
Zwei der drei PsychoanalytkerInnen, die sich für eine supervisorische
und inhaltliche Begleitung der Ausbildungsgruppen zur Verfügung gestellt
hatten, waren schließlich nicht bereit, ihre Wertschätzung der
Arbeit auch auf die Unterstützung des offiziellen Ansuchens um Anerkennung
auszudehnen. [73]
-
Nachdem mir selbst vom Psychotherapiebeirat (13)
auf
Grund meiner Ausbildung in der "Werkstatt" die Zusatzbezeichnung "Psychoanalyse"
zuerkannt worden war, sah sich der Leiter des Salzburger Arbeitskreises
genötigt, einen offiziellen Protestbrief an den Beirat zu senden.
Ein Lehranalytiker, der bereit gewesen war, mir ein Gutachten über
die Gleichwertigkeit meiner Ausbildung zu erstellen, sah sich in der Folge
Anfeindungen aus der Kollegenschaft ausgesetzt. Es war also offenbar für
den "Arbeitskreis" nicht möglich, zumindest ein gesetzlich festgelegtes
Recht, das ich wahrgenommen hatte, anzuerkennen.
Ein solches "soziales Versagen" von Psychoanalytikern - hier sind die Salzburger
sicherlich keine Ausnahme -, ist auch als kulturhistorisches Phänomen
im Zusammenhang mit der "vaterlosen Gesellschaft" und dem allgemeinen "Versagen"
von Autoritäten während und nach dem Nationalsozialismus zu sehen.
Die Bearbeitung der historischen und sozialen "Skotomisierung" der Auswirkungen
des Nationalsozialismus in ihrer Bedeutung für das Sozialverhalten
der Psychoanalytiker und für die Entwicklung der Psychoanalyse der
Nachkriegszeit, wie sie in Deutschland seit den 70-er Jahren diskutiert
wird (vgl. Wangh 1996), steckt in Österreich noch in den Kinderschuhen.
Die Probleme der Werkstatt, eingebettet in die psychoanalytische Kultur
Salzburgs, können meines Erachtens nicht losgelöst von diesem
Hintergrund verstanden werden. [74]
Die reale Ebene der Entwertung wurde im Laufe der Anerkennungsbestrebungen
durch eine, auf der anderen Seite auch zutreffendeVariante bereichert,
die in etwa folgenden Inhalt hatte: Indem die Leute aus der Werkstatt ihre
Ausbildung nicht im "Arbeitskreis" machen würden, sondern über
eine eigene Ausbildung, würden sie sich die ödipale Auseinandersetzung
mit einer älteren Generation ersparen wollen.
Dieser Einwand ist auf dem Hintergrund meiner vorigen Überlegungen
natürlich bedenkenswert und auch richtig, spart jedoch aus, daß
es genügend "vernünftige, unneurotische" Gründe gibt, die
für die Etablierung einer alternativen Ausbildungsform als fruchtbare
Konkurrenz für das bisherige Monopol sprechen. Weiters verharrt dieser
Einwand in einer Position der noblen Abstinenz, die so tut, als ob eine
Ausbildungsinstitution nur als Übertragungsfolie für vorhandene
und potentielle Kandidaten dienen würde. Man kann ihn jedoch auch
als Übertragungsreaktion auf die "Werkstättler" zu verstehen
versuchen. Dann ergibt sich leicht ein ganz anderes Bild. Wäre es
nicht möglich, daß die Aufregung darüber, daß die
ödipale Auseinandersetzung vermieden werden soll, eigentlich einem
verborgenen eigenen Wunsch entspricht? Die von der Aufrechterhaltung der
sozialpolitischen "Abstinenz" überanstrengten und ihre entsprechenden
sozialen, libidinösen und aggressiven Bedürfnisse zurückhaltenden
Psychoanalytiker vermuten neidvoll, daß die spritzig protestierenden
und Neues ausprobierenden Werkstättler sich die Konfrontation mit
den Autoritäten ersparen wollen, weil sie das selber gerne tun würden
aber nicht können.
So wird die Übertragungsreaktion wiederum als Entwertung agiert,
statt verstanden und z.B. in eine wohlwollende Unterstützung umgewandelt.
Die etablierte Institution stilisiert sich so zum autoritär-vernichtenden
Urvater, der die "reine" Psychoanalyse vertritt, alles unter Kontrolle
haben muß und keinerlei Konkurrenz zulassen kann. Da dieser Umstand
schließlich keinem Verständnis mehr zugänglich ist, hält
sie ihre Mitglieder in einer kontrollierenden Abhängigkeit, die ödipale
Auseinandersetzung friert sozusagen unter erheblichem Energieaufwand in
der institutionellen Hierarchie und in zwanghafter Bürokratie ein. (14)
Das führt z.B. dazu, daß eine bestimmte Generation von jüngeren
Analytikern mit einem "fortschrittlichen" Bewußtsein die mögliche
Konkurrenz aus der Werkstatt infantilisieren muß, illegitim halten
muß, um die eigene Abhängigkeit von der kontrollierenden Institution
nicht bewußt werden zu lassen, um das Ideal der eigenen Fortschrittlichkeit
unbefleckt bewahren zu können, und um den Alleinvertretungsanspruch
für die "reine" Lehre der Psychoanalyse besser zementieren zu können.
[75]
Wie notwendig eine solche Zementierung sein mag, wird deutlicher wenn
man sich vor Augen hält, daß Caruso selbst aus dem von ihm begründeten
Arbeitskreis auf Grund eines Konflikts um die eklektizistischen Tendenzen
mancher Mitglieder ausgetreten war. So gesehen ist auch der "Arbeitskreis"
ein verstoßenes Kind. Die Bedeutung dieses "schlechten" Vaters Caruso
für die gesamte psychoanalytische Kultur in Salzburg darf also nicht
unterschätzt werden und wäre eine genauere Betrachtung wert.
So gesehen könnte es auch sein, daß viele "Arbeitskreisler"
in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der "Werkstatt" eigentlich
den "schlechten" Vater Caruso nachträglich bekämpft haben.
In diesem Zusammenhang ist die These von Ulrike Körbitz interessant,
daß in der "Werkstatt" Abwehrmechanismen der Spaltung in gut-böse
und der Projektion vorherrschen würden, die auf die Spaltung Carusos
in einen Theologen, Kliniker und Gesellschaftskritiker zurückzuführen
seien. Der Verdacht liege nahe, daß dies auch im "Arbeitskreis" der
Fall sei. Diese Teilobjekte Carusos, die er selbst zu Lebzeiten nie richtig
integrieren konnte, würden in den verschiedenen psychoanalytischen
Organisationen Salzburgs repräsentiert: Für den Priester und
Kliniker sei der Arbeitskreis zuständig, für den Gesellschaftskritiker
die Werkstatt. So gesehen wäre der Versuch einer Ausbildungsanerkennung,
als ein Integrationsbemühen der abgespaltenen Teile zu verstehen.
In den Diskussionen um die Ausbildung war immer klar, daß die
Frage des Umgangs mit Autorität, Macht und Kontrolle eines der zentralen
Probleme der Werkstatt war. Ebenso, daß einer Auseinandersetzung
mit Autoritäten gar nicht ausgewichen werden kann. Das ist keine Frage
der institutionellen Zugehörigkeit. War nicht das Betreiben der Anerkennung
als psychoanalytische Ausbildunsginstitution selbst schon eine intensive
Auseinandersetzung mit der etablierten älteren Generation? Vor allem
in der konkreten praktischen Arbeit gab es in Teilbereichen der Werkstatt
sehr wohl seit vielen Jahren eine intensive Auseinandersetzung mit Autoritäten.
Über den Einwand der "Ersparnis" wird auch leicht vergessen, daß
die "Vaterlosigkeit" tatsächlich ein großes Problem darstellt
und mitnichten etwas damit zu tun hat, sich etwas "ersparen" zu wollen,
so als wollte man etwas geschenkt bekommen. Die Erfahrung der letzten Jahre
hat gezeigt, daß ohne das soziale Netz der offiziellen "Anerkennung"
im Gegenteil entweder unendlich viel geleistet werden muß, um vor
dem kritischen Auge der übermächtig phantasierten "Väter"
und "Mütter" als illegitimes Kind [76] bestehen zu können oder
daß die "reine Psychoanalyse" in der Vermeidung jeglicher Institutionalisierung
glorifiziert wird und damit ganz reale menschliche Probleme wie Inzestwünsche,
Kastrationsängste, Konkurrenz, Neid, Eifersucht, Existenzängste
etc., wie sie in jeder Sozietät zwangsläufig vorkommen, vermieden
werden sollen. Die Tendenz zur "Unerreichbarkeit von Autorität" bzw.
"Vermeidung von Autorität" war eben die für unsere Institution
spezifische Art des ödipalen Konflikts, der in Teilbereichen sehr
wohl auch verändert werden konnte. Traditionelle psychoanalytische
Institutionen wie der Salzburger Arbeitskreis haben offenbar eine andere
Art, die von außen betrachtet darin bestehen könnte, die ödipalen
Energien ihrer Mitglieder durch erhöhten Anpassungsdruck intern zu
binden und dadurch die Autonomie ihre Mitglieder zu behindern. (15)
Letztlich geht es jedoch darum, wie flexibel eine Institution diesen
"Einfrierungen" oder unhinterfragbaren Ritualisierungen ihrer institutionsspezifischen
Störungen begegnen kann, vermeidbar sind sie nach meiner Meinung auch
durch noch so viel "Freiheit", "Selbstautorisierung" und "Entinstitutionalisierung"
nicht. Die Frage ist vielmehr, wie damit umgegangen wird. Letztlich spielt
auch hier der Gewinn aus Sozialstatus und ökonomischer Absicherung,
den die Mitgliedschaft mit sich bringt, eine entscheidende Rolle dabei,
inwieweit eine Institution ihre Mitglieder disziplinieren und damit ihre
unbewußten Strukturen unhinterfragt lassen muß. Wäre dies
nicht der Fall, so müßte die Geschichte der Psychoanalyse noch
wesentlich stärker von Auflösungen und Neugründungen geprägt
sein, als sie es tatsächlich schon war.
Nicht die Institution ist neurotisch, sondern ihre Mitglieder
Das Projekt einer möglichst freien psychoanalytischen Diskussions-
und Bildungsstätte, das auch über viele Jahre gut funktionierte,
hat nun mit der Auflösung der Werkstatt ein Ende gefunden. Was bleibt,
sind die zahlreichen Erfahrungen mit den Produktionsprozessen von Unbewußtheit
auch in einer "alternativen" Institution und die Erkenntnis, daß
die Kritik an der Unbewußtmachung institutioneller Zwänge, wie
sie an den etablierten Verbänden geübt wurde, im Prinzip genauso
auf eine Einrichtung wie die Werkstatt anzuwenden ist. Um dies zu veranschaulichen
möchte ich Karl Fallend zitieren. Er schreibt als Resumee am Ende
des Kapitels "Kritische Aspekte zur Psychoanalyse als Institution und Profession":
[77]
"Die Institution als sozialer Ort setzt Verdrängung in Gang und
hält sie auch aufrecht, um den Status quo zu sichern. Sie ist auf
die Konservierung bestehender Verhältnisse ausgerichtet. Alles, was
diese Stabilität gefährden könnte, muß verdrängt,
unbewußt gemacht werden, ergreift daher auch Wahrnehmungen und Phantasien,
die diese Stabilität in Frage stellen. Stabilität erzeugt Sicherheit,
infantile Sicherheit, womit Institutionen auch eine wesentliche Entlastungsfunktion
zukommt, da sie vor beunruhigendem Chaos schützen. So ist eben der
Widerspruch nicht aufzulösen, wenn eine Institution mit straffer Organisationsstruktur
dem eigentlichen Anspruch der Psychoanalyse, nämlich unbewußt
Gewordenes wieder zu entdecken und verfügbar zu machen, entgegenwirkt." (16)
Diese theoretische Analyse der Verfaßtheit etablierter Psychoanalyse
paßt auch sehr gut auf die Werkstatt. Was das konkret heißt,
habe ich oben versucht zu analysieren: Die "Vaterlosigkeit" als gesellschaftliches
Unbewußtes wird individuell und kollektiv in der Institution Werkstatt
festgeschrieben und von ihren Mitgliedern mehr oder weniger geteilt. Diese
bestehenden, konservierten Verhältnisse, wie sie 10 Jahre lang schlecht
und recht funktioniert haben, diese Stabilität wird durch die Herausbildung
von Autorität, Kompetenz und Generationen gefährdet. Der dahinter
stehende Konflikt und die damit zusammenhängenden Existenzängste
müssen daher verdrängt werden. [78]
Stabilität und Sicherheit sind grundsätzlich keine schlechten
Eigenschaften. Ich glaube auch nicht, daß Stabilität zwangsläufig
infantile Sicherheit erzeugt. Vielmehr halte ich Stabilität oder Ich-Stärke
im Sinne eines beweglichen Ichs für eine wesentliche Voraussetzung,
infantile Unsicherheit, Regression, Chaos, eben Unbewußtes überhaupt
erst zulassen und auch aushalten zu können, sowohl in der therapeutischen
oder sozialforscherischen Praxis, als auch in der institutionellen Reflexion.
Eine psychoanalytische Institution, bzw. ihre Mitglieder, müßte
also stabil und "ich-stark" sein, um mit den inneren und äußeren
Verunsicherungen nicht verdrängend und ausgrenzend umgehen zu müssen.
So ist schließlich der Widerspruch zwischen dem aufklärerischen
Anspruch der Psychoanalyse und den offenkundigen Zwängen von Institutionen,
tatsächlich nicht aufzulösen. Wenn wir als Psychoanalytiker nicht
vereinsamen wollen, müssen wir natürlich Beziehungen eingehen
und soziale Zusammenhänge bilden. Die Frage ist nur, wie wir das tun.
Und dabei gilt immer noch, daß nicht die Institution die Verdrängung
produziert, sondern die einzelnen Menschen von denen sie gemacht wird.
Das Problem scheint allerdings oft darin zu liegen, daß eine Institution
mit ihren Strukturen und gewachsenen sozialen Gesetzmäßigkeiten
zu einem mehr oder weniger neurotischen Teil der psychischen Struktur ihrer
Mitglieder geworden ist und deshalb die Möglichkeiten "friedlicher"
Veränderung abhängig sind von den Möglichkeiten ihrer
einzelnen Mitglieder, ihre eigenen neurotischen Anteile nicht der Institution
aufzubürden. Wenn dies in einem zu starken Maße passiert, ist
es wohl tatsächlich besser eine Institution aufzulösen, sofern
das überhaupt noch möglich ist. Neue Arbeits- und Diskussionszusammenhänge
können damit unbelasteter entstehen. Fußnoten:
1 Vgl. dazu Modena 1993.
2 Eine große Ausnahme stellt
hier das Psychoanalytische Seminar Zürich dar. Vgl. dazu das gleichnamige
Themenheft der Zeitschrift Luzifer-Amor 12/1993.
3 Zur Entstehungsgeschichte der
Werkstatt vgl. Institutsgruppe Psychologie 1984, Mätzler 1988 und
Werkstatt 1993.
4 vgl. Werkstatt 1993.
5 Die mittlerweile etablierte und
erfolgreiche Sexualberatungsstelle mußte 1994, nach achtjähriger
Zugehörigkeit zur Werkstatt als einzigem klinisch-psychoanalytischem
Standbein der Werkstatt unter der formalen Begründung, daß der
ehrenamtliche Vorstand keine Verantwortung für ein Millionenbudget
tragen könne, ein eigener Verein werden. Der freilich ebenfalls wieder
einen ehrenamtlichen Vorstand hat.
6 Die Ausbildungsgruppen haben sich
mit der Zeit aufgelöst und die meisten ihrer Mitglieder sind natürlich
gezwungen, nun ihre Ausbildung im traditionellen Psychoanalytikerverband
zu absolvieren.
7 Igor A. Caruso, Psychoanalytiker
und Univ.Prof. für Klinische Psychologie, emeritierte 1979 und starb
1981. Mit seinem Interesse für die "sozialen Aspekte der Psychoanalyse"
und als Begründer der Österreichischen Arbeitskreise für
Tiefenpsychologie hatte er für die Psychoanalyse im Nachkriegsösterreich
eine in manchen Aspekten [79] vergleichbare Bedeutung wie Alexander Mitscherlich
für Deutschland. Um seine Nachfolge entstand ein längjähriger
erbitterter Streit, der mit der Bestellung eines Psychoanalysegegners endete.
Als Konsequenz daraus wurde die Werkstatt von den unterlegenen Studenten
als psychoanalytische Alternative zur Universität gegründet.
8 Die österreichischen Arbeitskreise
für Tiefenpsychologie wurden 1947 von Igor Caruso in Wien begründet.
Im Laufe der Zeit entstanden auch in Innsbruck, Salzburg, Graz, Linz, Klagenfurt
und Vorarlberg autonome Arbeitskreise, die sich Anfang der 90-er Jahre
in "Arbeitskreise für Psychoanalyse" umbenannten. Die Arbeitskreise
sind nicht Mitglied der IPV. Die von Freud begründete "Wiener Psychoanalytische
Vereinigung" beschränkt ihre Tätigkeit lediglich auf Wien.
9 Die österreichische Studiengesellschaft
für Kinderpsychoanalyse wurde 1976 von Caruso, nach seinem Austritt
aus dem Arbeitskreis mitbegründet.
10 "Psychoanalyse in der Kleinstadt"
heißt jene Arbeit von Johannes Reichmayr, in der er die Salzburger
psychoanalytische Szenerie in der Zeit vor der Gründung der "Werkstatt"
einer kritischen Analyse unterzieht.
11 Das einzige mir bekannte sozialpolitische
Anliegen, das von österreichischen psychoanalytischen Institutionen
in den letzten Jahren öffentlich vorgebracht wurde, bestand kürzlich
in der auf einer Pressekonferenz vorgebrachten Besorgnis über die
Gefährdung der klassischen Psychoanalyse durch die Restriktionen der
Krankenkassen.
12 Die ReferentInnen dieser Tagung
haben ihre Beiträge für einen Sammelband zur Verfügung gestellt,
der im Frühjahr 1998 beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht unter
dem Titel: "Trieb, Hemmung, Begehren - Psychoanalyse und Sexualität"
erscheinen wird.
13 Jenes Gremium des Gesundheitsministeriums
das für die Durchführung des Psychotherapiegesetzes verantwortlich
ist.
14 Energien, die dann z.B. im
wissenschaftlichen oder sozialpolitischen Engagement abgehen. So beschränkt
sich die reale Tätigkeit des örtlichen Arbeitskreises im wesentlichen
auf die Organisation der Ausbildung.
15 Eine weitere Form scheint z.B.
in manchen sektiererischen Abspaltungen der institutionalisierte "Inzest"
oder "Mißbrauch" zu sein, wenn Regeln des institutionellen Umgangs
mit der Abstinenz als einer "freien" psychoanalytischen Ausbildung zuwiderlaufend
angesehen werden. Diese inzestuöse "Freiheit" hat vorallem in der
Frühzeit der Psychoanalyse zu allerlei tragischen Verwicklungen geführt.
In welchem Ausmaß der institutionalisierte, inzestuöse Mißbrauch
nach wie vor auch in etablierten Institutionen besteht, sieht man z. B.
an der Vorschrift, Lehranalysen nur bei Analytikern des eigenen Verbands
absolvieren zu dürfen.
16 Fallend, 1996, S.27.
Literatur:
Fallend, Karl: Sonderlinge, Träumer, Sensitive. Psychoanalyse
auf dem Weg zur Institution und Profession. Wien 1996.
Institutsgruppe Psychologie der Universität Salzburg (Hg.): Jenseits
der Couch. Psychoanalyse und Sozialkritik. Frankfurt/M.1984.
Mätzler, Karl: Frei flottierende Psychoanalyse an unsicheren Orten.
Kritische Psychoanalyse in Österreich am Beispiel der Salzburger Werkstatt
für Gesellschafts- und Psychoanalyse. In: Rexilius, G. (Hg.): Psychologie
als Gesellschaftswissenschaft. Opladen 1988, S. 318-332.
Modena, Emilio: Hoffnungsvoll verzweifelt: Eine neue Freudsche Linke
im Spiegel ihrer internationalen Kongresse. In: Luzifer-Amor. Zeitschrift
zur Geschichte der Psychoanalyse, 6. Jg. Heft 12, 1993, S. 63-98.
Reichmayr, Johannes: Psychoanalyse in der Kleinstadt. In: Institutsgruppe
Psychologie 1984, S. 255-274.
Wangh, Martin: Die deutsche Psychoanalyse und die nationalsozialistische
Vergangenheit. In: Psyche 2/1996, S. 97-122.
Werkstatt für Gesellschafts- und Psychoanalyse: Informationspapier
über das Ausbildungsseminar für Psychoanalyse (Antrag an den
Psychotherapiebeirat). Unveröffentl. Manuskript. Salzburg 1993.
Dr. Karl Mätzler
Kreuzberg Promenade 39
A-5026 Salzburg
www.maetzler.info
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