Nr. 38, 1/1997: 65-80 Werkblatt - Zeitschrift für 
Psychoanalyse und Gesellschaftskritik
von Karl Mätzler Unbewußte Strukturen 
in einer ungewöhnlichen 
psychoanalytischen Institution 
Karl Mätzler, Dr.phil. arbeitet als Psychoanalytiker in freier Praxis und in der Sexualberatungsstelle Salzburg. Als einer, der die Entwicklung der "Werkstatt für Gesellschafts- und Psychoanalyse" von der Gründung bis zur Auflösung miterlebt und mitgestaltet hat, versucht er Gedanken und Thesen zu formulieren, die eine Diskussion über Ursachen und Hintergründe der Auflösung, sowie deren Verwobenheit mit der psychoanalytische Kultur Salzburgs anregen könnten.
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Mittlerweile gibt es eine reichhaltige Palette an Literatur, die sich kritisch mit den Institutionalisierungsprozessen konventionell organisierter Psychoanalyse auseinandersetzt sowie deren Verkrustung und Unveränderbarkeit beklagt. Es gehört mittlerweile schon zum guten Ton, die kritischen Stimmen von Anna Freud und Siegfried Bernfeld, bis herauf zu Paul Parin und Johannes Cremerius, um die Bekanntesten zu nennen, wohlwollend zu zitieren, während sich in den traditionellen psychoanalytischen Organisationen jedoch kaum Veränderungen feststellen lassen. Von einer verstärkten kulturkritischen oder gar politischen Arbeit kann keine Rede sein. Ganz im Gegenteil. Die Ausbildungsstrukturen sind nach wie vor von Machtmißbrauch und Infantilisierung geprägt - in Österreich noch zusätzlich durch die gesetzliche Verankerung eines autoritär verschulten Zeugnissammelsystems zementiert. Auch die zaghaften Versuche, der kritischen Position mehr Struktur und Einfluß zu geben, sind mehr oder weniger im Sand verlaufen.(1) Ein Grund, warum diese Kritik in so geringem Ausmaß praktische Relevanz erlangt hat, liegt meines Erachtens darin, daß sie so sehr in einer anklagenden Haltung bestehender Verhältnisse verhaftet blieb, bzw. vorrangig die Veränderung der Institutionen von innen her im Auge hatte. Demgegenüber waren und sind die Versuche psychoanalytischer Institutionalisierung unabhängig von konventionellen Verbänden relativ selten. (2) So lassen sich auch kaum Erfahrungsberichte und Analysen neuer, ungewöhnlicher Wege finden. Diese wären jedoch für eine fruchtbare Veränderung psychoanalytischer Organisationen von großer Wichtigkeit. Deshalb ist eine Analyse der Erfahrungen der Salzburger "Werkstatt für Gesellschafts- und Psychoanalyse" nicht nur von lokalem Interesse, sondern kann auch für das Verständnis anderer Zusammenhänge von Psychoanalytikern von Nutzen sein. [65]
Dabei möchte ich folgende These aufstellen: In jeder Institution entwickeln sich, auf Grund ihrer Entstehungsgeschichte, sozialen Zusammensetzung, ökonomischen Zwänge und der sie umgebenden politischen Verhältnisse spezifische mehr oder weniger neurotische Störungen, die sich meist in rigiden internen Strukturen, Ausbildung von Ideologien und einer Bereitschaft zu Verfolgungsängsten äußern. Natürlich ist es so, daß Institutionen, bzw. die Individuen aus denen sie bestehen, grundsätzlich unbewußte Strukturen produzieren. Die Frage kann also nicht sein, wie die Produktion von Unbewußtheit grundsätzlich vermieden werden kann, sondern vielmehr in welchem Ausmaß dies geschieht und wie flexibel damit umgegangen wird, bzw. wie starr und rigide die entsprechende Abwehrstruktur sein muß. Wenn man von dem Anspruch ausgeht, daß Psychoanalytiker ihr Handwerkszeug auch auf ihre eigene Profession anwenden sollen, so müßte sich auch für jeden psychoanalytischen Mikrokosmos, also in jeder psychoanalytischen Organisation, eine auf Grund ihrer Geschichte und sozialen Zusammensetzung spezifische unbewußte Struktur analysieren lassen. Da ein solches Unterfangen nur mit Hilfe zahlreicher Selbstentblößungen möglich ist, die die Größen- und Allmachtswünsche in Frage stellen, ist damit auch eine große Angst vor vermeintlichen Angriffen diverser Gegner verbunden. Eine weitere Schwierigkeit stellt die Abschottung der meisten psychoanalytischen Verbände nach außen dar, die eine solche sozialpsychologische Untersuchung durch Außenstehende erschwert und gleichzeitig einen Teil der Abwehrstruktur darstellt. Auch in diesem Fall besteht die Schwierigkeit darin, daß ich selbst maßgeblicher Exponent in Entstehungsgeschichte und aktuellen Konflikten, also selbst Mitproduzent der zu untersuchenden unbewußten Strukturen bin. Mein Versuch einer Analyse kann deshalb nicht frei sein von blinden Flecken und verschiedenen libidinösen und aggressiven Wünschen. Die Stimmigkeit einer solchen "Selbstanalyse" wird sich also erst im Austausch mit anderen erweisen. [66]

Ein Projekt "selbstautorisierter" Psychoanalyse

Die Besonderheit der Salzburger "Werkstatt für Gesellschafts- und Psychoanalyse" lag darin begründet, daß sie weder als Abspaltung von einer traditionellen psychoanalytischen Vereinigung, noch als Neugründung von etablierten Psychoanalytikern, sondern als Zusammenschluß psychoanalytisch, studentischer "Laien" entstanden ist. Anfang der 80-er Jahre, als spätes Kind der 68-er Protestbewegung und als Alternative zur psychoanalysefeindlichen Universität von unzufriedenen Psychologiestudenten gegründet, entwickelte sie sich im Laufe der Jahre zu einer psychoanalytischen Forschungs- und Ausbildungsstätte, deren Arbeitsweise kaum von formalen, äußeren Zwängen bestimmt war. Vielmehr entstanden Aktivitäten aus den konkreten Bedürfnissen der jeweils engagierten Personen und konnten sich so als verändernd-eingreifende psychoanalytische Methode prozeßhaft entwickeln. (3) Diese "ursprüngliche" und "freie" Art psychoanalytischer "Aus"-Bildung, die sich nicht auf die Rezeption und pädagogisierender Weitergabe von Theorien und Praxiserfahrungen beschränkt, sondern die Psychoanalyse als Instrument des - auch politischen - Handelns und Verstehens erfahrbar macht, bekam mit dem neuen österreichischen Psychotherapiegesetz eine völlig neue Dynamik, an deren Auswirkungen ich im Folgenden einiges an Erkenntnissen über die unbewußt, neurotische Struktur dieser "usprünglichen" Institution im besonderen, sowie über die Schwierigkeiten mit den psychoanalytischen Organisationen im allgemeinen, zeigen möchte.

Die Anfänge eines klinischen Ausbildungsprojektes mit dem Ziel der Ausübung des Berufes des Psychoanalytikers reichen in der Werkstatt bis ins Jahr 1986 zurück. Nach Beendigung ihres Studiums entstand damals bei einigen Personen der Bedarf nach einer fundierten klinisch-psychoanalytischen Ausbildung. Da die bisherigen Erfahrungen mit der Selbstorganisation des psychoanalytischen Studiums sehr ermutigend gewesen waren, wurde diese Tradition auch in der klinischen Ausbildung fortgesetzt.
Die ersten Diskussionen waren von einer relativ breiten Basis innerhalb der Werkstatt getragen. Schließlich entstand eine erste Ausbildungsgruppe aus einem Zusammenschluß von Personen, die für sich beschlossen hatten, miteinander zu arbeiten und gemeinsam darüber zu entscheiden, wer in die Gruppe aufgenommen wird und wer nicht. Diese Konkretisierung [67] des Ausbildungsinteresses und des Ausbildungssettings durch eine begrenzte Anzahl von ca. acht Personen führte bereits zu massiven Unmutsäußerungen innerhalb der Werkstatt. Kritisiert wurde vor allem die selbstgewählte Abgeschlossenheit der Gruppe, die keine freie Teilnahme ermöglichte, sowie die grundsätzliche professionelle Orientierung auf den Beruf des klinischen Psychoanalytikers. Diese Abwendung von der Orientierung als studentische Ausbildungsalternative hin zu einem mehr berufspraktisch orientierten Anwendungsinteresse kam damals dem Bruch eines Tabus gleich. Es galt fast als Sakrileg, den Wunsch zu haben, selbst ein Psychoanalytiker werden zu wollen, wie er als angepaßtes, unpolitisches Subjekt ständig bekämpft wurde. So hatten auch klinische Themen bis dahin im Veranstaltungsprogramm der Werkstatt kaum eine Rolle gespielt. Schon ein Jahr zuvor war die Gründung der Sexualberatungsstelle als klinisches Standbein der Werkstatt aus ähnlichen Gründen auf massiven Widerstand gestoßen. Da es aber immer einen Konsens darüber gegeben hatte, sich bildenden Interessensgruppen einen Entfaltungsraum zu geben, waren sowohl Sexualberatungsstelle, als auch Ausbildungsgruppe nicht zu verhindern. Allerdings war das Mißtrauenspotential sehr groß. Nach zwei bis drei Jahren war die erste Gruppe soweit etabliert, daß sich eine zweite Ausbildungsgruppe hinzugesellen konnte. Nachdem die einzelnen Teilnehmer der ersten Gruppe nach Inkrafttreten des österreichischen Psychotherapiegesetzes im Jahr 1991 im Rahmen der Übergangsregelungen in die Liste der Psychotherapeuten eingetragen worden waren (allerdings ohne die Zusatzbezeichnung "Psychoanalyse"), konnten in den Jahren 1992 und 1993 auch noch einige Teilnehmer der zweiten Gruppe, aber auch "gruppenlose" Mitglieder unter Berufung auf absolvierte Werkstattveranstaltungen eine Eintragung erreichen. Damit stand die Perspektive einer möglichen gesetzlichen Anerkennung eines Ausbildungsganges in der Werkstatt auf Grund der bereits vorhandenen Ausbildungs- und Anerkennungsrealität im Raum. Auf diesem Hintergrund fand sich auch noch eine dritte Gruppe zusammen. In Zahlen ausgedrückt ergab das ein Ausbildungsseminar mit ca. 20-25 Personen plus einiger weiterer Interessenten. Also eine durchaus beachtliche Größe.
Nach einem Grundsatzbeschluß der Generalversammlung, eine solche Anerkennung anzustreben, wurde innerhalb eines Jahres nach langen Diskussionen mit allen Beteiligten ein ausführliches Ausbildungskonzept offiziell eingereicht. (4) Danach mußten intern die organisatorischen Voraussetzungen für die Durchführung des Konzepts geschaffen werden. Es war [68] geplant, mit der Gründung eines "Ausbildungsseminars", als unabhängiger Unterorganisation der Werkstatt, einerseits den öffentlich zugänglichen, "freien" psychoanalytischen Ort Werkstatt zu erhalten, um andererseits den gesetzlich geforderten Rahmenbedingungen trotzdem gerecht werden zu können. Eine solche "Aufteilung" hätte jedoch plötzlich eine interne "Ungleichheit" geschaffen. Schließlich mußte eine Seminarleitung gewählt werden, deren Aufgabe es gewesen wäre, die gesetzlich vorgegebenen Strukturen zu gewährleisten und die erforderlichen Entscheidungen zu treffen. Dazu kam es jedoch nicht mehr, da sich ein intensiver Streit an der Frage des Aufnahmeverfahrens von neuen Ausbildungsteilnehmern entzündete, der sich nicht lösen ließ. Die "berüchtigten" Aufnahmegespräche stellten schon lange einen der zentralen Kritikpunkte an den etablierten Verbänden dar. Trotzdem kam die Vorbereitungsgruppe, auch abgesehen von den gesetzlichen Vorgaben, nach langen Diskussionen zu der Auffassung, daß eine geregelte Aufnahme in irgend einer Weise stattfinden sollte. Um einen Machtmißbrauch und jene rein "physiognomische" Entscheidungen zu verhindern, wurden verschiedene wählbare Verfahren erdacht, die dem Bewerber möglichst viele Freiheiten lassen sollten, bis hin zur Möglichkeit eine eigene begründete Verfahrensmodalität vorschlagen zu können. Trotz dieses Versuches, der Aufnahmeform eine interessante Auseinandersetzungsperspektive zu geben, konnte dieser Punkt von vielen nicht akzeptiert werden. Damit war das Projekt einer klinischen Ausbildung in der Werkstatt auf Grund einer fehlenden Mehrheit beendet.
Die Frage ist nun weniger wer recht hatte, sondern warum ausgerechnet um diese Frage ein solch erbitterter Kampf geführt wurde, der letztlich eine Einigung verhinderte. Mir scheint, daß sich an der Frage des Aufnahmeverfahrens etwas Grundsätzliches entladen hat, das durch die Erfahrung der plötzlichen Ungleichheit schmerzlich bewußt geworden war. Nämlich, daß die Zeiten der geschwisterlichen "Gleichheit" in der Werkstatt endgültig vorbei sein könnten. Als spätes Kind der 68-er Protestbewegung hat die Werkstatt auch ganz spezifische unausgesprochene Ideologien entwickelt, wie etwa jene der antiautoritären Haltung, die notwendige Struktur und Autorität (im Sinne von Wissen) mit der Ausübung von Gewalt und Machtmißbrauch verwechselt und damit das Kind mit dem Bade ausschüttet. Es müssen daher alle gleich sein, es darf niemand mehr Autorität erlangen als andere, es dürfen daher auch keine Generationen entstehen. Die Stimmigkeit dieser These zeigt sich auch an zwei wesentlichen Phänomenen innerhalb der Werkstatt, die ich im Folgenden genauer betrachten möchte. [69]

Das "Verschwinden" als Symptom

Autorität bedeutet in der real existierenden Psychoanalyse vor allem klinische Autorität. In der Geschichte der Werkstatt sind alle "klinischen" Projekte bei ihrer Gründung massiv kritisiert und bekämpft worden, bzw. kurz vor oder nach ihrer Etablierung verhindert oder ausgegrenzt worden. Das deutet darauf hin, daß die Autorität der klinischen Anwendung auch in ihrer Ablehnung vorhanden war. Sie konnte nicht als wichtiger Teil psychoanalytischer Kompetenz und Autorität akzeptiert werden, sondern mußte im Gewand der Angst vor einer drohenden Übermacht der "Kliniker", die die Sozialforscher verdrängen könnten, als Ganzes bekämpft werden. Die tatsächliche Realität in der Werkstatt hat jedoch vielmehr in einer starken Tendenz zur Verhinderung jeder klinischen Praxis (5) und Ausbildung (6) auf der einen und einer nicht existierende psychoanalytisch-sozialwissenschaftlichen Praxis auf der anderen Seite bestanden.
Dieses "Verschwinden" klinischer Praxis hatte auf einer anderen Ebene eine Entsprechung. In der Geschichte der Werkstatt sind mit auffälliger Häufigkeit diejenigen Personen, die sich qualifiziert und autorisiert haben auf verschiedene Weise immer verschwunden. Auch wenn sich dafür je individuell Erklärungen finden lassen, muß man trotzdem von einem kollektiven Phänomen oder einem Symptom mit fatalen Folgen sprechen. Ich denke, daß es sich hier um einen generations- und werkstattspezifischen Wiederholungszwang handelt, den es aufzuklären gilt.

  • Jene Personen, die nach dem Tod von Igor Caruso (7) Autoritätsfunktionen übernehmen hätten können (z.B. ein Teil der früheren Assistenten Carusos oder lokale Psychoanalytiker) konnten oder wollten diese nicht wahrnehmen oder mußten ihre berufliche Zukunft in andere Städte verlagern.

  • Fachliche Autoritäten wurden fast immer aus dem Ausland geholt, waren also nur kurzfristig verfügbar. Die Autoritäten vor Ort waren höchstens als reale oder phantasierte Gegner, mit denen man sich besser nicht an einen Tisch setzte, zu gebrauchen. Erst als manche "Werkstättler" ihre persönlichen Analysen bei ansässigen Analytikern begonnen hatten oder konkrete Arbeitskontakte (z.B. Supervision) geknüpft wurden, konnte die Berührungsangst etwas abgebaut werden.

  • Die Herausbildung eigener "Autoritäten", die sich nach Studienabschluß aus dem geschwisterlichen Kreis zu etablieren versuchten, wurde z.B. bei der Gründung von Sexualberatungsstelle und Ausbildungsgruppe massiv behindert. [70]

  • Die meisten praxisorientierten Mitglieder haben ihr Ausbildungsinteresse, ihre Zeit und ihr Engagement anderswo untergebracht und sind damit mehr oder weniger für die Werkstatt als tragende Elemente "verschwunden".

  • Das Ausbildungsprojekt scheiterte nicht zuletzt an der mangelnden Beteiligung derjenigen Leute, die von ihrer Kompetenz und ihrem Selbstbewußtsein her in der Lage gewesen wären, einem solchen Unterfangen Tragfähigkeit zu geben.

  • Die fehlende Etablierung sozialwissenschaftlicher Kompetenz in einem Verein mit gesellschaftsanalytischem Anspruch ließ auch "Autoritäten" in die Privatinitiative oder an andere Institutionen abwandern.

  • Jene (bemerkenswert zahlreichen) Personen in und um die Werkstatt, die sich auf die Erforschung der Geschichte der Psychoanalyse spezialisiert haben, arbeiten alle mehr oder weniger vereinzelt oder in anderen Institutionen und haben meines Erachtens mit zu wenig Nachdruck versucht, ihre Erkentnisse in eine lebendige Diskussionskultur einzubringen bzw. zu einer solchen beizutragen oder z.B. ein Forschungsinstitut zur Geschichte der Psychoanalyse zu gründen.


Die "vaterlose" Werkstatt - Gesellschaft

Mich beschäftigt dieses "Verschwinden" von Autoritätsfiguren seit langem in Bezug auf meine eigene Sozialisationsgeschichte vor, mit und um die Werkstatt. Es dürfte wohl ein spezifisches Merkmal der Nachkriegsgenerationen sein, Väter, Mütter, Familien zu haben, die in ihrer Auseinandersetzungbereitschaft oder Sozialisierungsfunktion nur partiell oder gar nicht verfügbar waren, also tendenziell nicht vorhanden oder sich verflüchtigend, verschwindend waren. Auch auf der Universität fanden sich solche Figuren nur marginal. Es war naheliegend, den Mangel in solidarisch, geschwisterlicher Form als Familien- und Autoritätsersatz auszugleichen. Es war wohl die bestmögliche Form. Die Identifikation mit einem kranken und gestorbenen Caruso war nahezu ideal, weil sie auch der Angst vor einer konkreten Auseinandersetzung mit einer Autorität entgegenkam. Mit einem lebenden und lehrenden Caruso hätten Identifikation und solidarischer Zusammenschluß nie so gut funktionieren können. Die Tatsache, daß er dann auch noch starb und keinen würdigen Nachfolger hinterließ, war nahezu ein "Glücksfall". Sonst hätte es die Werkstatt wohl nie gegeben. [71] So gesehen haben 14 Jahre Werkstatt vermutlich das bestmögliche aus der Situation gemacht und sicherlich sehr viel bewirkt. Andererseits scheint damit auch ein Wiederholungszwang in Gang gesetzt worden zu sein, den es zu verstehen gilt. Autoritäten waren zwar erwünscht, wurden auch geholt (z.B. aus dem Ausland) und selbst produziert, aber auf der anderen Seite immer wieder in die Flucht geschlagen, damit die alte Situation erhalten blieb.
Dieser Wiederholungszwang des "Verschwindens" ist auch im Zusammenhang mit dem oben beschriebenen Klima des Mißtrauens und der Verfolgungsangst zu sehen. Verfolgungsangst kann nur dadurch gemildert werden, daß alle Objekte, die zu potentiellen Verfolgern oder Vertreibern werden könnten, unschädlich gemacht werden. Jede Rivalität zwischen Geschwistern oder mit Autoritäten wird dann schnell zum Existenzkampf. Eine fruchtbare Rivalität ist in der Werkstatt letztlich nur in besonderen Enklaven möglich gewesen.
Die Existenzangst rührt meines Erachtens daher, daß die Werkstatt neben den legitimen Kindern Carusos, dem "Arbeitskreis" (8) und den "Kinderanalytikern" (9), sozusagen ein illegitimes Kind Carusos war, das den Vater gar nie aus der Nähe gekannt hat, der sich also auch nie zu seinem Kind bekennen konnte. Das illegitime Kind mußte ständig Angst haben, nicht zur Kenntnis genommen zu werden und lief ständig Gefahr, abgelehnt oder vertrieben zu werden, wenn es in den anerkannten Familienverband aufgenommen werden wollte. Zu dieser institutionell unbewußten Struktur sind auch nur solche Menschen gestoßen, die mit ihrer individuell unbewußten Struktur dazu gepaßt haben, bzw. wurde sie von solchen Menschen auch gemacht, die auf Grund ihrer persönlichen Sozialisationsgeschichte ähnliche Hintergründe der Existenzangst haben. Aus dieser unbewußten Struktur entstand eine Ideologie oder  ein institutionalisiertes Über-Ich, das mit rigiden Verboten arbeiten mußte, um ein Eintreten in die konkret praktizierte Rivalität mit den legitimen Geschwistern zu verhindern. Das führte jedoch zu einer ständigen Tendenz, das eigenen Fortkommen zu behindern und mündete letztlich in einer Art Selbstbestätigung in der Selbstzerstörung, der Bestätigung der Ablehnung und fehlenden Existenzberechtigung. Die Symptome des Weggehens, der zunehmenden Reduzierung auf Formalitäten und des Klimas von Mißtrauen, sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Um Mißverständnisse zu vermeiden: Aus dieser Analyse läßt sich nicht zwangsläufig ableiten, daß die Werkstatt nur in Form der Anerkennung als Ausbildungsverein ein legitimes Kind werden hätte können. [72] Das Problem ist vielmehr, daß es offenbar nicht möglich war, eine wirklich autonome Existenzberechtigung zu erlangen, wie immer diese auch ausgesehen hätte.

Inszenierung von Anerkennung und Ablehnung im Feld lokaler Psychoanalyse (10)

Diese Problem von Anerkennung und Ablehnung als unbewußt, neurotischer Struktur, hat im sozialen Feld der österreichischen und speziell der Salzburger Psychoanalyse seine offenbar notwendige Entsprechung auf der Seite der etablierten Kollegenschaft in Form von verschiedenen Arten der Ablehnung bzw. des "nicht ernst Nehmens" der Werkstattaktivitäten auf einer ganz realen Ebene:

  • mit der bei Psychoanalytikern verbreiteten Abstinenz in sozialpolitischen Fragen, (11) waren die österreichischen und besonders die Salzburger Psychoanalytiker in den Jahren 1979-1982 nicht dazu in der Lage, die Anliegen der Studenten um die Erhaltung der Psychoanalyse auf der Salzburger Universität zu unterstützen und damit ernst zu nehmen. Das war ein wesentlicher Grund warum die lokalen Psychoanalytiker als Autoritäten schwer akzeptiert werden konnten, weil sie als solche in ihrer sozialen Kompetenz versagt hatten.

  • Die seit 15 Jahren regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen der Werkstatt mit Psychoanalytikern und Sozialwissenschaftlern aus der ganzen Welt werden bis heute von der Mehrzahl der ortsansäßigen Analytiker nicht besucht. So auch bei der zuletzt stattgefundenen Tagung der Sexualberatungsstelle anläßlich des 10-jährigen Bestehens. (12)

  • Die Beschäftigung mit der kulturkritischen Seite der Psychoanalyse als einem Hauptanliegen der Werkstatt wird von manchen zwar anerkennend wahrgenommen, aber nicht eigentlich als psychoanalytisch angesehen, sondern vielmehr als eine Art interessanter Freizeit- und Nebenbeschäftigung.

  • Zwei der drei PsychoanalytkerInnen, die sich für eine supervisorische und inhaltliche Begleitung der Ausbildungsgruppen zur Verfügung gestellt hatten, waren schließlich nicht bereit, ihre Wertschätzung der Arbeit auch auf die Unterstützung des offiziellen Ansuchens um Anerkennung auszudehnen. [73]

  • Nachdem mir selbst vom Psychotherapiebeirat (13) auf Grund meiner Ausbildung in der "Werkstatt" die Zusatzbezeichnung "Psychoanalyse" zuerkannt worden war, sah sich der Leiter des Salzburger Arbeitskreises genötigt, einen offiziellen Protestbrief an den Beirat zu senden. Ein Lehranalytiker, der bereit gewesen war, mir ein Gutachten über die Gleichwertigkeit meiner Ausbildung zu erstellen, sah sich in der Folge Anfeindungen aus der Kollegenschaft ausgesetzt. Es war also offenbar für den "Arbeitskreis" nicht möglich, zumindest ein gesetzlich festgelegtes Recht, das ich wahrgenommen hatte, anzuerkennen.

Ein solches "soziales Versagen" von Psychoanalytikern - hier sind die Salzburger sicherlich keine Ausnahme -,  ist auch als kulturhistorisches Phänomen im Zusammenhang mit der "vaterlosen Gesellschaft" und dem allgemeinen "Versagen" von Autoritäten während und nach dem Nationalsozialismus zu sehen. Die Bearbeitung der historischen und sozialen "Skotomisierung" der Auswirkungen des Nationalsozialismus in ihrer Bedeutung für das Sozialverhalten der Psychoanalytiker und für die Entwicklung der Psychoanalyse der Nachkriegszeit, wie sie in Deutschland seit den 70-er Jahren diskutiert wird (vgl. Wangh 1996), steckt in Österreich noch in den Kinderschuhen. Die Probleme der Werkstatt, eingebettet in die psychoanalytische Kultur Salzburgs, können meines Erachtens nicht losgelöst von diesem Hintergrund verstanden werden. [74]
Die reale Ebene der Entwertung wurde im Laufe der Anerkennungsbestrebungen durch eine, auf der anderen Seite auch zutreffendeVariante bereichert, die in etwa folgenden Inhalt hatte: Indem die Leute aus der Werkstatt ihre Ausbildung nicht im "Arbeitskreis" machen würden, sondern über eine eigene Ausbildung, würden sie sich die ödipale Auseinandersetzung mit einer älteren Generation ersparen wollen.
Dieser Einwand ist auf dem Hintergrund meiner vorigen Überlegungen natürlich bedenkenswert und auch richtig, spart jedoch aus, daß es genügend "vernünftige, unneurotische" Gründe gibt, die für die Etablierung einer alternativen Ausbildungsform als fruchtbare Konkurrenz für das bisherige Monopol sprechen. Weiters verharrt dieser Einwand in einer Position der noblen Abstinenz, die so tut, als ob eine Ausbildungsinstitution nur als Übertragungsfolie für vorhandene und potentielle Kandidaten dienen würde. Man kann ihn jedoch auch als Übertragungsreaktion auf die "Werkstättler" zu verstehen versuchen. Dann ergibt sich leicht ein ganz anderes Bild. Wäre es nicht möglich, daß die Aufregung darüber, daß die ödipale Auseinandersetzung vermieden werden soll, eigentlich einem verborgenen eigenen Wunsch entspricht? Die von der Aufrechterhaltung der sozialpolitischen "Abstinenz" überanstrengten und ihre entsprechenden sozialen, libidinösen und aggressiven Bedürfnisse zurückhaltenden Psychoanalytiker vermuten neidvoll, daß die spritzig protestierenden und Neues ausprobierenden Werkstättler sich die Konfrontation mit den Autoritäten ersparen wollen, weil sie das selber gerne tun würden aber nicht können.
So wird die Übertragungsreaktion wiederum als Entwertung agiert, statt verstanden und z.B. in eine wohlwollende Unterstützung umgewandelt. Die etablierte Institution stilisiert sich so zum autoritär-vernichtenden Urvater, der die "reine" Psychoanalyse vertritt, alles unter Kontrolle haben muß und keinerlei Konkurrenz zulassen kann. Da dieser Umstand schließlich keinem Verständnis mehr zugänglich ist, hält sie ihre Mitglieder in einer kontrollierenden Abhängigkeit, die ödipale Auseinandersetzung friert sozusagen unter erheblichem Energieaufwand in der institutionellen Hierarchie und in zwanghafter Bürokratie ein. (14) Das führt z.B. dazu, daß eine bestimmte Generation von jüngeren Analytikern mit einem "fortschrittlichen" Bewußtsein die mögliche Konkurrenz aus der Werkstatt infantilisieren muß, illegitim halten muß, um die eigene Abhängigkeit von der kontrollierenden Institution nicht bewußt werden zu lassen, um das Ideal der eigenen Fortschrittlichkeit unbefleckt bewahren zu können, und um den Alleinvertretungsanspruch für die "reine" Lehre der Psychoanalyse besser zementieren zu können. [75]
Wie notwendig eine solche Zementierung sein mag, wird deutlicher wenn man sich vor Augen hält, daß Caruso selbst aus dem von ihm begründeten Arbeitskreis auf Grund eines Konflikts um die eklektizistischen Tendenzen mancher Mitglieder ausgetreten war. So gesehen ist auch der "Arbeitskreis" ein verstoßenes Kind. Die Bedeutung dieses "schlechten" Vaters Caruso für die gesamte psychoanalytische Kultur in Salzburg darf also nicht unterschätzt werden und wäre eine genauere Betrachtung wert. So gesehen könnte es auch sein, daß viele "Arbeitskreisler" in ihrer ablehnenden Haltung gegenüber der "Werkstatt" eigentlich den "schlechten" Vater Caruso nachträglich bekämpft haben.
In diesem Zusammenhang ist die These von Ulrike Körbitz interessant, daß in der "Werkstatt" Abwehrmechanismen der Spaltung in gut-böse und der Projektion vorherrschen würden, die auf die Spaltung Carusos in einen Theologen, Kliniker und Gesellschaftskritiker zurückzuführen seien. Der Verdacht liege nahe, daß dies auch im "Arbeitskreis" der Fall sei. Diese Teilobjekte Carusos, die er selbst zu Lebzeiten nie richtig integrieren konnte, würden in den verschiedenen psychoanalytischen Organisationen Salzburgs repräsentiert: Für den Priester und Kliniker sei der Arbeitskreis zuständig, für den Gesellschaftskritiker die Werkstatt. So gesehen wäre der Versuch einer Ausbildungsanerkennung, als ein Integrationsbemühen der abgespaltenen Teile zu verstehen.
In den Diskussionen um die Ausbildung war immer klar, daß die Frage des Umgangs mit Autorität, Macht und Kontrolle eines der zentralen Probleme der Werkstatt war. Ebenso, daß einer Auseinandersetzung mit Autoritäten gar nicht ausgewichen werden kann. Das ist keine Frage der institutionellen Zugehörigkeit. War nicht das Betreiben der Anerkennung als psychoanalytische Ausbildunsginstitution selbst schon eine intensive Auseinandersetzung mit der etablierten älteren Generation? Vor allem in der konkreten praktischen Arbeit gab es in Teilbereichen der Werkstatt sehr wohl seit vielen Jahren eine intensive Auseinandersetzung mit Autoritäten.
Über den Einwand der "Ersparnis" wird auch leicht vergessen, daß die "Vaterlosigkeit" tatsächlich ein großes Problem darstellt und mitnichten etwas damit zu tun hat, sich etwas "ersparen" zu wollen, so als wollte man etwas geschenkt bekommen. Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, daß ohne das soziale Netz der offiziellen "Anerkennung" im Gegenteil entweder unendlich viel geleistet werden muß, um vor dem kritischen Auge der übermächtig phantasierten "Väter" und "Mütter" als illegitimes Kind [76] bestehen zu können oder daß die "reine Psychoanalyse" in der Vermeidung jeglicher Institutionalisierung glorifiziert wird und damit ganz reale menschliche Probleme wie Inzestwünsche, Kastrationsängste, Konkurrenz, Neid, Eifersucht, Existenzängste etc., wie sie in jeder Sozietät zwangsläufig vorkommen, vermieden werden sollen. Die Tendenz zur "Unerreichbarkeit von Autorität" bzw. "Vermeidung von Autorität" war eben die für unsere Institution spezifische Art des ödipalen Konflikts, der in Teilbereichen sehr wohl auch verändert werden konnte. Traditionelle psychoanalytische Institutionen wie der Salzburger Arbeitskreis haben offenbar eine andere Art, die von außen betrachtet darin bestehen könnte, die ödipalen Energien ihrer Mitglieder durch erhöhten Anpassungsdruck intern zu binden und dadurch die Autonomie ihre Mitglieder zu behindern. (15)
Letztlich geht es jedoch darum, wie flexibel eine Institution diesen "Einfrierungen" oder unhinterfragbaren Ritualisierungen ihrer institutionsspezifischen Störungen begegnen kann, vermeidbar sind sie nach meiner Meinung auch durch noch so viel "Freiheit", "Selbstautorisierung" und "Entinstitutionalisierung" nicht. Die Frage ist vielmehr, wie damit umgegangen wird. Letztlich spielt auch hier der Gewinn aus Sozialstatus und ökonomischer Absicherung, den die Mitgliedschaft mit sich bringt, eine entscheidende Rolle dabei, inwieweit eine Institution ihre Mitglieder disziplinieren und damit ihre unbewußten Strukturen unhinterfragt lassen muß. Wäre dies nicht der Fall, so müßte die Geschichte der Psychoanalyse noch wesentlich stärker von Auflösungen und Neugründungen geprägt sein, als sie es tatsächlich schon war.

Nicht die Institution ist neurotisch, sondern ihre Mitglieder

Das Projekt einer möglichst freien psychoanalytischen Diskussions- und Bildungsstätte, das auch über viele Jahre gut funktionierte, hat nun mit der Auflösung der Werkstatt ein Ende gefunden. Was bleibt, sind die zahlreichen Erfahrungen mit den Produktionsprozessen von Unbewußtheit auch in einer "alternativen" Institution und die Erkenntnis, daß die Kritik an der Unbewußtmachung institutioneller Zwänge, wie sie an den etablierten Verbänden geübt wurde, im Prinzip genauso auf eine Einrichtung wie die Werkstatt anzuwenden ist. Um dies zu veranschaulichen möchte ich Karl Fallend zitieren. Er schreibt als Resumee am Ende des Kapitels "Kritische Aspekte zur Psychoanalyse als Institution und Profession": [77]
"Die Institution als sozialer Ort setzt Verdrängung in Gang und hält sie auch aufrecht, um den Status quo zu sichern. Sie ist auf die Konservierung bestehender Verhältnisse ausgerichtet. Alles, was diese Stabilität gefährden könnte, muß verdrängt, unbewußt gemacht werden, ergreift daher auch Wahrnehmungen und Phantasien, die diese Stabilität in Frage stellen. Stabilität erzeugt Sicherheit, infantile Sicherheit, womit Institutionen auch eine wesentliche Entlastungsfunktion zukommt, da sie vor beunruhigendem Chaos schützen. So ist eben der Widerspruch nicht aufzulösen, wenn eine Institution mit straffer Organisationsstruktur dem eigentlichen Anspruch der Psychoanalyse, nämlich unbewußt Gewordenes wieder zu entdecken und verfügbar zu machen, entgegenwirkt." (16)
Diese theoretische Analyse der Verfaßtheit etablierter Psychoanalyse paßt auch sehr gut auf die Werkstatt. Was das konkret heißt, habe ich oben versucht zu analysieren: Die "Vaterlosigkeit" als gesellschaftliches Unbewußtes wird individuell und kollektiv in der Institution Werkstatt festgeschrieben und von ihren Mitgliedern mehr oder weniger geteilt. Diese bestehenden, konservierten Verhältnisse, wie sie 10 Jahre lang schlecht und recht funktioniert haben, diese Stabilität wird durch die Herausbildung von Autorität, Kompetenz und Generationen gefährdet. Der dahinter stehende Konflikt und die damit zusammenhängenden Existenzängste müssen daher verdrängt werden. [78]
Stabilität und Sicherheit sind grundsätzlich keine schlechten Eigenschaften. Ich glaube auch nicht, daß Stabilität zwangsläufig infantile Sicherheit erzeugt. Vielmehr halte ich Stabilität oder Ich-Stärke im Sinne eines beweglichen Ichs für eine wesentliche Voraussetzung, infantile Unsicherheit, Regression, Chaos, eben Unbewußtes überhaupt erst zulassen und auch aushalten zu können, sowohl in der therapeutischen oder sozialforscherischen Praxis, als auch in der institutionellen Reflexion. Eine psychoanalytische Institution, bzw. ihre Mitglieder, müßte also stabil und "ich-stark" sein, um mit den inneren und äußeren Verunsicherungen nicht verdrängend und ausgrenzend umgehen zu müssen. So ist schließlich der Widerspruch zwischen dem aufklärerischen Anspruch der Psychoanalyse und den offenkundigen Zwängen von Institutionen, tatsächlich nicht aufzulösen. Wenn wir als Psychoanalytiker nicht vereinsamen wollen, müssen wir natürlich Beziehungen eingehen und soziale Zusammenhänge bilden. Die Frage ist nur, wie wir das tun. Und dabei gilt immer noch, daß nicht die Institution die Verdrängung produziert, sondern die einzelnen Menschen von denen sie gemacht wird. Das Problem scheint allerdings oft darin zu liegen, daß eine Institution mit ihren Strukturen und gewachsenen sozialen Gesetzmäßigkeiten zu einem mehr oder weniger neurotischen Teil der psychischen Struktur ihrer Mitglieder geworden ist und deshalb die Möglichkeiten "friedlicher" Veränderung  abhängig sind von den Möglichkeiten ihrer einzelnen Mitglieder, ihre eigenen neurotischen Anteile nicht der Institution aufzubürden. Wenn dies in einem zu starken Maße passiert, ist es wohl tatsächlich besser eine Institution aufzulösen, sofern das überhaupt noch möglich ist. Neue Arbeits- und Diskussionszusammenhänge können damit unbelasteter entstehen.

Fußnoten:
1 Vgl. dazu Modena 1993.
2 Eine große Ausnahme stellt hier das Psychoanalytische Seminar Zürich dar. Vgl. dazu das gleichnamige Themenheft der Zeitschrift Luzifer-Amor 12/1993.
3 Zur Entstehungsgeschichte der Werkstatt vgl. Institutsgruppe Psychologie 1984, Mätzler 1988 und Werkstatt 1993.
4 vgl. Werkstatt 1993.
5 Die mittlerweile etablierte und erfolgreiche Sexualberatungsstelle mußte 1994, nach achtjähriger Zugehörigkeit zur Werkstatt als einzigem klinisch-psychoanalytischem Standbein der Werkstatt unter der formalen Begründung, daß der ehrenamtliche Vorstand keine Verantwortung für ein Millionenbudget tragen könne, ein eigener Verein werden. Der freilich ebenfalls wieder einen ehrenamtlichen Vorstand hat.
6 Die Ausbildungsgruppen haben sich mit der Zeit aufgelöst und die meisten ihrer Mitglieder sind natürlich gezwungen, nun ihre Ausbildung im traditionellen Psychoanalytikerverband zu absolvieren.
7 Igor A. Caruso, Psychoanalytiker und Univ.Prof. für Klinische Psychologie, emeritierte 1979 und starb 1981. Mit seinem Interesse für die "sozialen Aspekte der Psychoanalyse" und als Begründer der Österreichischen Arbeitskreise für Tiefenpsychologie hatte er für die Psychoanalyse im Nachkriegsösterreich eine in manchen Aspekten [79] vergleichbare Bedeutung wie Alexander Mitscherlich für Deutschland. Um seine Nachfolge entstand ein längjähriger erbitterter Streit, der mit der Bestellung eines Psychoanalysegegners endete. Als Konsequenz daraus wurde die Werkstatt von den unterlegenen Studenten als psychoanalytische Alternative zur Universität gegründet.
8 Die österreichischen Arbeitskreise für Tiefenpsychologie wurden 1947 von Igor Caruso in Wien begründet. Im Laufe der Zeit entstanden auch in Innsbruck, Salzburg, Graz, Linz, Klagenfurt und Vorarlberg autonome Arbeitskreise, die sich Anfang der 90-er Jahre in "Arbeitskreise für Psychoanalyse" umbenannten. Die Arbeitskreise sind nicht Mitglied der IPV. Die von Freud begründete "Wiener Psychoanalytische Vereinigung" beschränkt ihre Tätigkeit lediglich auf Wien.
9 Die österreichische Studiengesellschaft für Kinderpsychoanalyse wurde 1976 von Caruso, nach seinem Austritt aus dem Arbeitskreis mitbegründet.
10 "Psychoanalyse in der Kleinstadt" heißt jene Arbeit von Johannes Reichmayr, in der er die Salzburger psychoanalytische Szenerie in der Zeit vor der Gründung der "Werkstatt" einer kritischen Analyse unterzieht.
11 Das einzige mir bekannte sozialpolitische Anliegen, das von österreichischen psychoanalytischen Institutionen in den letzten Jahren öffentlich vorgebracht wurde, bestand kürzlich in der auf einer Pressekonferenz vorgebrachten Besorgnis über die Gefährdung der klassischen Psychoanalyse durch die Restriktionen der Krankenkassen.
12 Die ReferentInnen dieser Tagung haben ihre Beiträge für einen Sammelband zur Verfügung gestellt, der im Frühjahr 1998 beim Verlag Vandenhoeck & Ruprecht unter dem Titel: "Trieb, Hemmung, Begehren - Psychoanalyse und Sexualität" erscheinen wird.
13 Jenes Gremium des Gesundheitsministeriums das für die Durchführung des Psychotherapiegesetzes verantwortlich ist.
14 Energien, die dann z.B. im wissenschaftlichen oder sozialpolitischen Engagement abgehen. So beschränkt sich die reale Tätigkeit des örtlichen Arbeitskreises im wesentlichen auf die Organisation der Ausbildung.
15 Eine weitere Form scheint z.B. in manchen sektiererischen Abspaltungen der institutionalisierte "Inzest" oder "Mißbrauch" zu sein, wenn Regeln des institutionellen Umgangs mit der Abstinenz als einer "freien" psychoanalytischen Ausbildung zuwiderlaufend angesehen werden. Diese inzestuöse "Freiheit" hat vorallem in der Frühzeit der Psychoanalyse zu allerlei tragischen Verwicklungen geführt. In welchem Ausmaß der institutionalisierte, inzestuöse Mißbrauch nach wie vor auch in etablierten Institutionen besteht, sieht man z. B. an der Vorschrift, Lehranalysen nur bei Analytikern des eigenen Verbands absolvieren zu dürfen.
16 Fallend, 1996, S.27.

Literatur:
Fallend, Karl: Sonderlinge, Träumer, Sensitive. Psychoanalyse auf dem Weg zur Institution und Profession. Wien 1996.
Institutsgruppe Psychologie der Universität Salzburg (Hg.): Jenseits der Couch. Psychoanalyse und Sozialkritik. Frankfurt/M.1984.
Mätzler, Karl: Frei flottierende Psychoanalyse an unsicheren Orten. Kritische Psychoanalyse in Österreich am Beispiel der Salzburger Werkstatt für Gesellschafts- und Psychoanalyse. In: Rexilius, G. (Hg.): Psychologie als Gesellschaftswissenschaft. Opladen 1988, S. 318-332.
Modena, Emilio: Hoffnungsvoll verzweifelt: Eine neue Freudsche Linke im Spiegel ihrer internationalen Kongresse. In: Luzifer-Amor. Zeitschrift zur Geschichte der Psychoanalyse, 6. Jg. Heft 12, 1993, S. 63-98.
Reichmayr, Johannes: Psychoanalyse in der Kleinstadt. In: Institutsgruppe Psychologie 1984, S. 255-274.
Wangh, Martin: Die deutsche Psychoanalyse und die nationalsozialistische Vergangenheit. In: Psyche 2/1996, S. 97-122.
Werkstatt für Gesellschafts- und Psychoanalyse: Informationspapier über das Ausbildungsseminar für Psychoanalyse (Antrag an den Psychotherapiebeirat). Unveröffentl. Manuskript. Salzburg 1993.

Dr. Karl Mätzler
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