Werkblatt Nr. 39, 2/1997: 95-121 Werkblatt - Zeitschrift für 
Psychoanalyse und Gesellschaftskritik

von Timothy Pytell

 

Was nicht in seinen Büchern steht -
Bemerkungen zur Auto-Biographie
Viktor Frankls

Timothy Pytell lehrt Geschichte an der Cooper Union for the Advancement of Science and Art in New York. Er schreibt seine Doctor Thesis über das intellektuelle Leben Viktor Frankls.
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Ein jüdischer Bürger Österreichs zu sein bringt einen in die Gefahr,
auf der einen oder der anderen von zwei gleichermaßen
unmöglichen Alternativen festgenagelt zu werden.
(Grosz 1995)1

Einmal mehr war ich Edward Hyde.
Einen Augenblick zuvor war ich noch des Respekts aller Menschen sicher,
reich und geliebt gewesen?
(Stevenson 1991)2

 

Viele Beobachter haben die Waldheim-Affäre und die Popularität Jörg Haiders als Symptome eines eigentümlichen österreichischen Unbehagens bezeichnet. In dieser Sicht sind Waldheim und Haider repräsentativ für eine nationale Identitätskrise. Die historischen Wurzeln dieser Krise werden dabei auf die Konstruktion Österreichs durch Resolutionen und Kompromisse zwischen den Großmächten zurückverfolgt.3 Bis 1933, wenn nicht sogar bis 1938, war die Mehrheit der österreichischen Bevölkerung davon überzeugt, daß Österreich als unabhängige Nation nicht lebensfähig sei. In der Zwischenkriegszeit traten die meisten österreichischen Politiker, einschließlich der Sozialdemokraten, für einen Anschluß an Deutschland ein.4 Aber nach dem verheerenden Krieg und der siebenjährigen Erfahrung nationalsozialistischer Unterdrückung wandelte sich die Einstellung Deutschland gegenüber. Statt Neid oder Mitgefühl empfanden die meisten Österreicher Verachtung oder gar Entrüstung und Haß für Deutschland. In der Folge wurde nach 1945 Deutschfreundlichkeit oft als Zeichen einer Deutschtümelei wahrgenommen.

Der Grundstein bei der Schaffung der österreichischen nationalen Identität bestand in der Opferklausel der Moskauer Deklaration von 1943. Die drei alliierten Mächte legten darin fest, daß Österreich das erste Opfer [95] Nazideutschlands gewesen sei. Die Erklärung erwähnte zwar auch, daß Österreich Verantwortung dafür zu übernehmen hatte, den Krieg an der Seite Deutschlands geführt zu haben; aber im politischen Klima des Kalten Krieges hatten sowohl Österreich als auch die Alliierten ihre Gründe dafür, über den letzteren Punkt hinwegzusehen.5 Der Mythos der Österreicher als Opfer der Nationalsozialisten war notwendig für die Schaffung eines westlich und liberal orientierten Österreich.6 Um ein Bollwerk gegen die Sowjetunion zu schaffen, kamen Österreich, Westeuropa und Amerika stillschweigend überein, die verlogene Darstellung zu unterstützen, daß Österreich ein Opfer der Nazis gewesen sei. Aber allen war die Wahrheit bekannt, daß Hitler und viele andere führende Nationalsozialisten aus Österreich kamen, und daß es bei Kriegsende über 600.000 österreichische NSDAP-Mitglieder gab. Österreich war somit auf ziemlich unsicheren Grundlagen aufgebaut.7 Dennoch förderte der wirtschaftliche Erfolg der Nachkriegszeit wie auch die "Erfindung einer österreichischen Tradition" das Wachsen eines nationalen Gefühls bei der Mehrheit der Bevölkerung. Dementsprechend wurde der österreichische Opfermythos weitgehend akzeptiert. Eine solche Rolle schafft Unbehagen, das seit einiger Zeit an die Oberfläche drängt.

In der Zeit nach 1945 war Österreich das einzige bereits von sowjetischen Truppen besetzte Land in Europa, das volle Unabhängigkeit erlangte. Die österreichische Souveränität wurde wiedergewonnen, indem innere Gegensätze zwischen den politischen Parteien vertuscht wurden, weshalb die politische Kultur im Nachkriegsösterreich von einem Wunsch nach Stabilität geprägt war. Nach dem Trauma eines Bürgerkriegs in den dreißiger Jahren und der nationalsozialistischen "Besetzung" schuf Österreich ein System des sozialen Friedens. Mit dem Staatsvertrag des Jahres 1955 und dem darauffolgenden Abzug der alliierten Besatzungstruppen wurde ein mehr oder weniger korporatives System geschaffen, in dem das Parlament wenig bis keine Rolle in den Entscheidungsprozessen spielte. Stattdessen kontrollierten die Parteiführungen ein System von Einflußsphären und bügelten die Differenzen zwischen Kapital und Arbeitern in informellen Übereinkünften aus. Seit 1955 wurde diese Form politischer Macht im wesentlichen zwischen ÖVP und SPÖ aufgeteilt.

Der erste Riß in der Stabilität sowohl des "sozialen Friedens" als auch der unsicheren österreichischen Identität trat mit der Waldheim-Affäre und mit den Ende des Kalten Krieges zutage. Mit der Enthüllung, daß der Präsidentschaftskandidat Kurt Waldheim über seine Tätigkeiten [96] während des Zweiten Weltkriegs gelogen und daß er in seinem Lebenslauf seine bereits vor dem Krieg datierende Mitgliedschaft in nationalsozialistischen Vereinigungen "vergessen" hatte, fing der Mythos an, zu zerbröckeln.8 Seit der Waldheim-Affäre ist Österreich in eine Phase der Selbsterforschung eingetreten, die zu einer langsamen Aufdeckung einer verschütteten und vergessenen Vergangenheit geführt hat. Aber das Unbehagen und die Zweideutigkeit, die hinter der bequemen politischen und kulturellen Nachkriegssynthese verborgen lag - einer Synthese, die auf einer Verdrängung der Vergangenheit aufbaute - hatte weitläufige Auswirkungen.

Tony Judt vertritt die Auffassung, daß Österreichs Problem mit seinem öffentlichen Gedächtnis ein gesamteuropäisches Phänomen widerspiegelt, daß es in beinahe jedem Land existiert, das von Nazideutschland annektiert oder besetzt worden war. In so gut wie allen diesen Ländern kam es - in Österreich allerdings in besonders extremer Ausprägung - zur "Aufrichtung einer unnatürlichen und unhaltbaren Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart", die die jeweilige nationale Geschichte von ihrer Mitverantwortlichkeit für die nationalsozialistischen Verbrechen freisprechen sollte. Derart wurde der Nationalsozialismus zu einem lediglich deutschen Problem gemacht. Im Falle Österreichs wurde die nationale Identität "einem verlogenen Mythos, der in Zweideutigkeit wurzelt", anheimgestellt.9

Unter dieser Voraussetzung der verdrängten und zweideutigen Vergangenheit kommt es nicht überraschend, daß die von Jörg Haider geführte FPÖ ein erneutes Interesse daran zeigt, sich eine "brauchbare" historische Tradition zurechtzulegen. Statt die nationalsozialistische Vergangenheit zu verleugnen, versucht Haider, die Waffen-SS als "anständige Männer" von geistig überlegenem Charakter darzustellen. Neben diesen und zahlreichen anderen empörenden Stellungnahmen hat Haider u.a. die nationalsozialistische Beschäftigungspolitik als "ordentlich" oder die nationalsozialistischen Konzentrationslager als "Straflager" beschrieben.

Als Jude, Überlebender des Holocaust und Begründer der Schule der Logotherapie hat der international anerkannte Psychologe Viktor Frankl eine besondere Rolle im Nachkriegsösterreich eingenommen. In der Frage von Österreichs zweideutiger Vergangenheit wählte Frankl die Rolle eines Versöhners. Diese auf Aussöhnung ausgerichtete Haltung führte letztlich zu seinem Erfolg in einer Gesellschaft, die den Wert des "sozialen Friedens" besonders hochhält. Tatsächlich hatte Frankl im Nachkriegsösterreich [97] aber auch wenig andere Optionen. Sogar noch nach dem Holocaust konnte der tief verwurzelte Antisemitismus in der österreichischen Kultur fortwirken. Seit 1945 hat sich eine Tendenz gehalten, die an den Juden verübten Greueltaten zu verleugnen oder zumindest zu verharmlosen. Als Überlebender von Auschwitz konnte sich Frankl mit moralischer Autorität zu Holocaust und Nationalsozialismus öffentlich zu Wort melden; in der österreichischen Nachkriegskultur des Verleugnens und Verdrängens war Frankl gewiß eine der wenigen Stimmen, die über Auschwitz sprachen. Frankls auf Aussöhnung zielende Haltung war wohl die einzige Möglichkeit in der österreichischen Nachkriegskultur des Verleugnens - besonders für einen jüdischen Arzt, der eine wichtige gesellschaftliche Rolle spielen wollte.10

Am einzigartigen Beispiel von Frankls selbstgewählter Rolle eines Versöhners kann illustriert werden, wie das Nachkriegsösterreich es versäumt hat, sich ehrlich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Man kann nicht umhin sich zu wundern, weshalb sich der Überlebende von Auschwitz zu seiner versöhnenden Haltung entschlossen hat, nachdem seine gesamte Familie in den Konzentrationslagern ermordet worden war. Und warum akzeptierte, ja unterstützte Frankl sogar die österreichische Verdrängung der nationalsozialistischen Vergangenheit? Und schließlich: warum trat Frankl sowohl mit Waldheim als auch mit Haider gemeinsam in der Öffentlichkeit auf?
 

Versöhnung

Ein Beispiel für Frankls Rolle als Aussöhner war sein (kleiner) Part, den er in der Waldheim-Affäre übernahm. Am 9. September 1988 wurde ein Bild Frankls mit Waldheim in der Neuen Kronen Zeitung abgedruckt: Es zeigte Waldheim, wie er Frankl das "große silberne Ehrenzeichen mit dem Stern" überreichte. "Waldheim würdigte vor allem, daß ein Mann wie Frankl, der so viel mitgemacht hat, immer mit ganzem Herzen für die Versöhnung eingetreten ist." Frankl, der "nicht nur selbst KZ-Häftling [war], sondern auch in dieser Hölle des Nationalsozialismus seine gesamte Familie verloren [hat]," blickt direkt in die Kamera, mit einem etwas verlegen scheinenden Ausdruck. Der körperlich überagende Waldheim lächelte und erschien als glänzende Figur, vornehm und zufrieden. Und warum auch nicht? Frankl trug gerade zur "innenpolitischen Rehabilitierung" Waldheims bei. Frankls Entscheidung, das Ehrenzeichen von [98] Waldheim unter diesen Umständen (d.h. im unmittelbaren Gefolge der Waldheim-Affäre) entgegenzunehmen, ist fragwürdig.

Frankl und Waldheim gingen dabei freilich auch ein Verhältnis miteinander ein, das wechselseitigen Vorteil versprach. Frankl befriedigte seinen Wunsch nach Anerkennung und Ruhm. Für den gerade gewählten Waldheim war Frankl wichtig, um seine "Rehabilitierung" in mehrfacher Hinsicht voranzutreiben. Zum einen, weil Frankl einen Überlebenden darstellte, der offenbar keine feindseligen Gefühle gegenüber "guten" Nazis wie Waldheim hegte; daher hatte sein Auftreten mit Waldheim den Effekt einer Erleichterung von Waldheims Schuldlast für nationalsozialistische Verbrechen und verlieh diesem eine gewisse moralische und politische Legitimation. In einem weiteren Sinn kann Frankls auf Versöhnung zielendes Handeln auch im Sinne einer Bemühung um Linderung von Österreichs verletzter Identität gesehen werden. Und nicht zuletzt diente sein Auftreten mit dem ehemaligen Nazi auch einer Bekräftigung von Österreichs Opfermythos. Was Frankl betraf, so erschien er heroisch und gütig - großmütig genug - um zum Verzeihen fähig zu sein.

Es gab aber auch noch eine andere Ebene in ihrem Verhältnis zueinander. Einige von Waldheims Verteidigern bedienten sich eines versteckten Antisemitismus, indem sie behaupteten, daß er vom Jüdischen Weltkongreß (WJC) verleumdet würde. Das Beispiel einer grobschlächtigen [99] Verteidigung Waldheims wurde durch Carl Hödls Attacke gegen den WJC-Präsidenten Bronfman geliefert. Hödl, ÖVP-Vizebürgermeister von Linz, verglich die Angriffe auf Waldheim mit der Kreuzigung von Jesus - und rückte die Debatte damit in die Richtung eines Konflikts zwischen Christen und Juden. Er übte auch heftige Kritik daran, daß Waldheim auf die "Watchlist" gesetzt worden war, wie auch an Bronfmans Beschreibung von Waldheim als Teil der nationalsozialistischen Todesmaschinerie. Interessanterweise berief sich Hödl auch auf Frankls Ablehnung von kollektiver Schuldzuweisung, um seine Verteidigung Waldheims zu bekräftigen.11 Frankl spielte also die Rolle des versöhnenden, vernünftigen und gutwilligen Juden, der die "richtige" Haltung zur nationalsozialistischen Vergangenheit einnahm.12

Frankl wies darauf hin, wie "ironisch" es sei, daß sich ein Mensch in seiner Position im Jahre 1946 gegen kollektive Schuldzuweisungen ausgesprochen hatte; als Überlebender von Auschwitz hatte er jedenfalls das deutliche Empfinden, daß ihm die Autorität zustand, den Tätern zu vergeben.13 Was an seinem Standpunkt aber besonders überrascht, ist der Umstand, daß er diese Freisprechung nicht mit einem Prozeß der Introspektion verband. Er warf nie auch nur die Frage auf, ob und welches Verbrechen oder Unrecht denn begangen worden war; er unterschied nie zwischen kollektiver Schuld und kollektiver Verantwortlichkeit; er forderte nie, daß die österreichische Gesellschaft sich auf einen Prozeß der Selbsterforschung einlassen müsse, um ihre Rolle bei der Katastrophe des Nationalsozialismus aufzudecken. Gewiß würde eine solche Haltung im Nachkriegsösterreich auch nicht gut aufgenommen worden sein; daneben war er mit seiner Behauptung, daß es keine kollektive Schuld gibt, durchaus auch im Recht: Nicht Nationen, sondern nur Individuen können schuldig gesprochen werden; ein Nationalcharakter ist keine allumfassende Realität. Es gibt aber sehr wohl individuelle Schuld, und für die Mitglieder menschlicher Gemeinwesen gibt es auch eine kollektive Verantwortlichkeit. 1946 ging Frankl vom pauschalen Standpunkt aus, daß es keine Kollektivschuld gäbe - ohne je die Frage zu klären, um welche Schuld es sich eigentlich handelte.

In einer am 10. März 1988 am Wiener Rathausplatz gehaltenen Rede zum 50. Jahrestag der "Besetzung Österreichs durch die Truppen Hitlerdeutschlands" wiederholte Frankl seinen Standpunkt gegen die These von einer Kollektivschuld. Er behauptete, daß "es nur zwei Rassen von Menschen gibt: die Anständigen und die Unanständigen." Er ortete diese Trennlinie [100] ausnahmslos überall, in "jeder Nation, und innerhalb der Nationen" gehe sie "quer durch jede politische Partei..." Er dehnte sie auch auf die Konzentrationslager und die "mehr oder weniger anständigen Menschen, die der SS angehörten," aus. "Und gleichermaßen gab es auch unter den Gefangenen Schurken."14

Die Auffassung, daß es zwei Rassen von Menschen gibt, ist so allgemein (und nichtssagend), daß sie unweigerlich auf irgendeiner Ebene zutreffen muß. Frankl verwendete ein Argumentationsmuster, das als "vergleichende Trivialisierung" bekannt ist; alle, sogar die Opfer, seien schuldig. Frankls Behauptungen trugen dazu bei, Schuldgefühle zu beschwichtigen und die Aufmerksamkeit vom Unterschied abzulenken, daß die einen bereit gewesen waren, den Nazis zu dienen, die anderen hingegen den Weg des Widerstands gewählt hatten. Viele andere waren unanständige Menschen, die sich dazu entschlossen hatten, der nationalsozialistischen Partei beizutreten und ihr Programm zu verwirklichen, obwohl sie sich voll im Klaren darüber waren, daß es sich dabei um unmoralische und antidemokratische Zielsetzungen handelte, die mit den Mitteln des Terrors umgesetzt wurden. Obwohl Frankl dies wußte, verband er seine Ablehnung von kollektiver Schuldzuweisung keineswegs mit einer Verurteilung der österreichischen Nationalsozialisten; ebensowenig verurteilte er die Rolle, die der antidemokratische, christlich-autoritäre Staat dabei spielte, dem Nationalsozialismus den Weg zu ebnen. Stattdessen bekräftigte er die Opferklausel der Moskauer Deklaration und wich der Frage nach der österreichischen Verantwortlichkeit aus, indem er betonte: "Meine Damen und Herren, es war der Nationalsozialismus, der die Geisel der Rassenverfolgung über uns brachte."15 Er bekräftigte diese entschuldigende Darstellung - und wich dabei ein weiteres Mal der Frage nach der österreichischen Verantwortlichkeit aus -, indem er jegliche Schuld schlicht dem "Regime oder System" anlastete, "das die Schurken an die Spitze bringt... Darin liegt die wirkliche Gefahr." Dieses Wegschieben von Verantwortlichkeit sprach alle unter Hinweis auf das System frei; jede einzelne Person sei ja bloß ein unbedeutendes Rädchen im Getriebe gewesen, das im totalitären System gefangen war. Diese Version trug dazu bei, persönliche Verantwortung zu leugnen und Gewissensnöte zu beschwichtigen. Frankl verschleierte die spezifischen Verantwortlichkeiten für den Holocaust auch mit der generalisierenden Behauptung, daß "grundsätzlich jedes Land imstande ist, das Verbrechen des Holocaust zu begehen."16 [101]

Im Unterschied zu Frankl vertrat Karl Jaspers den Standpunkt, daß alle Deutschen eine gemeinsame "politische Haftung" für die Periode des Nationalsozialismus übernehmen müßten. In einer 1947 erschienenen Schrift forderte Jaspers die Deutschen dazu heraus, ihre politische Einstellung und ihren neuen Staat auf einer ehrlichen Auseinandersetzung mit den Verbrechen zu begründen, die in ihrem Namen vom nationalsozialistischen Regime begangen worden waren.17 Frankl war im Gegensatz dazu nicht in der Lage, etwa die politische Verantwortung für die antidemokratische Wende in Österreich zur Sprache zu bringen, die letztlich bis zum Anschluß führen sollte. In dieser Weise machte Frankl also das nichtssagende "System" - und nicht die betreffenden Menschen - für den Nationalsozialismus und den Holocaust verantwortlich.

Anläßlich der Gedenkveranstaltungen zum 50. Jahrestag der nationalsozialistischen Besetzung - der zeitlich mit der Waldheim-Affäre zusammenfiel - sprach sich Frankl auch dagegen aus, Menschen dazu zu bringen, "sich schuldig zu fühlen oder sich gar zu schämen... außer man wäre entschlossen, die heutigen jungen Menschen in die Arme der alten oder neuen Nazis zu treiben."18 In diesem Punkt ist Frankls Argumentation nun durchaus stichhaltig; eine auf vorhergehenden Generationen lastende Schuld kann möglicherweise zu neofaschistischen Reflexen führen.19 Dennoch ist es (wie Jaspers aufgezeigt hat) auch wesentlich, sich [102] mit einer Art metaphysischen Schuld zu konfrontieren, die auf jedem menschlichen Gemeinwesen lastet - mit einer Verantwortlichkeit für das, was im Namen der Vorfahren getan wurde. In diesem eingeschränkten Sinn trägt jede Generation von Österreichern (und allgemeiner gesprochen auch die Gemeinschaft des Westens insgesamt) eine Verantwortung für das Erbe des Faschismus und des Holocaust - nicht dafür, daß es dazu kommen konnte, aber doch die Verantwortung, die Erinnerung wachzuhalten, um einer Wiederholung solcher Katastrophen in ähnlicher Form vorzubeugen. Frankl forderte demgegenüber lediglich, daß die gegenwärtige Generation nicht für etwas zur Verantwortung gezogen werden sollte, "wofür ihre Eltern und Großeltern verantwortlich zu machen waren." Die Widersprüchlichkeit in seiner Haltung - die auch allgemeiner ein bezeichnendes Licht auf Österreichs Probleme mit seiner Vergangenheit wirft - besteht dabei darin, daß Frankl schon im Jahre 1946 alle nur als Opfer betrachtete und auch von "seiner" Generation nie erwartete, daß sie für den Nationalsozialismus zur Verantwortung gezogen werden sollte.
 

Die Freiheitliche Partei Österreichs

Angesichts dieser sichtweisen Frankls, die er zur österreichischen Vergangenheit vertreten hat, überrascht es nicht, daß er den Absichten der politischen Rechten auch in anderen Zusammenhängen durchaus gelegen kam. Seine Nominierung zur Ehrenbürgerschaft kam auf Initiative Haiders und der FPÖ zustande. Frankls Verbindungen zur FPÖ gehen offenbar auf das Jahr 1981 zurück, als sich der Parteitheoretiker Fritz Wolfram zustimmend auf seine Philosophie des Sinns bezog, der sich in einer "großen Idee oder in einer schenkenden Liebe für Menschen" erfüllen sollte.20 Vor allem aber war es Frankls zur Versöhnung auffordernde Haltung und seine subtile Art, die nationalsozialistischen Greueltaten zu verharmlosen, die ihn für die FPÖ sehr attraktiv machte. Eine von Haiders wichtigsten Anstrebgungen - der sich selbst als "guten Freund" Frankls bezeichnete - besteht darin, die Vergangenheit "brauchbar" auszulegen. Daher stimmen auch Frankls Behauptungen, daß es "keine Kollektivschuld" gäbe, "es gute Nazis und schlechte Nazis gab", "gute Gefangene und schlechte Gefangene", ganz besonders aber auch "gute SSler und schlechte SSler", sehr gut mit den politischen Absichten der FPÖ überein.21 [103]

Für die FPÖ war es kein einfaches Unterfangen, die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Frankl durchzusetzen. Die ÖVP war der Meinung, daß die Auszeichnung an einen katholischen Universitätsprofessor gehen sollte; die SPÖ war bereit, die Nominierung zu unterstüzten, während die Intellektuellen an ihrem linken Flügel allerdings von Frankl einen detaillierteren Lebenslauf forderten. Andererseits versuchte die SPÖ aber auch, die Bemühungen der FPÖ zu unterlaufen, indem sie Frankl eine andere, wenn auch etwas weniger hochstehende staatsbürgerliche Auszeichnung anbot. Frankl lehnte dies ab, was die FPÖ zum Anlaß nahm, die anderen Parteien unter Druck zu setzen, mit ihrer Nominierung an die Öffentlichkeit zu gehen und eine Unterschriftenaktion zu starten. Die anderen Parteien standen nun politisch mit dem Rücken zur Wand und stimmten der Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Frankl schließlich zu;22 die entsprechende Abstimmung ergab ein einstimmiges 99:0. Interessanterweise wurde der berühmte Nazijäger Simon Wiesenthal genau zur selben Zeit wie Frankl für die Ehrenbürgerschaft nominiert; in diesem Fall stimmte die FPÖ freilich dagegen, weil das Wiesenthal Center im Museum of Tolerance in Los Angeles neben den Bildern der Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pen und David Duke auch eine Photographie Haiders angebracht hatte. Wiesenthal selbst betrachtete die Nein-Stimmen der FPÖ "als Ehrenzeichen, und er erklärte, daß sein Name und die Auszeichnung keinen Sinn hätten, wenn Extremisten für ihn gestimmt hätten."23

Zu Frankls Gunsten muß immerhin hinzugefügt werden, daß er sich schließlich doch von Haider "distanzierte" und "wenig Verständnis" dafür hatte, daß Haider eine Rede vor Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS hielt.24 Rüdiger Stix, führendes FPÖ-Mitglied und Unterstützer von Frankls Nominierung, wies dazu mit einiger Verbitterung darauf hin, daß ihm Frankls Erklärung unaufrichtig erschien, wo Frankl doch - geradeso wie Haider - oft betont hatte, daß es auch gute SS-Angehörige gegeben habe.25 Frankls Tochter Gabriele Vesely-Frankl bekräftigte seinen Anspruch auf "Distanzierung" von Haider. Sie beschrieb die zufälligen Umstände, die zur "Freundschaft" zwischen Haider und Frankl geführt hatten, und sie verteidigte ihren Vater mit dem Hinweis, daß er eben "kein Politiker" sei.26 Dem ist freilich entgegenzuhalten, daß Frankl seine politischen Standpunkte in aller Öffentlichkeit vertrat - u.a. auch, als er im Jänner 1993 ein weiteres Beispiel für seine auf Aussöhnung zielende Haltung lieferte, indem er erklärte, daß "ein Dialog mit den Rechtsextremisten" notwendig sei.27 [104]

Insgesamt gelang es dem international renommierten Psychologen Viktor Frankl also, Anerkennung als "führender Bürger" Wiens zu gewinnen.28 Frankl war allerdings - ähnlich wie Waldheim und auch die österreichische Gesellschaft im allgemeinen - nicht sehr mitteilsam und offenherzig über seine durchaus zwiespältig zu beurteilende Vergangenheit. Wie wir sehen werden, gibt es dunkle Punkte in seiner Geschichte, die den Überlebenden von Auschwitz zu einem aufschlußreichen Beispiel machen, um sehr heikle Fragen der Vergangenheitsbewältigung auszuloten.
 

Dunkle Punkte

Das meiste, was wir über Frankls zweideutige Vergangenheit wissen, kann aus seiner Autobiographie "Was nicht in meinen Büchern steht" entnommen werden. Hier erfahren wir z.B., daß Frankl nach kurzen Annäherungen sowohl an Freud als auch an Adler in den zwanziger Jahren29 seine Arbeit an der Universitätsklinik unter Otto Pötzl aufnahm. Pötzl war eine politisch sehr fragwürdige Pesönlichkeit. Er behauptete, von 1930 bis 1933 Beiträge an die NSDAP eingezahlt zu haben, ohne aber eine Mitgliedskarte erhalten zu haben; tatsächlich trat er der Partei im Dezember 1943 bei. Aus unbekannten Gründen veranlaßte er jedoch in der Folge, seinen Beitrittsantrag zu revidieren und ihn auf Jänner 1941 vorzudatieren.30 1938 befürwortete Pötzl die Sterilisierung von Geisteskranken mit der Begründung, daß dies "für die Zukunft des Volkes unverzichtbar ist."31 Im Jahre 1945 verlor Pötzl in einem Entnazifizierungsverfahren seine Stellung als Vorstand der Universitätsklinik. Frankls Beziehung zu Pötzl geht auf das Jahr 1928 zurück, als er Pötzl zum "Ehrenpräsidenten" seiner gerade im Entstehen begriffenen Bewegung für die Beratung Jugendlicher ernannte.32 1996 behauptete Frankl: "Abgesehen von Freud und Adler war Pötzl für mich 'das' Genie."33 Bis zu seinem Tod empfand er für ihn also eine hohe Wertschätzung. Seine Verbundenheit mit Pötzl wird auch verständlich, wenn man bedenkt, daß Frankl gerade in der Zeit, als er in den späten zwanziger und frühen dreißiger Jahren unter ihm arbeitete und studierte, anfing, seine Logotherapie auf systematische Grundlagen zu stellen.

Sowohl Frankls Einstellung zu Pötzl als auch allgemeiner seine auf Aussöhnung orientierte Haltung wird vielleicht auch im Zusammenhang seiner Tätigkeit in den dreißiger Jahren erklärbar. Vor diesem Hintergrund [105] kann der Umstand, daß er sich einer moralischen Verurteilung der nationalsozialistischen Vergangenheit enthalten hat, zum Teil mit seiner persönlichen Mitwirkung an der nationalsozialistischen Psychotherapie-Bewegung in Verbindung gebracht werden - mit einer Tatsache also, die er nie öffentlich eingestanden hat, bei deren Beurteilung allerdings auch Vorsicht geboten ist; der besondere Charakter der nationalsozialistischen Psychotherapie-Bewegung, aber auch die schwierigen Umstände, mit denen Frankl in den dreißiger Jahren in Wien konfrontiert war, müssen dabei bedacht werden. Sein zweideutiges Verhältnis zur nationalsozialistischen Psychotherapie-Bewegung muß auf unterschiedlichen Ebenen verstanden werden. Es gab kulturelle, berufliche, persönliche und intellektuelle Gründe, die seinen Handlungsspielraum diktierten und beschränkten.

Mitte der zwanziger Jahre war Frankl politisch eindeutig mit den Sozialdemokraten des roten Wien verbunden, aber seine Ablehnung durch Adler im Jahre 1926 und danach die Anfänge des langsamen Abdankens des Sozialismus nach 1927 versetzten ihn, wie viele andere, in politische Orientierungslosigkeit. Er war noch Medizinstudent, als er sich 1928 Pötzl anschloß und Beratungszentren für arbeitslose und selbstmordgefährdete Jugendliche aufbaute. Er blieb diesem Engagement auch nach erfolgreicher Beendigung seines Studiums im Jahre 1930 treu, als er (zunächst unter Pötzl und später unter Dr. Joseph Gerstmann) als Arzt am Maria-Theresien-Schlößl tätig war. Von 1933 bis 1937 arbeitete Frankl dann in der Station für selbstmordgefährdete Frauen am Psychiatrischen Krankenhaus Steinhof.34 In den Jahren 1936 und 1937 nahm er als Kommentator an allen vier Seminaren teil, die von der österreichischen Landesgruppe der von Matthias Heinrich Goering geleiteten deutschen Psychotherapie-Bewegung durchgeführt wurden35 (Juden war es bei diesen Seminaren zwar nicht gestattet, Referate zu halten, sie konnten aber bis 1938 noch als Kommentatoren an ihnen teilnehmen36). 1937 schrieb Frankl auch einen Artikel zur "geistigen Problematik der Psychotherapie" für die Zeitschrift des Goering-Instituts, das Zentralblatt für Psychotherapie.37 Im Jänner 1938, zwei Monate vor dem Anschluß, warb er öffentlich - wenn auch naheliegenderweise in etwas verschlüsselter Form - in "Der christliche Ständestaat" für die führenden Vertreter des Goering-Instituts38 (diese Zeitschrift vertrat natürlich eine anti-nationalsozialistische Orientierung). Es überrascht nicht, daß diese Tatsachen weder von Frankl selbst noch von seinen Anhängern jemals deutlich zur Sprache gebracht worden sind.39 [106]

Nach dem Anschluß verlor Frankl seine Verbindung zum Goering-Institut; er war auch nicht mehr in der Lage, als Arzt zu praktizieren. Schließlich nahm er eine Anstellung als "Judenbehandler" an und wurde in der Folge "jüdischer Fachbehandler" am Rothschildspital. Er war Leiter der neurologischen Station, wo ihn seine Kollegen mit dem eigenartigen Spitznamen "Nervengoebbels" bedachten.40 In Frankls Lebenslauf im Wiener Universitätsarchiv wird seine Arbeit am Rothschildspital mit 1939-1942 datiert; andere Quellen geben als Zeitraum seiner Anstellung 1940-1942 an.41 Nach dem Anschluß fungierte das Rothschildspital auch als jüdisches Gemeindezentrum. Es war eine der wenigen Einrichtungen, in denen Juden arbeiten konnten, und Frankl mußte sich daher auch glücklich geschätzt haben, dort eine Anstellung zu haben. Wahrscheinlich ersetzte er einen der Ärzte, denen es gelungen war zu emigrieren.42 Die Literatur über das Rothschildspital ist extrem dünn gesät;43 es ist jedenfalls bekannt, daß die SS dort regelmäßige "Razzien" durchführte.44 Angeblich wurde es im April 1939 in nationalsozialistische Verwaltung übernommen.45 Was die Formen des Drucks betrifft, denen Frankl unter den extremen Umständen jener Jahre ausgesetzt gewesen sein muß, ist man nur auf Vermutungen angewiesen. [107]

In seiner Zeit am Rothschildspital führte Frankl eine Reihe von umstrittenen hirnchirurgischen Experimenten an Patienten durch, die einen Selbstmordversuch unternommen hatten. In seiner ersten autobiographischen Darstellung aus dem Jahre 1973 erwähnte Frankl diese Experimente noch mit keinem Wort.46 Während er sie zwar in einem 1981 auf Tonband aufgenommenem Interview erwähnte, konnte er sich erst 1995 dazu entschließen, sie erstmals in einer öffentlichen Darstellung zur Sprache zu bringen. In seiner von sich selbst eingenommenen Art beschrieb er darin seine damaligen Forschungsbemühungen - wobei er sogar stolz hinzufügte, daß er diese Experimente durchführte, obwohl er gar keine Ausbildung in Hirnchirurgie gehabt hatte und "Professor Schönbauer mir nicht [erlaubte], in seiner Klinik auch nur zuzuschauen, wenn er oder sein Stab hirnchirurgische Eingriffe unternahmen." Er wies auch darauf hin, daß "Primarius Reich, der Chirurg am Rothschildspital, es abgelehnt [hatte], welche zu unternehmen."47 Frankl entschloß sich dazu, sich die für seine hirnchirurgischen Eingriffe notwendigen technischen Kenntnisse über entsprechende Fachlektüre anzueignen. Unzweifelhaft waren diese Experimente für ihn sehr wichtig; im September 1942 - groteskerweise genau zu der Zeit, als Frankl nach Theresienstadt deportiert wurde - veröffentlichte er auch einen Artikel, der seine Untersuchungen dokumentierte. Obwohl Frankl die Darstellung seiner Forschungsbemühungen in ein heroisches Licht tauchte, weist sein erst in hohem Alter gemachtes "Eingeständnis" darauf hin, daß es im Zusammenhang dieser Experimente sehr beunruhigende Fragen gab und gibt.

Unter normalen Umständen würden experimentelle Bemühungen, Patienten, die Selbstmord begehen, wieder zum Leben zu erwecken, dem Hippokratischen Eid entsprechen, Leben zu erhalten. Aber unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Besetzung - und noch dazu in einem jüdischen Krankenhaus unter nationalsozialistischer Kontrolle - erscheinen diese experimentellen Operationen, die an Menschen durchgeführt wurden, die sich zum Selbstmord entschlossen hatten, um nicht deportiert zu werden, in mehrfacher Hinsicht moralisch fragwürdig. Frankl behauptete, daß es in den frühen vierziger Jahren an jedem Tag bis zu zehn Selbstmorde von Juden gab und es daher gerechtfertigt gewesen sei, wenn er im Bemühen, sie zu retten, experimentelle und riskante Mittel anwandte. Wir wissen, daß ungefähr 1200 Wiener Juden in der Naziära Selbstmord begingen;48 Selbstmord - die "Masada-Lösung" - war insbesondere unter den assimilierten österreichischen Juden der oberen Mittelklasse, die vor der Deportation standen, sehr verbreitet. [108]

Jedesmal wenn Patienten eine Überdosis von Schlaftabletten eingenommen hatten und daraufhin von anderen Ärzten als tot aufgegeben worden waren, empfand es Frankl, wie er sagte, offenbar als "gerechtfertigt, etwas zu versuchen." Zunächst gab er "einige intravenöse Injektionen... und wenn das nicht wirkte, gab ich ihnen Injektionen ins Hirn... in die Cisterna Magna. Und wenn auch das nicht wirkte, machte ich einen Trepan und öffnete den Schädel... führte medikamentöse Substanzen in den Ventrikel ein und machte eine Ausspülung, damit diese Substanzen in den Aquaeductus Sylvii gelangen konnten... Personen, deren Atmung ausgesetzt hatte, fingen plötzlich wieder an zu atmen." Aber es gelang ihm "nur, sie 24 Stunden lang am Leben zu erhalten, nicht länger."49 Die von Frankl bevorzugten Substanzen waren Pervitin und Tetrophan.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß diese aggressiven medizinischen Bemühungen Frankls im Einklang mit der althergebrachten Wiener medizinischen Tradition in der experimentellen und innovativen Forschung standen. Sowohl Frankls und auch Pötzls medizinische Arbeit in den späteren dreißiger und frühen vierziger Jahren wiesen diesen experimentellen Charakter auf. So wird Pötzl z.B. (neben anderen) die Erfindung und breit angelegte Erprobung der Insulinschocktherapie zugeschrieben.50 Frankl gab auch an, daß er die schizophrenen und melancholischen Patienten, die er vor der Euthanasie rettete, mit "Cardiazolschocks" behandelte.51 Sowohl Frankl als auch Pötzl führten Lobotomien und Schocktherapien durch, und Frankl erhob auch den Anspruch, die Drogentherapie für Psychosen auf dem europäischen Kontinent eingeführt zu haben.52 Insgesamt entsprach also Frankls aggressiv-experimentelle Vorgangsweise im Rothschildspital durchaus der medizinischen Praxis der Wiener Ärzte in der Zwischenkriegszeit.53

Das nach Frankls Angaben von ihm konsultierte Werk über Hirnchirurgie stammte von Walter E. Dandy,54 der neben seinem Mentor Harvey Cushing der wahrscheinlich einflußreichtste Experte auf dem Gebiet der modernen Hirnchirurgie war.55 Dandys große wissenschaftliche Errungenschaft war die Entwicklung der Ventrikulographie, einer Technik, die es ermöglichte, das Gehirn in klaren Röntgenaufnahmen zu erfassen, und die somit die Entdeckung und Entfernung von Hirntumoren erleichterte. Dandy machte diese Entdeckung bereits in jungen Jahren und wurde in der Folge ein angesehener Chirurg. Aber worin bestand nun die genaue Beziehung zwischen Dandys Arbeit und Frankls exoperimentellem Vorgehen? [109]

Da Dandy niemals die direkte Einführung von Amphetaminen in die Hirnhohlräume erwähnte, konnen wir annehmen, daß dies Frankls Idee war. Tatsächlich sprach Frankl diesen Punkt gleich am Beginn seines Artikels an, indem er auf "Möglichkeiten" hinwies, "eine medikamentöse Substanz immer rascher und immer näher an den Ort der Wirkung zu bringen."56 Die medikamentöse Substanz, die Frankl dabei einsetzte, war das Amphetamin Pervitin, das, obwohl es noch relativ neu war, in deutschen militärischen und zivilen Krankenhäusern weithin Anwendung fand. Die übliche Einführung der Substanz in den Körper erfolgte über den Blutkreislauf zur zerebrospinalen Flüssigkeit. Normalerweise wurde Pervitin intravenös injiziert, was Frankl bei seinen Experimenten zunächst ebenfalls tat.57 In der Folge meinte er aber, daß er den Blutkreislauf umgehen und die Substanz direkt in die zerebrospinale Flüssigkeit einführen könnte. Dandys Werk über die Ventrikulographie legte zwei Möglichkeiten nahe, diesen Effekt zu erzielen. Eine bestand darin, sie in das Rückgrat bzw. über eine Lumbalpunktur zu injizieren, während die zweite über einen Trepan des Schädels und die Einführung in die Cisterna Magna oder die Ventrikel zustandekommen würde. Für die Injektion von Luft verwarf Dandy die Lumbalpunktur "als überflüssig... da eine Ventrikelpunktur dieselbe und darüber hinaus noch viel zusätzliche Information liefert, während sie mit viel geringeren Risiken verbunden ist."58 Frankl bediente sich sowohl der Lumbalpunktur als auch des Trepans, um die Substanz einzuführen. Wie er aber bemerkte (und wie auch sein Artikel aufzeigte), hatte seine Forschung zu keinen schlüssigen Ergebnissen geführt. Dennoch entschloß er sich dazu, sie zu veröffentlichen.59 [110]

Frankl sah es offenbar in dieser extremen Situation für gerechtfertigt, "etwas zu probieren." Wie er aber selbst eingestand, hatte er keine entsprechende Ausbildung und verfügte lediglich über ein beschränktes Wissen, das nur auf lückenhafter Lektüre statt auf klinischer Erfahrung beruhte. Frankl ging an die Grenzen der medizinischen Ethik. Derartige Versuche sollten, wenn irgend möglich, zuerst über einen längeren Zeitraum an Tieren gemacht worden sein und von einer soliden Grundlage an klinischer Beobachtung und Erfahrung ausgegangen sein; keines dieser Kriterien traf freilich zu. Es ist sicher möglich, daß sich Frankl einfach dafür einsetzte, Patienten, die Selbstmord begingen, unter allen Umständen zu retten. Aber er setzte zweifelhafte medizinische Methoden ein, um dieses Ziel zu erreichen; und es ist wahrscheinlich, daß er diese Experimente auch deswegen durchführte, weil er damit sein eigenes Überleben zu sichern hoffte.60 Der Einsatz außergewöhnlicher Mittel, um Juden zu retten, die aus eigenem Entschluß den Selbstmord gewählt hatten, wurde von Frankls Kollegen im Krankenhaus in keiner Weise gutgeheißen. So beschreibt Frankl, wie "meine Assistentin Frau Dr. Rappaport [dagegen] protestierte, daß ich Leute, die einen Selbstmordversuch unternommen hatten, zu retten versuchte. Dann kam der Tag, an dem Frau Dr. Rappaport selbst den Befehl erhielt, sich zur Deportation einzufinden. Sie unternahm daraufhin einen Selbstmordversuch, wurde auf meine Abteilung eingeliefert und von mir ins Leben zurückgeführt und später deportiert."61

Dennoch war sich Frankl offenbar des moralischen und ethischen Dilemmas bewußt, mit dem er aufgrund seiner Experimente konfrontiert war, da er am Schluß des Artikels, in dem er diese dokumentierte, die Auffassung vertrat:

"Im übrigen mag erwähnenswert sein, daß wir bei der Behandlung von Suizidanten uns auf den Standpunkt stellten, daß alles, was therapeutisch möglich ist, auch getan werden soll. Denn wir teilen nicht die Meinung, dem 'Schicksal' seinen Lauf zu lassen und ihm nicht 'in die Hände zu fallen'. Vielmehr sind wir der Ansicht, daß wir zu retten haben, wen wir können; wenn das Schicksal oder die Vorsehung einen Kranken nun einmal uns in die Hände gespielt hat, verzichten wir darauf, Schicksal zu spielen und halten es nicht für die Aufgabe des Arztes, über Sein oder Nicht-Sein eines Menschen entscheiden zu wollen."62

Diese abschließende Erklärung bringt Frankls verteidigende Haltung im Hinblick auf seine Bemühungen zum Vorschein. Seine [111] Rechtfertigung, daß der Arzt nicht das Recht habe, Gott zu spielen, brachte ihn in eine schwierige, wenn nicht widersprüchliche Position in der Verteidigung seiner radikalen Maßnahmen.
 

Der Selbstmord

Der Selbstmord als Reaktion auf die nationalsozialistische Unterdrückung hatte auch einen politischen Aspekt. Diese politische Seite blieb allerdings oft verdeckt, da die Mehrheit derer, die angesichts erzwungener Kollaboration oder der Deportation den Selbstmord wählten, dies in aller Stille und mit einer stoischen Haltung taten.63 Es gab aber auch den "'dramatischen Protest'... jenes Juden, der in ein Wiener Kaffeehaus stürzte, 'Heil Hitler' schrie und sich dann vor den Augen der Kunden den Hals durchschnitt."64 Konrad Kwiet hat die Frage des Selbstmords unter diesen Umständen in außergewöhnlicher Weise reflektiert. Wenn wir, Kwiet zufolge, Widerstand in einem "weiteren Sinn" betrachten, nämlich als "eine 'Abweichung vom vorgeschriebenen Modell'... so war der Selbstmord der äußerste und radikalste Versuch, dem nationalsozialistischen Terror zu entkommen. Und es kann keinen Zweifel geben: Jüdische Selbstmorde störten tatsächlich den reibungslosen technisch-bürokratischen Prozeß der Ausschließung und Ausrottung. Dieser Verstoß -- der als Widerstand bezeichnet werden kann -- wurde auch nicht geduldet. Die Nationalsozialisten waren bestrebt, jüdische Selbstmorde zu verhindern. Wo immer Juden versuchten, sich umzubringen -- in ihren Wohnungen, in Krankenhäusern, auf den Deportationszügen, in den Konzentrationslagern -- schritt die nationalsozialistische Obrigkeit ausnahmlsos ein, um das Leben der Juden zu retten, auf ihre Genesung zu warten und sie dann zu ihrem vorgeschriebenen Tod zu schicken."65

Der Selbstmord war also unter diesen Umständen ein politischer Akt, aber auch - in einem weiteren Sinn - eine Form von Widerstand, da die Nationalsozialisten alles in ihrer Macht stehende taten, um jüdische Selbstmorde zu verhindern und zu vereiteln. Die politische Seite des Selbstmords unter diesen Umständen zu verleugnen, beleidigt das Andenken, die Menschlichkeit und den Charakter jener, die einen so schweren Entschluß trafen. [112]

Frankls Entscheidungen und seine medizinische Forschung standen in scharfem Gegensatz zur Einstellung anderer jüdischer Ärzten, die vor ähnlichen Alternativen standen. Für Ärzte in Berlin drehte sich die Debatte über jüdische Selbstmorde um die Frage, ob man dem "Patienten" das Mittel (normalerweise Schlaftabletten) bereitstellen sollte, um ihm seinen Selbstmord zu erleichtern. Dies stellte mehr als bloß ein moralisches Dilemma für die jeweiligen Ärzte dar, da die Gestapo "herausfinden wollte, woher sich die betreffenden Individuen die Mittel für ihre Selbstmordversuche beschafft hatten."66 Am bezeichnendsten für die Diskussion der Selbstmordwelle unter Berliner Ärzten ist der Umstand, daß "sich keine Stimme gegen den Vorschlag erhob, daß der letzte Wille derer, die versucht hatten, sich ihr Leben zu nehmen, respektiert werden sollte, indem man ihnen zu sterben erlaubte."67 Daher ist Frankls Darstellung seiner Forschung als heroische ärztliche Bemühung, die die Wucht der nationalsozialistischen Maßnahmen unterminierte, unglaubwürdig. Im Kern dieser ethischen und moralischen Überlegungen liegt immer wieder die Frage, wie weit ging Frankl in seiner Anpassung gegenüber den Nationalsozialisten.

Frankls radikale Maßnahmen zur Verhinderung jüdischer Selbstmorde stimmten mit der nationalsozialistischen Vorgangsweise überein, jüdische Selbstmorde zu vereiteln; aber offenbar war Frankl vom Gefühl geleitet, daß es seine Pflicht als Arzt war, neue Methoden zu erfinden, um Leben zu retten. Letzten Endes erlaubten ihm seine Forschungen, beiden Interessen zugleich zu dienen. Es konnte den Anschein haben, daß er auf der Seite der Opfer stand, indem er als Jude in einem nationalsozialistisch kontrollierten Krankenhaus arbeitete und alles in seiner Macht stehende tat, um jüdische Leben zu retten. Dies war seine Version der Geschichte seiner Forschnungen, die eines heroischen Frankl, der sich schon lange mit dem Problem des Selbstmords befaßt hatte und nunmehr daran ging, Maßnahmen zu ergreifen, die so radikal wie nur möglich waren, um Selbstmorde zu vereiteln.

Wie konnte es einem "Judenfachbehandler" aber gelingen, diesen Artikel im Jahre 1942 zu veröffentlichen? Es gibt mehrere denkbare Antworten auf diese Frage. Gelegentlich deutete er an, daß er den Artikel wegen der nationalsozialistischen Herrschaft lediglich in der Schweiz veröffentlichen konnte. In seiner letzten autobiographischen Darstellung behauptete er allerdings, daß der Artikel "vom Judenreferenten der [113] nationalsozialistischen Ärztekammer [gebilligt]" worden war.68 Unzweifelhaft hatten die Nationalsozialisten an dem Artikel nichts auszusetzen. Interessanterweise machte Frankl am 20. Februar 1972 in einer Vorlesung an der United States International University die folgenden Angaben:

"Ich wurde in die Konzentrationslager gesteckt, bevor ich die Untersuchung abschließen konnte. Sie wurde übrigens veröffentlicht, und die Nationalsozialisten hofften, daß sie im Krieg, in den Kampfhandlungen an ihren Soldaten erprobt und genutzt werden könnte. Deshalb ermutigten sie mich sogar, sie in der Schweiz zu veröffentlichen, damit sie darüber in einer Zeitschrift lesen konnten. Nur diesem Umstand verdanke ich diese Möglichkeit, sie zu veröffentlichen."69

Diese widersprüchlichen Darstellungen bringen mehrere Tatsachen ans Licht. Erstens macht die unzensierte Ehrlichkeit seiner Darstellung seinen Studenten gegenüber klar, daß seine Eingriffe bei Selbstmorden von den Nationalsozialisten unterstützt wurden. Zweitens zeigt sich, daß Frankl offenbar in Abstimmung mit dem nationalsozialistischen Establishment agierte und er bereit war, für sie zu arbeiten. Eine ehrliche Beurteilung muß daher zur Einsicht gelangen, daß die Untersuchung ihm erlaubte, "nützlich" für die nationalsozialistischen Kriegsanstrengungen zu erscheinen, und offenbar war er dankbar dafür, daß die Nationalsozialisten seine Bemühungen anerkannten. Letzten Endes war Frankl bereit, mit dem nationalsozialistischen Regime zusammenzuarbeiten, und trat offenbar nie in aktiven Widerstand.70 Frankl verteidigte sein Handeln gegen kritische Einwände, indem er behauptete: "Das ist genauso problematisch [114] wie die Behauptung, jemand hätte lieber ins Konzentrationslager gehen sollen als sich den Nazis zu beugen."71 In diesem Artikel wird gewiß keinerlei Behauptung dieser Art vertreten, und es fehlt hier auch der Platz, um die Beziehungen zwischen den Ursprüngen der Logotherapie, Frankls vielschichtiger Schuld und seinem intellektuellen und politischen Engagement nach dem Krieg umfassend zu erörtern. Aber dieser Einblick in Frankls verborgene Vergangenheit trägt zur Erklärung bei, warum er die Rolle eines Aussöhners wählte und warum die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an ihn das österreichische Unbehagen so beispielhaft illustriert.

Wenn Frankls letzte autobiographische Reflexionen also auch keine restlose Aufklärung bieten, so kann insgesamt doch gesagt werden, daß sein einunddreißigstes Buch das, "was nicht in seinen Büchern steht", ansatzweise zu enthüllen begann. In der österreichischen Kultur der Verleugnung spiegelten Frankls letzte Eingeständnisse in tiefgreifender Weise das Unbehagens eines Landes, das mit seiner Vergangenheit nicht im Klaren ist. Im Jahre 1995 fühlte sich Frankl "sicher" genug, um seine fragwürdigen ärztlichen Handlungen - die einen Bruch der Solidarität mit anderen jüdischen Ärzten bedeuteten und seinen Patienten ihren letzten Willen verweigert hatten - als heroische Bemühungen darzustellen, um Leben zu retten. In Wahrheit diente Frankls medizinische Forschung aber der Absicht eines unterwürfigen Entgegenkommens, das einen gewissen beruflichen Opprtunismus zum Ausdruck brachte, aber auch auf einen verzweifelten Versuch hinauslief, der Deportation zu entgehen. Dieser Einblick in Frankls kompromittierendes Handeln im Vorfeld und zu Beginn des Krieges liefert uns Hinweise, um seine Affinität sowohl für Waldheim als auch für Haider zu verstehen. Wie Waldheim war auch Frankl daran gelegen, zu versöhnen und die Vergangenheit im Dunkeln zu belassen. Als er aber schließlich doch noch auf die verdrängte Vergangenheit stieß, verhielt sich Frankl ähnlich wie Haider, insofern er nur an an einer verschleierten und "gesäuberten" Darstellung der Vergangenheit interessiert war. Daher überrascht es ein wenig, daß sich Frankl überhaupt dazu entschloß, diese auf den neuesten Stand gebrachte Version seiner Kurzbiographie zu veröffentlichen.72 Der Umstand, daß er dies immerhin tat, gibt Anlaß zur Hofffnung, daß Frankls letzte Aussöhnung in gewisser Weise dazu beitragen wird, daß die Aufarbeitung der verdrängten Vergangenheit in Österreich weitergehen wird.

Übersetzung aus dem Englischen: Dr. Joe Berghold (Wien) [115]
 

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Timothy Pytell
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e-mail: tpytell@msn.com

Veröffentlicht in: Werkblatt Nr. 39, 2/1997: 95-121.
 

Fußnoten:

1 Grosz, 1995, S. 264.
2 Stevenson, 1991, S. 91.
3 Durch den Friedensvertrag von St. Germain von 1918 und durch die Moskauer Deklaration von 1943 (in welchem Österreich als das erste Opfer des Nationalsozialismus bezeichnet wurde) wurde zwischen den Siegermächten die Existenz des Staates Österreich durch diplomatische Resolutionen festgelegt.
4 Nach Hitlers Machtergreifung in Deutschland strichen die Sozialdemokraten im Mai 1933 die Forderung nach einer Vereinigung mit Deutschland aus ihrem Programm. Wie jedoch die Archivquellen zeigen, gab es seitens der österreichischen Bevölkerung wenig bis keinen Widerstand gegen den Anschluß im Jahre 1938. Vgl. die ausgezeichnete Diskussion dieser Frage in Mitten, 1992, S. 12-17.
5 Vgl. die ausgezeichnete Diskussion dieser Frage in Fellner, 1988, S. 264-289.
6 Zur Frage, warum es Stalin mißlang, Österreich unter seine Kontrolle zu bringen, zu den politischen Motiven hinter der amerikanischen Akzeptanz des Mythos vom österreichischen Opferstatus, wie auch zum daraus folgenden Verzicht auf die Entnazifizierung Österreichs, vgl. Piotrowski, 1988, S. 246-277.
7 Der historisch stark verwurzelte politische Konservativismus in Österreich wird durch Dolfuß' Niederschlagung der Arbeiterbewegung im Februar 1934, wie auch durch die Niederlage des nationalsozialistischen Staatsstreichs nach Dolfuß' Ermordung im Juli 1934 illustriert. In beiden Fällen siegten die Kräfte der "österreichischen Ordnung" über die politischen Bestrebungen der Linken bzw. der Rechten. Insgesamt macht das Fehlen einer soliden demokratischen Tradition die politischen Grundlagen der Zweiten Republik sehr fragwürdig.
8 Vgl. die ausgezeichnete Diskussion dieser Fragen in Mitten, 1992, S. 246-261.
9 Judt, 1992-94, S. 83-118.
10 In seinen Lebenserinnerungen "Was nicht in meinen Büchern steht" schrieb Frankl, daß er, als er von den Vernichtungslagern nach Wien zurückkehrte, zu seinem Freund Paul Polak sagte: "Ich habe das Gefühl, ich kann es nicht anders sagen, als ob etwas auf mich warten würde, als ob etwas von mir verlangt würde, als ob ich für etwas bestimmt wäre." S. 82
11 Vgl. Hödl, 1990, S. 141-147.
12 Zum Verhältnis zwischen dem WJC und Waldheim vgl. Mitten, 1992, S. 119-137.
13 Frankl, 1995, S. 80-81; vgl. auch 1951, S. 24-31.
14 Frankl, 1988, S. 5.
15 Frankl, 1988, S. 5.
16 Frankl, 1988, S. 5.
17 Vgl. Jaspers, 1986, S. 396-408.
18 Frankl, 1988, S. 5.
19 Diese Forderung nach einer unbelasteten Vergangenheit ist mit Hannah Arendts Konzeption der "natality" vergleichbar, derzufolge jede Generation die Chance zu einem Neubeginn hat.
20 Wolfram, 1981, S. 29.
21 Frankl stellte die letztgenannte Behauptung 1993 in einem österreichweit ausgestrahltem Fernsehinterview auf (eine Aufzeichnung davon befindet sich auch im Parteiarchiv der FPÖ). Dr. Rüdiger Stix, FPÖ-Mitglied im Verteidigungsministerium, erklärte, daß seine Partei Frankl aufgrund dieses Interviews des Jahres 1993 für die Ehrenbürgerschaft nominierte. Bezeichnenderweise traten im Jahr 1993 die liberaleren, eher "links" orientierten FPÖ-Mitglieder aus der Partei aus und gründeten das Liberale Forum. Somit schien Frankl für den Versuch instrumentalisierbar zu sein, eine nunmehr noch weiter nach rechts tendierende Gruppierung zu legitimieren und zu rehabilitieren.
22 Diese Darstellung der politischen Hintergründe von Frankls Nominierung stammt einem Interview, das mir von Dr. Rüdiger Stix im Juli 1996 gewährt wurde.
23 Vgl. Simon Wiesenthal Center News Release, 29. Juni 1995 (Internet).
24 Vgl. "Viktor Frankl distanziert sich von F-Chef Haider" Der Standard, 13. Jänner 1996; "Frankl an Haider: Verärgerung über den 'Freund'" News, Nr. 3/96.
25 Vgl. zu dieser Frage die revidierte und auf den neuesten Stand gebrachte Auflage von Frankl, 1963, S. 136 (Anm.).
26 Vesely-Frankl, 1996, S. 70-71.
27 Vgl. "Viktor Frankl für echten Dialog mit den Rechtsextremisten" in Politik, Nr. 6, 26. Jänner 1993.
28 Frankls weltweiter Ruf wird z.B. auch durch die Tatsache belegt, daß er die Eröffnungsrede zum ersten Weltkongreß der Psychotherapie hielt, der im Juli 1996 in Wien abgehalten wurde.
29 Der Sekretär der Psychoanalytischen Gesellschaft Paul Federn lehnte Frankl ab, als dieser sich 1924 für eine Lehranalyse bewarb, während Adler Frankl 1926 aus seinem inneren Kreis entfernte.
30 Vgl. Pötzls NSDAP-Akte im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes.
31 Vgl. Hubenstorf, 1989, S. 275 (Anm. 92).
32 Vgl. Frankl, 1929, S. 1675.
33 Frankl, 1995, S. 48.
34 Vgl. Verzeichnis des Psychiatrischen Krankenhauses Baumgartner Höhe 1934-1938, Wiener Stadt- und Landesarchiv.
35 Vgl. Zentralblatt für Psychotherapie, Bd. 10, 1937, S. 7-8.
36 Vgl. Cooks, S. 116.
37 Frankl, 1937, S. 33-45. Es fehlt hier der Platz, um eine detaillierte Analyse dieses Artikels zu leisten. Im wesentlichen vertrat Frankl darin den Standpunkt, daß eine Weltanschauung wohl die Grundlagen für eine ihr entsprechende Therapieform bieten könne, eine Psychotherapie jedoch niemals die Grundlage für eine spezifische Weltanschauung darstellen könne.
38 Frankl, 1938, S. 8.
39 Diese Zurückhaltung scheint neuerdings einer etwas offeneren Haltung zu weichen. Dies wurde z.B. bei einer Befragung von Professor Giselher Guttmann von der Universität Wien zu Frankls Eröffnungsrede beim Weltkongreß der Psychotherapie im Juni 1996 deutlich. Guttmann führte Frankls Artikel aus dem Jahre 1938 als einen der möglichen Gründe dafür an, warum Frankl und seine Logotherapie nicht die Anerkennung erlangt haben, die ihnen zukomme. (Vgl. die Tonbandaufnahme der Eröffnungsrede des Weltkongresses der Psychotherapie, Juni 1996.)
40 Frankl, 1995, S. 55.
41 Vgl. Frankl in Kürschners, Deabohe Gelehrtenkalender.
42 Vgl. zur Emigration der Ärzte des Rothschildspitals Stern, 1974, S. 7-8.
43 Die einzige Arbeit, Die letzten 12 Jahre Rothschild-Spital Wien: 1931-1943, wurde 1974 von Dr. Erich Stern verfaßt. Stern, der dort Arzt gewesen war, beschrieb den gesamten Zeitraum auf lediglich zwanzig Seiten. Frankl kommt darin nicht vor, aber auch nicht einmal der Krankenhausdirektor Emil Tuchmann, der bei seinem Gerichtsverfahren nach Kriegsende abschätzig als "der jüdische Hitler" tituliert wurde.
44 Vgl. Stern, 1974, S. 14.
45 Vgl. Bentwich, 1978, S. 475-476. Da die Angaben in Bentwichs Artikel auf persönlicher Erinnerung beruhen, könnte diese Zeitangabe ungenau sein.
46 Frankl, 1973, S. 177-204.
47 Frankl, 1995, S. 57.
48 Vgl. Berkeley, 1988, S. 265.
49 Vgl. die mündliche Beschreibung dieser Experimente im Corrigan-Interview in der Voktor Frankl Library; vgl. auch Frankl, 1995, S. 57, und Frankl, 1942, S. 58-60.
50 Vgl. Sakel, 1949, S. 404-409.
51 Frankl, 1995, S. 60.
52 Vgl. Frankl, 1939, S. 26-31.
53 Die dieser Praxis entsprechenden Einstellungen waren aber auch im gesamten deutschen medizinischen Establishment weit verbreitet. Robert Lifton etwa sah das allgemeine Fehlen von Einfühlung unter deutschen Psychiatern auch im Zusammenhang mit ihrer Kritik an der Psychoanalyse und ihrer Entwicklung gewaltsamer Behandlungstechniken. Derart trug das psychiatrische Prinzip "eines Fehlens von Empathie... zur Entwicklung von gewaltsamen somatischen Behandlungsmethoden bei... wie der Insulin- und Metrazolschocktherapie, der Elekroschocktherapie und der Lobotomie." Lifton, 1986, S. 113.
54 Vgl. Frankl, 1995, S. 57-58.
55 Dandy war ein amerikanischer Hirnchirurg, der aufgrund seiner Arbeiten über Ventrikulographie und zur Erforschung der Hirntumore sehr bekannt war. Der Terminus Ventrikulographie beschreibt "ein diagnostisches Verfahren, das auf der Injektion von Luft oder eines anderen Gases als Kontrastmittel in die Ventrikeln des Gehirns aufbaut, um das Hirngewebe aufgrund des Kontrasts zum weniger undurchsichtigen Gas sichtbar zu machen. Ohne Luft oder Gas können die Hirnkammern auf einer Röntgenplatte nicht gesehen werden, da sie mit einer zerebrospinalen Flüssigkeit gefüllt sind, die dieselbe Röntgeneigenschaft aufweisen wie das umgebende Hirngewebe." Fox, 1984, S. 44.
56 Frankl, 1942, S. 58.
57 Frankl, 1942, S. 58.
58 Dandy, 1945, S. 73. Es handelt sich hier um einen Auszug aus Dandys 1936 erschienenen Werk "Brain Surgery", das ins Deutsche übersetzt und veröffentlicht wurde.
59 Der Umstand, daß seine Patienten nie aus dem Koma erwachten, hätte Frankl nicht zu überraschen brauchen, wenn er Dandys ursprünglichen Artikel zu seiner Erfindung der Ventrikulographie gelesen hätte. Im Jahre 1918 schrieb Dandy: "Die verschiedenen chemischen Lösungen... Thorium, Kalium, Jod, Collargol, Argyrol, Wismutsubnitrat und -subkarbonat... wurden in die Ventrikel von Hunden injiziert, wobei die Folgen aufgrund der das Hirn schädigenden Auswirkungen aber immer tödlich waren... Die schweren Reaktionen, die sich manchmal nach der intraspinalen Injektion auch der therapeutisch wirksamsten Mittel einstellten, verweisen auf die Gefahren, die selbst von sorgfältig zubereiteten Lösungen ausgehen. Eine auch nur geringfügige Azidität oder Alkalität kann bereits zum Tod führen. Es erscheint unwahrscheinlich, daß auch nur irgendeine chemische Lösung... gefunden werden kann, die harmlos genug ist, um ihre Injektion ins Zentralnervensystem zu rechtfertigen." Dandy, 1918, S. 39.
60 In diesem Zusammenhang stellt sich am Rande auch die Frage, ob Frankls Vorgangsweise im Sinne der traditionellen aggressiv-experimentellen medizinischen Praxis zu verstehen ist (die, wie schon erwähnt, an sich schon sehr fragwürdig war), oder ob Frankl im Ansatz vielleicht schon von der nationalsozialistischen medizinischen Einstellung beeinflußt war, mit der Juden als bloße Experimentierobjekte entmenschlicht wurden.
61 Frankl, 1995, S. 58.
62 Frankl, 1942, S. 60.
63 Vgl. Rosenkranz, 1978, S. 41.
64 Kwiet, 1993, S. 149.
65 Kwiet, 1993, S. 138.
66 Kwiet, 1993, S. 160. Kwiet beschrieb auch, wie Ärzte in Hamburg sich anders verhielten. Als die Ankunft der Gestapo erwartet wurde, gab man Patienten hohe Dosen Dolantin, um Selbstmordversuche zu simulieren. "Allerdings führten solche Maßnahmen zu nicht mehr als zu einer Verschiebung, da diese Patienten mit nur umso größerer Sicherheit damit rechnen mußten, beim nächsten Transport dabei zu sein." Interessanterweise kritisierte Kwiet Frankl dafür, das Ausmaß der Selbstmorde in den Konzentrationslagern heruntergespielt zu haben.
67 Kwiet, 1993, S. 159-160.
68 Frankl, 1995, S. 57.
69 Vorlesung an der San Diego International University (1972).
70 Das Krankenhaus wurde häufig von der SS überfallen, und es gab auch einigen Widerstand gegen die Nazis. Stern beschrieb, wie bei einigen Patienten nicht vorhandene Gebrechen diagnostiziert wurden, um eine bevorstehende Deportation abzuwenden. Stern, 1974, S. 13. Dies wurde von Ernest Seinfeld bestätigt, der im Jahre 1940 seinen Blinddarm im Rothschildspital entfernen ließ, um einer Deportation zu entgehen. (Interview des Autors, 7/96).
71 Frankl, 1995, S. 59.
72 In ihrem Vorwort zu "Was nicht in meinen Büchern steht" bemerkte Martina Gast-Gampe, daß das Buch "ursprünglich nicht für eine Veröffentlichung bestimmt" gewesen sei.