Der >Fall< Wilhelm Reich.
Beiträge zum Verhältnis von Psychoanalyse und Politik.

Fallend, Karl; Nitzschke, Bernd (Hg.) 

 

1. Auflage: Frankfurt M. 1997 (Suhrkamp Verlag)

Neuauflage: Giessen 2002 (Psychosozial - Verlag)

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Beschreibung:

Am 24. März 1997 jährte sich Wilhelm Reichs Geburtstag zum 100. Mal. Die Herausgeber des Bandes, der Psychologe und Wissenschaftshistoriker Karl Fallend und der Psychoanalytiker Bernd Nitzschke, haben dieses Datum zum Anlass genommen, eine Reihe von Autoren – Psychoanalytiker, Soziologen, Politologen – aufzufordern, noch einmal über das Werk jenes Mannes nachzudenken, der am Ende der Weimarer Republik als einer der wenigen damaligen Psychoanalytiker antrat, die nationalsozialistische Ideologie und den braunen Terror unter Berufung auf psychoanalytische Erkenntnisse zu bekämpfen. Noch nicht 30jährig war Wilhelm Reich Leiter des »Technischen Seminars« der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung geworden. Freud hatte in ihm zunächst einen seiner begabtesten Schüler gesehen, bevor er sich, nachdem Reich Psychoanalyse und Marxismus zu verbinden versucht hatte, zunehmend von ihm distanzierte. 1934 wurde Reich aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung ausgeschlossen. Die Hintergründe dieses für die Geschichte der Psychoanalyse in Hitler-Deutschland bedeutsamen Ereignisses werden anhand unbekannter Dokumente rekonstruiert, die bis heute andauernden Folgen analysiert. Gleichsam wird Reichs sexualpolitisches und körpertherapeutisches Erbe einer kritischen Würdigung unterzogen.

Inhalt:

Karl Fallend und Bernd Nitzschke
Vorwort

I. VERFOLGUNG, VERTREIBUNG, VERLEUGNUNG,. HISTORISCHE ANMERKUNGEN ZUM SCHICKSAL EINES „LINKSFREUDIANERS“

Karl Fallend
Otto Fenichel und Wilhelm Reich. Wege einer politischen und wissenschaftlichen Freundschaft zweier „Linksfreudianer“

Bernd Nitzschke
»Ich muß mich dagegen wehren, still kaltgestellt zu werden«. Voraussetzungen, Umstände und Konsequenzen des Ausschlusses Wilhelm Reichs aus der DPG/IPV in den Jahren 1933/34

Johannes Cremerius
Der "Fall" Reich, ein Exempel für Freuds Umgang mit abweichenden Standpunkten eines besonderen Schülertypus

Helmut Dahmer
Psychoanalytiker in Deutschland 1933 1951. Ein unglückseliger Verein und eine Geschichte, die sich nicht selber schreibt

II. HOMMAGE UND KRITIK. WILHELM REICHS KÖRPERTHERAPEUTISCHES UND (SEXUAL-)POLITISCHES ERBE

Ulfried Geuter und Norbert Schrauth
Wilhelm Reich der Körper und die Psychotherapie

Sebastian Hartmann und Siegfried Zepf
Sankt Wilhelm oder die wahre Wahrheit eines wahren Sozialisten

Ulrike Körbitz
Zur Aktualität sexualpolitischer Aufklärung im post-sexuellen Zeitalter

Anna Bergmann
Sexualhygiene, Rassenhygiene und der rationalisierte Tod. Wilhelm Reichs „sexuelle Massenhygiene“ und seine Vision einer „freien“ Sexualität

Wolfgang Dreßen
Handbuch der Moral für den Bürgerstand. Schwarze Pädagogen, Naturliebhaber und Lebenskünstler

Emilio Modena
Hommage à W. R. - Psychoanalyse und Politik vor der Jahrtausendwende

ANHANG
Zeittafel
Bibliographie der Schriften Wilhelm Reichs
Hinweise zu den Autorinnen und Autoren
Personenregister

Rezensionen:

Im Mittelpunkt ... stehen Fallends historiographische Nachzeichnung des politischen Verhältnisses zwischen Fenichel und Reich sowie der "marxistischen Opposition", ferner Nitzschkes detektivische Rekonstruktion der freudianischen Ausgrenzungspolitik gegenüber Reich in der Zeit des offensiven Nationalsozialismus ... Mit minuziöser Genauigkeit kann Nitzschke den Nachweis erbringen, dass ausnahmslos vereins- und bewegungspolitische Motive für Reichs Ausschluss auf dem Luzerner Kongress für Psychoanalyse im August 1934 verantwortlich waren.
Norbert Nagler, Integrative Therapie – Zeitschrift für vergleichende Psychotherapie und Methodenintegration

Jenseits des persönlichen Dramas vom Aufstieg und Fall des Wilhelm Reich ist mit diesem Namen ein Politikum verbunden, das der Psychoanalyse nicht gut ansteht: Reichs Ausschluss aus der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung beim Luzerner Kongress 1934. ... Unter traditionellen Psychoanalytikern ist diese Causa noch immer ein heißes Eisen: Der erzwungene Ausschluss wurde lange vertuscht und in einen freiwilligen "Austritt" umgeschrieben, eine Sichtweise, die, gegen besseren Wissens, hartnäckig wiederkehrt. Insofern sind die Beiträge zum Fall Reich die engagierte Dokumentation einer Verdrängung.
Sibylle Fritsch, Psychologie heute

Die politische Seite im Wirken Wilhelm Reichs und die Reaktion der Psychoanalytiker darauf untersucht ... ein Band mit dem Titel "Der >Fall< Wilhelm Reich". In ihm sind Aufsätze enthalten, die nach der Bedeutung Wilhelm Reichs und den Umständen seines Ausschlusses (aus der DPG/IPV) fragen. ... Das ist sozusagen ein Stück noch nicht aufgearbeiteter Geschichte der Psychoanalyse in Deutschland. Und wenn man den Fall Reich rekonstruiert, dann kommt man an dieses Stück Geschichte der Psychoanalyse heran, und aus diesem Grunde tun sich manche offiziellen Vertreter der Psychoanalyse noch heute ... äußerst schwer, die Ereignisse für sich sprechen zu lassen, sie einfach erst einmal zu rekonstruieren, und da ist es dann eine bewährte Methode, wenn man Wilhelm Reich als Spinner abtut. ... Eine Diskussion, die, von Reich in den 30er Jahren angestoßen, für die Psychoanalyse heute noch nicht beendet ist.
Thomas Kleinspehn, Radio Bremen

Not only is this book based on fascinating and meticulous historical research, but it is Nitzschke`s reappraisal of the official history that explodes a bombshell: Heretofore we have accepted the version that the falling out between Reich and Freud and his circle and Reich`s expulsion in 1934 from the International Psychoanalytic Association (IPA) had to do with Reich`s "heretical" views about psychoanalysis or because he was mentally ill. The new data and interpretations provided by Fallend, Nitzschke, and others show that after Freud turned hostile toward Reich in 1932, Reich was thrown out as an undesirable because of his politically embarrassing anti-Nazi activities. … Perhaps the events and issues raised by Fallend and Nitzschke and the other contributors to this volume … should become a historical lesson and an inspiration to raise the consciousness of psychoanalysts … to the still unsettled question about the relationship between any science and ethics, and especially between psychoanalysis and ethics.
Zvi Lothane, The Psychohistory Review

An der hier vorliegenden kritischen Würdigung wird man in der weiteren Diskussion um Reich nicht vorbeikommen. Vor allem wird man den Psychoanalytikern aller Richtung das Buch zur Lektüre empfehlen können, handelt es sich doch um Analysen der Verdrängung der eigenen Geschichte: der Rolle der sogenannten "Linksfreudianer" und der Begleitumstände des Ausschlusses Wilhelm Reichs aus der DPG/IPV in den Jahren 1933/34.
Reinhart Wolff, Der Tagesspiegel

Der "Fall" Reich dient den Autoren als Beispiel dafür, wie die Internationale Psychoanalytische Vereinigung und die Deutsche Psychoanalytische Gesellschaft während des aufkommenden Faschismus versuchten, auch politisch ihrer Abstinenzregel zu folgen, indem sie sich von ihrem prominentesten "Linksfreudianer" trennten. Eine Überlebensstrategie, mit der die Psychoanalyse in Deutschland ihre Auflösung selbst  herbeiführte, noch bevor der Faschismus sich ihrer leblosen Hülle bemächtigen konnte.
Marc Rackelmann, emotion

Kompetente Autoren beleuchten ein dunkles Kapitel der Psychoanalyse und decken die eigentlichen (bis heute verfälschten) Gründe der Verfemung und des Ausschlusses Reichs durch eine eingeschworene "Zunft" auf.
Kleine Zeitung (Klagenfurt)

Weitere Hinweise zu Rezensionen des Buches sowie zu kommentierender Literatur zum >Fall< Reich
finden sich auf der Seite:
http://www.lsr-projekt.de/wrfall.html