Karl FallendMehr
Fromm als Freud.
In:
Presse-Spectrum. 18. März 2000.
Am
23. März jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag des humanistischen
Psychoanalytikers Erich Fromm. Während in den 70er und 80er Jahren kaum
ein studentisches Bücherregal ohne ein Werk von ihm bereichert war, ist
es heute im akademischen Diskurs um den unverbesserlichen Optimisten
still geworden. Zu unrecht, wie die nun aufgelegte Gesamtausgabe seiner
Schriften zu belegen imstande ist. Grell überblenden Fromms
internationale best-seller sein frühes Schaffen. „Die Kunst des
Liebens“ (1956) etwa, oder „Haben oder Sein“ (1976) trafen populärwissenschaftlich
formuliert mehr den Zeitgeist der Selbstfindung als seine frühen Beiträge
zur Begründung einer analytischen Sozialpsychologie, mit denen Erich
Fromm das Wiener Triumvirat der gesellschaftskritischen Freudianer der
Zwanziger Jahre Siegfried Bernfeld, Otto Fenichel und Wilhelm Reich ergänzen
konnte. Erich
Fromm, 1900 in Frankfurt geboren, wuchs als Einzelkind in einer streng
orthodoxen jüdischen Familie auf. Der prägende Eindruck seiner
Talmud-Lehrer ließ bei ihm
den Wunsch aufkommen, wie sein Großvater Rabbiner zu werden. Nach der
Matura entschloß er sich jedoch nach Heidelberg zu gehen, um
Soziologie, Psychologie und Philosophie zu studieren. Max und Alfred
Weber sowie Karl Jaspers zählten dort zu seinen Lehrern. Erich Fromms
reges Interesse für religiöse Fragen blieb aber zeitlebens ungebrochen
und läßt sich durch sein Gesamtwerk verfolgen. Beginnend mit seiner
Dissertation zur „Soziologie des Diasporajudentums“ (1922), seiner
ersten psychoanalytischen Publikation „Der Sabbath“ aus dem Jahre
1927, seiner Arbeit über „Die Entwicklung des Christusdogmas“
(1930) bis hin zu seiner Auseinandersetzung mit „Psychoanalyse und
Zen-Buddhismus“ (1960) ist dies nachzulesen. Nach
Abschluß seines Studiums bekamen für Fromm zwei Denker eine zentrale
Bedeutung: Karl Marx und Sigmund Freud. Entscheidend für diese
Entwicklung war die Begegnung mit der Psychiaterin Frieda Reichmann, die
in Heidelberg ein privates Sanatorium leitete und Fromms erste
Analytikerin wurde. Daß die beiden 1926 heirateten, war für das
damalige Verständnis psychotherapeutischer Praxis nicht ungewöhnlich,
ihre baldige Scheidung auch nicht. Nach
einer kurzen Fortsetzung der psychoanalytischen Ausbildung in Berlin
erfuhr Fromms Arbeit eine folgenreiche Prägung im Kontext der
kongenialen, interdisziplinären Zusammenarbeit des Frankfurter Institut
für Sozialforschung, das – 1923 gegründet – ab 1930 von Max
Horkheimer geleitet wurde. Hier fanden jene pionierhaften Arbeiten ihren
Ausgang, die Anfang der dreißiger Jahre sowohl durch die politische
Brisanz der Themenstellung als auch durch die theoretischen und
methodischen Implikationen, bis heute Vorbildcharakter haben. Mit der
Zusammenführung von Marx und Freud, ging es Fromm in der
Herausarbeitung der „Methode und Aufgabe einer Analytischen
Sozialpsychologie“ (1932) um ein Verständnis des unbewußt
motivierten Verhaltens als eine Auswirkung der materiellen Basis auf die
psychischen Grundbedürfnisse. Nicht in wertfreier Wissenschaft, sondern
im brisanten Verhältnis von „Politik und Psychoanalyse“ (1931) lag
sein Erkenntnisinteresse. Damit wäre Fromm auch heute ein
intellektueller Außenseiter. Die
zentrale Fragestellung ‚Warum handeln unterdrückte Menschen gegen
ihre eigenen Interessen?‘ versuchte Fromm im Rahmen der groß
angelegten empirischen Untersuchungen des Frankfurter-Instituts zu
beantworten. Die Ergebnisse einer analytisch-interpretierten
Fragebogenaktion Anfang der dreißiger Jahre unter Hunderten
„Arbeitern und Angestellten am Vorabend des Dritten Reiches“ (1980)
waren ernüchternd. Nicht die bewußte Kundgebung der politisch
organisierten und revolutionär gesinnten Befragten, sondern die unbewußte
autoritär geformte Charakterstruktur zeigte sich von Belang, daß kaum
Widerstand gegen die aufkommende Diktatur zu erwarten war. Für Fromm
lag nicht in der politischen Manifestation, sondern im unbewußt
gelagerten „Gesellschafts-Charakter“ der „Kitt“, der die
gesellschaftliche Ordnung zusammenhält. Ganz entsprechend dieser
Analyse überrollten die politischen Entwicklungen auch die
Forschungsvorhaben des Frankfurter-Instituts. Die weitere Auswertung der
Untersuchung, die in Max Horkheimers herausgegebenen „Studien über
Autorität und Familie“ einfloß und zu der Erich Fromm einen
umfassenden „Sozialpsychologischen Teil“ (1936) beisteuerte,
mußte im Exil veröffentlicht werden. Das Institut wurde im März
1933 wegen staatsfeindlicher Tendenzen geschlossen. Nach
einer Gastprofessur in Chicago 1933 kehrte Fromm nicht mehr nach
Deutschland zurück, sondern ließ sich als Psychoanalytiker in New York
nieder. Die Zusammenarbeit mit dem ebenfalls zur Emigration gezwungenen
Institut für Sozialforschung blieb aufrecht, wobei Fromms theoretische
Abweichungen zusehends zu Spannungen führten, die schließlich 1938 mit
dem Eintritt Theodor W. Adornos als Institutsmitglied zum Bruch führte
und unversöhnlich blieb. Mit seiner Schrift: „Die Furcht vor der
Freiheit“ (1941) erntete er nicht nur heftige Kritik von Seiten
Adornos und Herbert Marcuses. Auch die Psychoanalytikerkollegen sahen
auf Grund der fundamentalen Negierung psychoanalytischer Postulate –
eine Entwicklung Fromms, die bei den amerikanischen Studenten auf große
Resonanz stieß - keine Möglichkeit mehr zur weiteren Zusammenarbeit. Die
Kritik blieb bis heute aufrecht, indem der vermeintliche
neo-freudianische Fortschritt in Fromms Arbeiten als ein
erkenntnistheoretischer Rückschritt registriert wird. Denn Freuds
revolutionäre Einsicht bestand u.a. darin, den Menschen zu zeigen, daß
sie nicht Herr im eigenen Hause seien. Das, was wir Bewußtsein nennen
ist verstärkt unbewußt und damit historisch gelenkt und das Ich bleibt
unversöhnlich zwischen den triebhaften Bedürfnissen, den moralischen
Geboten und der repressiven Außenwelt ausgesetzt. Fromm hingegen
verhalf dem Ich zur alten Stärke, deren allfällig bedrohliche Schwächungen
in der Korrektur zwischenmenschlicher Beziehungen auch durch
Selbsterfahrung oder Meditationsübungen beizukommen sei. „Der freie
Mensch ist der, der sich selbst kennt.“ Die nachhaltigen Niederschläge
der Kindheitsgeschichte sah Fromm sekundär. Er richtete seine
Aufmerksamkeit auf die aktuellen unbewußten Prozesse. Die Kritiker
waren und sind sich deshalb einig, daß Fromm in der Aufgabe der
Sexualtheorie dem Freudschen Denken den kritischen Stachel zog. Seine
heutigen Adepten begrüßen hingegen den selbständigen Wandel Erich
Fromms vom präzisen und nüchternen Analytiker in der Freudschen
Tradition des Kulturpessimismus zum optimistischen Ermutiger, Helfer,
Heiler und Tröster, als der er sich auch in der politischen Aktion
verstand. Im
Jahre 1949 verlegte Erich Fromm – auf Grund einer schweren Erkrankung
seiner zweiten Frau Henny Gurland - seinen Wohnsitz nach Mexico City, wo
er als Psychoanalytiker und Sozialpsychologe über 25 Jahre lang
institutionelle Aufbauarbeit leistete. Gleichzeitig blieb er allerdings
als amerikanischer Staatsbürger weiter gesellschaftspolitisch in den
USA aktiv. Als Mitglied der Socialist Party formulierte Fromm ein neues
Parteiprogramm, unterstützte aktiv die Präsidentschaftskandidatur
Eugene McCarthys und legte seine visionären Vorstellungen über „Wege
aus einer kranken Gesellschaft“ (1955) oder über „Die Revolution
der Hoffnung“ (1968) schriftlich nieder. In der Illusion eines
humanistischen Sozialismus sah Fromm das Ziel eines produktiv
orientierten und damit gesunden Gesellschafts-Charakters: „Es müßte
eine Gesellschaft sein, in der der Mensch im Mittelpunkt steht und in
der alle ökonomischen und politischen Tätigkeiten dem Ziel seines
Wachstums untergeordnet sind.“ „Psychoanalyse als Wissenschaft“
(1955), „Sigmund Freud“ (1959) und „Das Menschenbild bei Marx“
(1961) blieben weiterhin seine intellektuellen Wegweiser.
In
zahlreichen schriftlichen Wortmeldungen nahm Fromm zu aktuellen
politischen Problemen Stellung – u.a. zur amerikanischen Außenpolitik
(1961), gegen den Vietnamkrieg (1965/66) oder gegen die atomare Aufrüstung
(1961) – die allesamt seiner programmatischen Vorstellung einer
Verbindung von „Humanismus und Psychoanalyse“ (1963) verpflichtet
waren. Obendrein gelang es Fromm in Mexico eine Psychoanalytische
Gesellschaft und die Zeitschrift „Revista de Psicoanalisis“ zu begründen,
die Ausbildung zum Psychoanalytiker in der Medizinischen Fakultät der
Universidad Nacional zu etablieren und sich ethnologisch in der
Erforschung des „Gesellschafts-Charakters eines mexikanischen
Dorfes“ (1970) zu versuchen. Auch wenn im Spätwerk Fromms eine
theoretische Unschärfe und ein verflachter Stil nicht zu übersehen
sind, bleibt die inhaltliche Breite seines Œuvres beeindruckend und
bemerkenswert aus der akademischen Ordnung. Erich
Fromm starb am 18. März 1980 in der Schweiz. Es
ist zu befürchten, daß angesichts des kontinuierlichen Rückzugs der
psychoanalytischen Zunft auf das Geschäft der Ohrenvermietung und des
beschränkten Blicks der akademischen Psychologie gegenüber
gesellschaftskritischen Fragestellungen, mit Erich Fromm ein weiterer
Intellektueller als Teil einer vergessenen Wissenschaftsgeschichte ins
vorige Jahrhundert abgestellt wird.. Gegen
diese Form des Vergessens erschien nun anläßlich des 100. Geburtstages
von Erich Fromm eine Gesamtausgabe seines umfangreichen Werkes, die, übersichtlich
gestaltet und mit einem umfangreichen Anmerkungsapparat versehen, auch sämtliche
nachgelassene Schriften zugänglich macht und damit die gesamte
Bandbreite seines Schaffens in zwölf Bänden dokumentiert. Ergänzend
erschien eine imposante Bild-Biographie mit über 250 großteils
unpublizierten Fotographien. Für beide Produktionen zeichnet der Tübinger
Psychoanalytiker Rainer Funk verantwortlich, der als letzter Assistent
Erich Fromms nun als sein literarischer Rechte- und Nachlaßverwalter
fungiert. Seine umfassende Werkkenntnis kommt der inhaltlichen
Gestaltung der Werkausgabe zugute. Aber es zeigt sich einmal mehr:
Assistenten sind ausgezeichnete Kenner, Wahrer und Propagandisten des
Werkes ihrer Meister, jedoch in der Idealisierung zum Biographen weniger
geeignet. Erich Fromm: Gesamtausgabe in zwölf Bänden.
(Hg. Von Rainer Funk. Erweiterte Neuausgabe der zehnbändigen Erich
Fromm Gesamtausgabe). Stuttgart, 1999. (Deutsche Verlags-Anstalt;
Deutscher Taschenbuch Verlag) Hardcover. S. 6360; 4365 öS.
(Taschenbuchausgabe: 1810 öS) Rainer
Funk: Erich Fromm. Liebe zum Leben. Eine Bild-Biographie. Stuttgart,
1999. Geb. S. 176; 423 öS. (Deutsche Verlags-Anstalt)
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