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Gabriella Hauch

Ostarbeiterinnen, Polinnen und ihre Kinder

„Ich habe im Gau Oberdonau Tausende von Ausländerinnen und mache nun die Feststellung, dass diese ausländischen Arbeiterinnen ... schwanger werden und Kinder in die Welt setzen“, alarmierte der Gauleiter von „Oberdonau“ August Eigruber am 15. Juli 1942 den Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei Heinrich Himmler. Die Antwort aus Berlin ließ auf sich warten. Auf Schwangerschaften, Geburten, Neugeborene und Kleinkinder der ins Land gebrachten Zwangsarbeiterinnen zeigten sich die mit dem „Arbeitseinsatz“ befassten NSDAP-Stellen im Sommer 1942 weder in Linz noch in Berlin vorbereitet.

Zu diesem Zeitpunkt begann die massenhafte Deportation von Zwangsarbeiterinnen aus den besetzten Gebieten der ehemaligen Sowjetunion, vor allem der Ukraine, für Arbeiten in Haushalten, Landwirtschaft und der Industrie auch in „Oberdonau“: diese Frauen und Männer wurden „Ostarbeiter“ und „Ostarbeiterinnen“ genannt und standen als „slawische Untermenschen“ diffamiert, nach Juden/Jüdinnen und den sogenannten ZigeunerInnen - Roma/nis und Sinti/Sinteza - auf der untersten Stufe der rassistischen NS-Hierarchie. Wenn man allerdings die Lebens- und Arbeitsbedingungen nach Geschlechtszugehörigkeit getrennt untersucht, ergeben sich noch einmal grundlegende Unterschiede. Das ist neu, denn lange Zeit wurden die ins Land verschleppten Ostarbeiterinnen von der Wissenschaft wie der Politik unter das Großprojekt „Ausländereinsatz“ subsumiert, das an Bedürfnissen von Männern orientiert war und die frauenspezifischen Lebenswelten verschwinden ließ. Erst die explizite Thematisierung der Lebensbedingungen von Frauen ermöglicht den allgemeinen Blick - unterbleibt dies sind wir mit einem männlich definierten und deswegen falschen Verständnis von Allgemeinheit konfrontiert. Das gilt auch für die Geschichte der Zwangsarbeit im Nationalsozialismus im Gau „Oberdonau“. Bis Mai 1944 stieg der Frauenanteil an der zahlenmäßig größten Gruppe - den 34.000 sowjetischen Arbeitskräften - auf 51%. Besonders krass kommt die Geschlechtsspezifik in den bevölkerungs- und sexualpolitischen Maßnahmen des NS-Systems zum Ausdruck, wenn es um die potentielle Gebärfähigkeit bzw. um die potentielle Zeugungsfähigkeit ging.

Angesichts der kriegsbedingt reduzierten männlichen Bevölkerung gerieten Ausländer zur potentiellen Gefahr für die ‘Reinheit’ der deutschen Frau. In der sexualpolitischen Begegnung dieses Problems zeigte sich die „Patenstadt des Führers“ dem Deutschen Reich einen Schritt voraus: das erste Bordell für ausländische Männer wurde in Linz 1940 eingerichtet. Diese Gefahr ging von Zwangsarbeiterinnen, die vorab als asexuelle Wesen imaginiert wurden, nicht aus. Durch den Verlust von Familie, Sprache und Kultur vereinsamt und die Kennzeichnung „Ost“ stigmatisiert, suchten viele dieser jungen Frauen die Verlorenheit in der Fremde mit Geborgenheit und Liebe zu bannen. Gesetze, die Geschlechtsverkehr mit Deutschen unter (Todes)Strafe stellten und sogar innerhalb der eigenen ethnischen Gruppe verboten hatten, verpufften wirkungslos. Seit dem Sommer 1942 wurden die steigenden Schwangerschaften bei Ostarbeiterinnen und Polinnen in Linz evident und stellten die Prämisse des „Arbeitseinsatzes“ - optimaler Einsatz und Erhalt der Arbeitskraft Frau - infrage. Ostarbeiterinnen und Polinnen schufen Probleme, die den NS-Apparat unvorbereitet trafen.

Da die schwangeren Ostarbeiterinnen und Polinnen nicht mit deutschen Frauen in einem Zimmer liegen durften wurden sie zuerst in spezielle „Ausländerzimmer in der „Frauenklinik des Reichsgaues Oberdonau“, wie die Frauenklinik damals hieß, eingeliefert. Am 16. März 1943 wurde die im Anstaltsgarten errichtete „Doppelbaracke“ für Ostarbeiterinnen und Polinnen in Betrieb genommen. Sie umfaßte 40 Betten und wurde als „Ostarbeiterinnen-“ oder „Russinnen-Baracke“ bezeichnet. Wie die hygienischen und sozialen Bedingungen in der „Ostarbeiterinnen-Baracke“ gestaltet waren oder wie es um die Akzeptanz dieser Einrichtung in der Linzer Bevölkerung bestellt war, konnte bislang nicht eruiert werden. Die Landesfrauenklinik erfüllte eine der Soll-Bestimmungen zur Einrichtung solch spezieller Abteilungen: Ihre Hebammenschule sollte die als „minderwertig“ klassifizierten Gebärenden zu Übungszwecken nutzen. Bis zur Übersiedlung der Gaufrauenklinik samt „Ostarbeiterinnen-Baracke“ nach Bad Hall am 15. November 1943 aufgrund der dichter werdenden Bombardierungen des Großraumes Linz, machten die Geburten von Ostarbeiterinnen und Polinnen 20 bis 30 % der Geburten aus. (März 1943 waren es 33 von insgesamt 129 zur Geburt eingelieferten). Die kleine gynäkologische Abteilung des Linzer Allgemeinen Krankenhauses nahm nur vereinzelt ausländische Frauen zur Geburt auf.    

Bereits in Linz und auch später in Bad Hall diente die „Ostarbeiterinnen-Baracke“ jedoch nicht nur für Geburten. Seit Mai 1943 wurden Ostarbeiterinnen auch zu Schwangerschaftsabbrüchen eingewiesen. Die Lockerung des strikten Abtreibungsverbotes für die „rassisch minderwertigen“ Ostarbeiterinnen (seit 11. März 1943) und Polinnen (seit 22. Juni 1943) stellte das vorläufige Ende der Diskussion über die Frage dar, was denn mit diesen schwangeren Frauen geschehen sollte. Die „Anordnung zum Schwangerschaftsabbruch“ entschieden zwei Linzer Ärzte, die als Gutachter der Ärtekammer fungierten. Sukzessive wurden nicht nur die Bestimmungen für Abtreibung gelockert, sondern auch der Druck auf die Frauen erhöht: Seit Jänner 1944 lag es auch in Händen der ArbeitgeberInnen, den BetriebsleiterInnen, von ÄrztInnen, dem Arbeitsamt oder der Polizei den Abbruch zu beantragen. Außerdem wurde von Seiten der Ärztekammer Oberdonau in einem Rundschreiben den „Kreisamtsleitern ... nochmals zur Pflicht gemacht“, allen Ärzten die Wichtigkeit dieser Angelegenheit in politisch biologischer Richtung klarzumachen, um „die Aktion der Schwangerschaftsunterbrechung bei Ostarbeiterinnen und Polinnen auf breiteste Grundlage zu stellen“.

Die komplexe Zwangssituation relativiert jede Andeutung von „Entscheidungsfreiheit“. Von Mai 1943 bis Februar 1945 fanden nachweisbar 972 Schwangerschaftsabbrüche in beiden Linzer Spitälern bzw. in der evakuierten Gaufrauenklinik in Bad Hall statt. Abtreibungen von „intacten“ Schwangerschaften im 6. und 7. Monat waren keine Einzelfälle. Bei den meisten der Frauen war auf dem Krankenblatt vermerkt: „Patientin der deutschen Sprache unkundig“. Während in Deutschland einzelne Ärzte bekannt sind, die Abtreibungen an Zwangsarbeiterinnen zu verzögern und zu verhindern suchten - und dafür nicht bestraft wurden -, konnten für derartige Bemühungen bei den Ärzten und Ärztinnen beider Linzer Krankenhäuser bislang keine Hinweise gefunden werden.

In dem Brief von Gauleiter Eigruber vom Juli 1942 ging es jedoch nicht nur um die schwangeren ausländischen Arbeiterinnen sondern auch um die Kinder. Eigruber kündigte darin an, in „Oberdonau“ spezielle Heime für die Kinder der Ostarbeiterinnen und Polinnen errichten zu wollen. Das erste nahm Ende März 1943 in Spital am Phyrn im „Lindenhof“ seine Tätigkeit auf. Im Juli 1943 alarmierte der Amtsarzt von Kirchdorf die zuständigen NS-Stellen über die kathastrophalen hygienischen Zustände und die hohe Sterblichkeitsrate. Von den insgesamt eingelieferten 97 Kindern starben bis Jänner 1945 38, von 6 ist das Schicksal unbekannt. „Es wurde mir mitgeteilt, daß bezüglich der Aufzucht der Säuglinge Meinungsverschiedenheiten bestehen. Zum Teil ist man der Auffassung, die Kinder der Ostarbeiterinnen sollen sterben, zum anderen Teil der Auffassung sie aufzuziehen. Es gibt hier nur ein Entweder-Oder. Entweder man will nicht, daß die Kinder am Leben bleiben - dann soll man sie nicht langsam verhungern lassen ... es gibt dann Formen, dies ohne Quälerei und schmerzlos zu machen“, schrieb der Oberbefehlsleiter der NSV Erich Hilgenfelt nach einer Inspektion des „Lindenhofs“ im August 1943 an Heinrich Himmler. Die Ambivalenz von Seiten der NSDAP-Leitung, ob diese Kinder leben sollten oder nicht, führte zur mangelnder Ernährung und Pflege. Dies galt auch für andere „Ausländerkinder-Pflegestätten“ wie die „Fremdvölkischen Säuglingsheime“ offiziell bezeichnet werden mußten. Bislang konnten in „Oberdonau“ zwölf solcher Einrichtungen ausgemacht werden. Die Überlebenschancen der Kleinen stiegen, sobald sich ihre Mütter bzw. ihre Eltern in der Nähe befanden. All jene Säuglinge in Spital am Phyrn deren Mütter als Betreuerinnen im „Lindenhof“ arbeiteten, überlebten. Im Falle der „Kinderkrippe“ im Lager 57 der Reichswerke Hermann Göring AG, Standort Linz, die nach Widerständen von Seiten der Betriebsleitung schließlich im Herbst 1943 eingerichtet wurde und im März 1944 mit 30 Kindern als „voll belegt“ galt, ist lediglich ein Todesfall bekannt.

Trotz der historischen Aufarbeitung dieser beiden Einrichtungen liegt das Schicksal der mehreren hundert Säuglinge und Kinder von Ostarbeiterinnen und Polinnen, die in der Zeit des Nationalsozialismus in den beiden Linzer Krankenhäusern geboren wurden, im Dunkeln. Bei diesen Themen, die frauenspezifische Intimitäten betreffen, wie Schwangerschaften, Geburten, Abtreibungen und das Schicksal von Neugeborenen handelt es sich um eine Geschichte des Schweigens. Das galt lange Zeit nicht nur für die NS-Forschung und die Wiedergutmachungs-Politik, sondern auch für die Betroffenen selbst.        

Literatur:

Gabriella Hauch: Zwangsarbeiterinnen und ihre Kinder: Zum Geschlecht der Zwangsarbeit, in: Christian Gonsa u.a.: Zwangsarbeit - Sklavenarbeit: Politik-, sozial- und wirtschaftshistorische Studien, Bd. 1, NS-Zwangsarbeit: Der Standort Linz der Reichswerke Hermann Göring AG Berlin, 1938-1945, hg. v. Oliver Rathkolb, Wien-Köln-Graz 2001, S. 355 - 448.

Gabriella Hauch: Ostarbeiterinnen. Vergessene Frauen und ihre Kinder, in: Fritz Mayerhofer u. Walter Schuster (Hg.), Nationalsozialismus in Linz, Bd. 2, S. 1271 - 1310.