Karl
Fallend Wenn
Es, Ich und Über-Ich verschwimmen. In: Die Presse – Spectrum. 11. Jänner 2003. Viele Farben durcheinander gemischt ergibt Grau. So gibt es auch graue Bücher. Die medienpräsente Juristin, Nationalökonomin, Psychotherapeutin Sozial- und Konfliktforscherin Rotraud Perner hat ein solches geschrieben. In mächtige Kapitel – Sein wie Gott, Suche, Erde, Luft, Wasser, Feuer und Ganzheit – gegliedert, gibt die Autorin zu erkennen, dass sie etwas Fundamentales zum Ausdruck bringen will. Nur: was? „Woher rührt die Kraft, Macht und Magie der Heiler?“ – so die Ankündigung – „Was lässt Hilfesuchende immer wieder in den bannenden Kreis von TherapeutInnen, Priestern und Politikern treten?“ wären an sich interessante Problemstellungen für einzelne Untersuchungen. Aber in 80 (!) Zwischenkapitel zerhackt, werden auf durchschnittlich drei Seiten Fragen beantwortet, die zumeist gar nicht gestellt werden, oder Fragen gestellt, die in der Kürze gar nicht beantwortet werden können. Sie verschwinden in einem Alles oder Nichts. So
folgt man mühsam assoziativen Gedankenflügen, die sich willkürlich
entlang einer Zitatenmelange mit persönlichen Ergänzungen orientiert
und den Leser in Verwirrung entlässt. Die „Vorliebe für
Originalzitate“ wird mit eigener Logik begründet „weil ich den
Geist der Autoren nicht verändern möchte.“ Denn: „Durch die
Sprachgestaltung wird der Atemhauch mit den ‚Gefühl-Gedanken’ (Neurotransmitterausschüttungen)
der sprechenden Person ‚eingefärbt’, und diese sind es, die mehr
noch als die Wortwahl die Reaktionen der Hörenden (Hörigen?)
beeinflussen: Es ist deren ‚Geist’, der in ihrem Ausdruck wirksam
wird.“ Und so folgen wir in diesem Buch unzähligen Geistern, die in
postmoderner Beliebigkeit aneinandergereiht werden und denen man in
aller Banalität Glauben schenken soll. Etwa: „Mein jungianischer
Lehranalytiker betonte einmal, dass niemand einen Heilberuf ergreife,
der nicht mindestens einen, ‚leidenden’ Elternteil gehabt hätte.“
Oder dem Heiler Choa Kok Sui mit folgender Weisheit, „dass unsere
Gedanken und Gefühle etwas Reales sind und auf uns selbst wie auch auf
andere Menschen einwirken.“ Oder einem Stephen Chang, der „schlagend
nachweist“ – „’Wenn Sie also einen Menschen berühren, der
weniger Energie hat als Sie, nimmt Ihre Kraft ab.’
Beispielsweise Raucher!“ Warum
die Autorin im Abschnitt „Sehnsucht nach dem göttlichen Kind“
klarstellen muss, dass sie „eine eigenständige Person (...) mit einer
gut funktionierenden großen Distanz zu meiner Familie“ sei, und man
sogleich erfahren muss, dass ihre „angeberische Mutter, die die Leere
in ihrem eigenen Provinzleben dadurch auffüllen wollte, dass sie quasi
als meine Öffentlichkeitssprecherin vor Ort Aufmerksamkeit auf sich
ziehen konnte“ bleibt ihr Geheimnis. Verwirrt
bleibt man auch auf der Suche nach dem wissenschaftstheoretischen
Standpunkt, von der aus die Autorin ihren ‚Heilern’ auf der Spur
ist. Ausgestattet mit einer Lehranalyse nach C.G. Jung, Ausbildungen in
Focussing, personenzentrierter Therapie, Neurolinguistisches
Programmieren (NLP) und Erfahrungen in systemischer Aufstellungsarbeit
sowie verschiedenen Geistheilungstechniken ergibt scheinbar keine andere
Möglichkeit, als aus dem vollen zu schöpfen: schließlich wird eine
eigene Intuitiv-linguistische Integrationsmethode (ILI) kreiert, die
zwar stolz genannt, aber nicht erklärt wird. In der Summe dieser
theoretisch-empirischen Mixtur verblassen jegliche Wurzeln der
Erkenntnisgewinne. Sigmund
Freud durchdringt zwar dominant den Buchumschlag, seine fundamentalen
Ideen hingegen, die die Geschichte der Psychotherapie insgesamt bis
heute prägen, finden im Buch keinen Niederschlag. Im Gegenteil. Freuds
Modell einer psychischen Topik von Es, Ich und Über-Ich verschwimmt bei
Perner zu einer rätselhaften Parallelität von Körper, Seele und
Geist. Gerade in der Frage um den Machtmissbrauch in Psychotherapien
lehnt sie Freuds Konzept von Übertragung und Gegenübertragung ab und
plädiert rätselhaft für eine „Darlegung der naturwissenschaftlichen
Sicht des Phänomens.“ Wie das aber geschehen soll, bleibt unerwähnt.
Freuds komplexe Triebtheorie überwindet die Autorin mit einer eigenen
Sicht von Sexualität: „Ich definiere sie als ‚Umgang mit dem
Anderen’“, und liefert freimütig ein Beispiel aus ihrer Praxis, was
darunter zu verstehen sei, als sie einen Therapiesuchenden, der ihr sehr
gut gefiel, deswegen ablehnen musste, „weil er sexuelle Fantasien bei
mir auslöste“. Was sonst?! - wäre
selbst nach ihrer eigenen Definition zu fragen.
Bedenklich
wird es, wenn sich die Autorin „bei allem Respekt für homosexuelle
Menschen“ einen „nicht unwesentlichen Hinweis erlaubt“ und sich
damit ins sexualwissenschaftliche Abseits schreibt: „Das, was ich den
‚großen Energiekreislauf’ nenne, ist ganzheitlich – seelisch,
geistig und körperlich – nur zwischen Mann und Frau möglich.“
Perners Begründung: „Nur sie haben anatomisch die Möglichkeit, in
der verächtlich ‚Missionarsstellung’ genannten Position ihre
Genitalien und gleichzeitig im Kuss ihre Atemströme zu vereinen.“ Aus
den Verwirrungen an Zitaten, persönlichen Erinnerungen und
pseudowissenschaftlichem Geplauder, schafft es die Autorin zu
atemraubenden Höhepunkten. Im Abschnitt „Patientenklau und
Patientenbalz“ stößt man plötzlich auf die Erwähnung des
psychischen Vorgangs, der in der Psychoanalyse die ‚Wiederkehr des
Verdrängten’ benannt wird. Rotraud Perner vermag dies mit einem
Beispiel zu bestätigen: „in den magersüchtigen Kindern die Abbilder
der ausgemergelten KZ-Insassen.“ Die nächsten fünf Bücher sind bis Herbst 2003 angekündigt und ich nehme an, sie werden grau sein.
Rotraud Perner |