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Bertrand Perz

Erinnerung an der Peripherie

 

2001

Linz, Lunzerstraße. Ein Zaun, im Hintergrund schmucklose Wohnbauten, wie man sie am Rande vieler Städte findet. Dazwischen Ödland, das nur einer baldigen Verbauung zu harren scheint. Kein Motiv für ein Foto, wäre da nicht ein behauener Stein mit einer Inschrift auf Französisch und Deutsch:

„1944-1945 war hier ein Zweiglager des Nazi-KZ Mauthausen. Ungezählte Deportierte aller Länder liessen ihr Leben für die Freiheit der Menschen.“

Wer sich je in diese Gegend im Linzer Stadtteil Kleinmünchen verirrt, dem stellt dieser Stein mehr Fragen als er Antworten gibt. Warum war hier ein Konzentrationslager? Wer hat es errichtet? Warum starben hier ungezählte Deportierte? Warum haben jene, die das Denkmal errichtet haben, keine Hinweise gegeben?

 

1944/1945

Im Mai 1944 adaptieren die Reichswerke Hermann Göring an ihrem Linzer Standort in Kleinmünchen ein bis dahin für ausländische Zwangsarbeiter benutztes Barackenlager für die Aufnahme von KZ-Häftlingen. Wachtürme werden errichtet, die Zäune elektrifiziert. Als drittes Außenlager des KZ Mauthausen in der Stadt Linz und zweites Außenlager innerhalb der Reichswerke wird es die Bezeichnung „Linz III“ enthalten.

Mit der Einrichtung des Konzentrationslagers „Linz III“ im Frühjahr 1944 wird der Zwangsarbeitseinsatz von KZ-Häftlingen in den Reichswerken bis aufs Äußerste intensiviert, nachdem bereits seit Ende 1942 auf Basis eines Abkommens zwischen der SS und den Reichswerken mehrere hundert männliche KZ-Häftlinge auf dem Firmengelände in der Hochofenschlackenverwertung tätig sind. Vor allem im kriegswichtigen Panzerbau herrscht 1944 akuter Arbeitskräftemangel, der auch durch den Einsatz von tausenden ausländischen Arbeitskräften in den Reichswerken nicht behoben werden kann, da weitere Zuweisungen an Arbeitskräften ausbleiben. Die KZ-Häftlinge werden so als die einzig noch verfügbare Arbeitskraftreserve angesehen. Bis Herbst 1944 überstellt die SS den Reichswerken in Linz laufend männliche Häftlinge aus dem KZ Mauthausen, die Zahl der aus ganz Europa stammenden Häftlinge im Lager Linz III steigt auf über 5600. Die Häftlinge werden nicht nur in den Reichswerken selbst bei Bauarbeiten und in der Rüstungsproduktion zur Arbeit gezwungen. Zunehmend müssen sie auch außerhalb des Werksgeländes arbeiten, wo gerade akuter Mangel an Arbeitskräften herrscht. Am gefährlichsten erweist sich der Einsatz bei Aufräumungsarbeiten nach Luftangriffen auf die Stadt, die Eisenbahn und die Reichswerke selbst.

Die Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Häftlinge sind prekär. Das Lager liegt im Überschwemmungsgebiet der Traun, bei Hochwasser stehen die Häftlinge am Appellplatz bis zu den Knien im Wasser. Die Baracken sind überfüllt, die materielle Versorgung und insbesondere die Essensrationen werden immer schlechter. Mangelnde Versorgung, schwere Arbeit, Hetze und Mißhandlungen durch SS-Angehörige, Häftlingsvorarbeiter und zivile Werkmeister prägen den Alltag. Zunehmende Luftangriffe, vor denen den Häftlinge nur sehr beschränkt Schutz geboten wird und viele ums Leben kommen, verschärfen die Situation. Insbesondere in den letzten Monaten vor Kriegsende herrschen katastrophale Zustände. Jeder zweite Häftlinge ist krank, allein in den letzten 9 Wochen vor der Befreiung durch die US-Armee sterben über 460 Häftlinge.

Insgesamt werden im knapp ein Jahr bestehenden Lager „Linz III“ mehr als 700 Todesfälle verzeichnet. Über 1000 Häftlinge werden ins KZ Mauthausen „rücküberstellt“, viele nur deshalb, weil sie völlig entkräftet für die Arbeit nicht mehr zu gebrauchen waren. Ihr Schicksal ist ungewiß.

 

1966

Ehemalige französische KZ-Häftlinge legen Geld zusammen, um 21 Jahre nach der Befreiung ein Denkmal für die Opfer des Lagers Linz III, aber auch der anderen beiden Linzer KZ-Außenlager, zu errichten und damit einen Ort zu markieren, der im kollektiven Gedächtnis Österreichs zu dieser Zeit keinen Platz hat und dessen Spuren  sich durch den Abriß der Baracken zu verlieren drohen.

Im Nachkriegsösterreich war wenig Raum für Erinnerungen an NS-Verbrechen und Partizipation der ÖsterreicherInnen daran.  An das fünftgrößte Konzentrationslager auf österreichischem Boden zu erinnern, war in dieser Zeit weder der Stadt Linz noch der aus den Reichswerken hervorgegangenen VÖEST ein großes Anliegen.

Das beredte Schweigen dieses Denkmals ist kein Zufall. Der zurückhaltende Text auf dem Gedenkstein war wohl dem Umstand geschuldet, daß ehemalige Häftlinge am jenem Ort, an dem sie drangsaliert worden waren, keine Debatte über Schuld und Verantwortung auslösen wollten, die die Denkmalaufstellung gefährdet hätte. Die Aufstellung des Gedenksteins am Ort des Geschehens, seine Nichtorientierung an der Erinnerungstopographie der Stadt Linz verweist darauf, daß die ehemaligen Häftlinge auch nicht davon ausgingen, ein Denkmal an die Linzer Bevölkerung adressieren zu können. Seit seiner Aufstellung dient der Gedenkstein vor allem den ehemaligen Häftlingen und ihren Angehörigen einmal jährlich als Sammelpunkt für ein Gedenken an die Toten der Linzer Lager.

  

1999

Die Zeiten haben sich geändert. Vor dem Hintergrund einer intensiven Debatte über Zwangsarbeit, über die Verantwortung von Firmen dafür und Forderungen nach  Entschädigung wird der Gedenkstein für das Lager Linz III einige Meter von seinem bisherigen Standort versetzt, was eine Ergänzung durch eine kleine, auf Schautafeln montierte Dauerausstellung ermöglicht. Die Ausstellung erläutert die Geschichte des Einsatzes der KZ-Häftlinge in den Linzer Reichswerken und wendet sich vor allem an das inländische Publikum. Vorstand und Belegschaft der VOEST-ALPINE STAHL LINZ unterstützen diese Initiative tatkräftig, eine eigene Broschüre wird dem nun als Gedenkstätte KZ LinzI/III benannten Ort gewidmet.

 

2001

Die Debatte um die Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen ist beendet, die Republik Österreich und die österreichische Wirtschaft haben sich zu Zahlungen bereit erklärt, die Auszahlungen selbst sind bürokratische Routine. Ruhe ist eingekehrt, auch auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers „Linz III“. Die Dauerausstellung war nicht von Dauer. Die Schautafeln rund um den Gedenkstein am Gelände des ehemaligen Lagers „Linz III“ sind eines Tages verschwunden, zurückgeblieben ist – einstweilen? – ein Gedenkstein an der Peripherie, der nun, seiner Umgebung entkleidet, den BesucherInnen die Rückseite zukehrt. Die Inschrift blickt ins Nichts.