Karl Fallend

Wenn die Tinte nicht zu stoppen ist.

Wolfgang Schmidbauer: "Ich wußte nie, was mit Vater ist".

In: Presse-Spectrum. 8. Mai 1999

Bestsellerautoren haben ein Problem: den Drang zur Wiederholung; vor allem des Erfolgs. In schwierigsten Themenbereichen zu Hause, gelingt es ihnen Unverdauliches in Schonkost zu tarnen. Nach erstem gelungenem Wurf, vieltausendfachem Verkauf und narzißtischer Befriedigung im begehrt öffentlichen Auftritt ist die Tinte nicht mehr zu stoppen. Im Schein des Rampenlichts entwickelt sich ein Gespür der marktwirtschaftlichen Themenwahl und die Feder bekommt Qualitäten eines Wetterhahns. Der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer ist offenbar diesem Drang erlegen.

Seit fast 30 Jahren entläßt er keine Buchmesse ohne Neuerscheinung. Als highlights waren 1977 "Die hilflosen Helfer. Über die seelische Problematik der helfenden Berufe" bzw. "Helfen als Beruf. Die Ware Nächstenliebe" (1983) zumindest im sozialtherapeutischen Bereich in aller Munde. Zurecht. Die Diskussion um das "Helfersyndrom" war ein innovativer Beitrag in der Diskussion um das Selbstverständnis sozialer Berufe. Ob die kritischen Diskutanten von damals Schmidbauers Schreibfluß weiter gefolgt sind, ist zu bezweifeln. Seiner "Angst vor Nähe" (1985) etwa, seinem "Haus in der Toscana" (1990) oder "Mit dem Moped nach Ravenna" (1994) dürfte ein anderes Publikum - ein breiteres - gefolgt sein. Nun liegt mit: "Ich wußte nie, was mit Vater ist. Das Trauma des Krieges." Schmidbauers letzter Wurf vor, und der ging gründlich daneben.

Im Sog des öffentlichen Diskurses der letzten Jahre über die Traumaforschung, insbesondere über die Auswirkungen des Holocaust auf die zweite und dritte Generation bzw. über die Auswirkungen der nationalsozialistischen Herrschaft auf die folgenden Generationen, will Wolfgang Schmidbauer einen umfassenden Beitrag leisten und man weiß nicht so recht welchen. Als wäre dem Autor das Thema fast entgangen, wohnt dem Buch ein Tempo inne, das sich schon im Formalen ausbreitet. Neben Schreib- und Druckfehlern, verstört ein zusammengeschriebenes Literaturverzeichnis, von dem sich die wenigsten Titel im Text verarbeitet finden. Und selbst diese Ausnahmen kamen fast alle bereits vor den 90er Jahren an die Öffentlichkeit. Aktuellere Publikationen beschränken sich großteils auf Zeitungs- und Zeitschriftenartikel. Ein unbrauchbares Register ließ Schmidbauer von Dr. Barbara Gerber zusammenstellen, deren Kriterien rätselhaft bleiben.

Mit einfachen Erklärungsmustern rast der Autor durch die Weltgeschichte des man-made-desaster und versucht das Trauma des Krieges im breiten Bogen psychologisch zu fassen. So lesen wir von Soldaten des 1. und 2. Weltkriegs, KZ-Überlebenden, Vietnam-Veteranen, Überlebenden des Genozids der Roten Khmer, amerikanischen Indianern bis hin zum Massai-Jäger, der von einem Löwen gebissen wurde. Wir lesen von der Traumatisierung Hitlers und über den Golfkrieg - warum gerade die Schrecknisse im Balkan ausgespart bleiben, ist (s)ein Rätsel. In Banalitäten spürt der Leser, wie dem Autor das Buch über den Kopf wächst und man fragt sich gebannt, welche Problemstellungen den Autor im Banne halten und lesen: "Wir werden niemals mit Sicherheit nachweisen können, ob etwa ein Sklave der Antike, dem die Flucht aus den Blei- oder Silberbergwerken gelang, ähnliche Formen psychischer Traumatisierung aufwies wie ein Überlebender der Konzentrationslager." Sorgen Schmidbauer im historischen Vergleich noch Unsicherheiten, zeigt er sich im direkten Opfer-Täter-Diskurs schon sattelfester. Der Rezensent hadert zwischen Zynismus und Zitierblockade. "Ein zentraler Unterschied zwischen Front und Gefangenschaft liegt darin, daß der Frontkämpfer Möglichkeiten hat, durch sein eigenes Handeln sein Schicksal nicht nur zu verändern, sondern - wenn er sein Handeln überlebt - sich aufzuwerten, das heißt sein Selbstgefühl zu verbessern. Der Gefangene in den Vernichtungslagern (...) hat nicht nur viel schlechtere Überlebenschancen. Seine Handlungsmöglichkeiten sind extrem eingeschränkt. (...) Er wird also in jedem Fall seines bisherigen Selbstgefühls beraubt." Das Zitat sollte man zweimal lesen.

Auch von gequälten Frauen ist die Rede, wobei der Autor samt Thema außer Kontrolle geraten. So sollen wir mit ihm vermuten, "daß eine Dreißigjährige, die im Alter von sechs Jahren vergewaltigt wurde, durch die lieblose Behandlung im Elternhaus vorbereitet wurde, die traumatische Erfahrung scheinbar rasch zu bewältigen." Nicht Wunder, daß sich auf dieser Ebene auch eine grotesk eurozentristische Perspektive Luft macht. Vermutlich rätselt Wolfgang Schmidbauer über das somalische Topmodel Waris Dirie, die seit einiger Zeit als UN-Sonderbotschafterin durch die Lande zieht, um gegen die Tortur der Klitorisbeschneidung zu protestieren. Erst kürzlich sagte sie in einem Gespräch mit der "Presse": "Es geht den Männern nur darum die Frauen zu kontrollieren. Es ist Folter, ich weiß es aus eigener Erfahrung." Wolfgang Schmidbauer ist da anderer Meinung: "Verstümmelnde Praktiken, wie die Subinzision des Penis oder die Amputation der Klitoris wären für europäische Kinder und Jugendliche extrem traumatisierend, können aber in den betreffenden Kulturen integriert werden."

Nachdem wir uns durch die Gräuel der Weltgeschichte gequält haben ist schlußendlich Beruhigung angesagt. Auch die weiß Schmidbauer seinen Lesern zu verschaffen. Mit "einigen Regeln zur Gesprächsführung mit Traumatisierten" schließt der Band, um mit solchen Psychotricks gewappnet gar nicht jene Angst aufkommen zu lassen, die unweigerlich in derart psychologischen Extrembereichen zu erfahren ist. Mit der Aussicht auf "eine Basis herzlicher Gefühle" und einem "Modell, wie mit Verletzungen umgegangen werden kann", bleiben die Traumata der Kriege in einem illusionären Raum "von Zuneigung getragen und von rivalisierenden Geltungswünschen befreit" und somit die Leserschaft erhalten. Gewiß, Schmidbauers professionelle Fähigkeiten zuzuhören und zu schreiben, sind sehr ausgeprägt. Es wäre vielleicht ratsam, dazwischen etwas innezuhalten und eventuell die nächsten beiden Bücher zu überspringen.

Wolfgang Schmidbauer: "Ich wußte nie, was mit Vater ist". Das Trauma des Krieges. (Rowohlt Verlag) 1998. 347 Seiten.