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Karl Fallend

Doch der Antisemitismus hat keine Hautfarbe.

Drei Reisen, drei Geschichten von Grete Weil.

In: Presse-Spectrum. 19. Februar 2000.

"Nur liegen will ich, vergessen. Alles vergessen. W. vergessen. Indem ich ihn vergessen will, zerre ich ihn ans Licht." Die Ich-Erzählerin ist sich (nicht) ganz sicher: der Reiseführer W. - sie hat den Namen vergessen - bei den mexikanischen Ruinen von Chich‚n-Itz  ist der junge hübsche und intelligente SS-Mann aus Amsterdam, der ihr, der jungen Jüdin, Komplimente streute. Kurz fühlte sie sich geschmeichelt, obwohl er beteiligt war an Verhaftung und Transport - des Ungeziefers. Aber: Ungeziefer macht man keine Komplimente.

25 Jahre später stellt sie W. zur Rede, ohne ihn anzureden. Sie hört seine Rechtfertigungen, die sie ihm in den Mund legt, und glaubt ihm nicht. Er muß in Auschwitz gewesen sein, obwohl (oder: weil?) sie nicht dort war. Sie überlebte, und muß sich im Selbstgespräch sagen (lassen): "Nun ja, gnädige Frau, Sie haben sich abgefunden, wie jeder sich abfindet, der überlebt. Schmerz wird zur Skepsis, Empörung zu Unbehagen." Was bleibt ist nicht Schuld, sondern Scham und der Wunsch zu Vergessen.

Und gegen diesen Wunsch anzuschreiben, war Grete Weils Lebensaufgabe, seit ihr Mann Edgar 1941 in Mauthausen ermordet wurde. Grete Weil überlebte. Sie kehrte zurück nach Deutschland, 'dem Land ihrer Mörder, dem Land ihrer Sprache', was viele nicht verstehen konnten oder wollten. In der Erzählung "Gloria Halleluja" (1968) ist es die Auschwitz-Überlebende Rosa Silber, Pfandleiherin in Harlem, die sie deswegen aus dem Laden wirft. Scham und Verzweiflung: "Ja, ich weiß. Ich will es nicht wieder tun. Nicht noch einmal überleben." Rauswurf, gerade aus Harlem, wo sie bei den ausgebeuteten Schwarzen auf Teilbarkeit des Leidens hoffte. Eine Illusion. Antisemitismus hat keine Hautfarbe. Zu Gast bei einem schwarzen Familienvater, der fanatischer Christ: "Eine Jüdin, eine Mörderin unsres Herrn. Hinaus aus meiner Wohnung!"

Chich‚n-Itz , Harlem und schließlich die Dolomiten. Drei Reisen, drei Erzählungen der Schriftstellerin Grete Weil, die in ihrer Entstehung durch die traumatische Zäsur dieses Jahrhunderts getrennt sind. Aus dem Jahre 1932  stammt die erste, bisher unveröffentlichte, Erzählung 'Erlebnis einer Reise', die eine andere Entwicklung der Schriftstellerin erahnen läßt. Nicht als 'Zeugin des Schmerzes', sondern als sensible und unbekümmerte Beobachterin von Liebe und Begehren versuchte sich die junge Autorin. Das Pärchen Peter und Maria verliebt sich auf einer Urlaubsreise in den jugendlichen Ausreißer Johnny. Ein Bergunfall des schönen Knaben, läßt die beiden um seine Fürsorge wetteifern. In dieser Dreiecksdynamik entfremdet sich das Paar und die homosexuelle Beziehung geht als erotische Siegerin hervor.

Da alle Erzählungen von Grete Weil autobiographisch geprägt sind, hält uns der Verlag Nagel & Kimche mit diesem literarischen Kleinod die Schriftstellerin auch in persönlicher Erinnerung.

Grete Weil starb am 14. Mai 1999 in Grünwald bei München im Alter von 92 Jahren.

Grete Weil
Erlebnis einer Reise.
Drei Begegnungen.
geb., 154 S., (Nagel & Kimche)