Nitzschke, B. (2000)
Ich habe Ihr Buch "Das Ich als
Experiment" gelesen und möchte Sie wissen lassen, Bernd Nitzschke ... legt mit "Das Ich als Experiment" den dritten
Band mit Essays über Werk und Wirkung Freuds vor. Es sind allesamt
Bände, in denen der Autor so sachkundig wie kritisch nachweist, dass
Freud kein "Freudianer" war (und weniger dogmatisch, als man heute allgemein
glaubt) und dass die psychoanalytische "Bewegung" insgesamt viel facettenreicher
und differenzierter gewesen ist, als es heute den Anschein haben mag.
Mit der Lektüre des
Buches nimmt der geneigte Leser an der Archäologie psychoanalytischer Frühgeschichte
teil, die vergessene Gründerfiguren zu Tage fördert, wichtige Seitenwege und
Passagen aufzeigt und hilft, so manche alten und neuen psychoanalytischen
"Legenden" als historischen Irrtum freizulegen. Sie kann jedem nur
nachdrücklich empfohlen werden. Die Psychoanalyse – so kann man vielleicht die Quintessenz des Bandes
zusammenfassen – sei weder `rein´ noch `tendenzlos´ und schon
gar nicht im kruden, positivistischen Sinn `wissenschaftlich´, sie
sei vielmehr ein offenes, gewagtes und zuweilen auch unsicheres Unternehmen,
ein `Experiment´ eben, das sich gegenüber neuen Erfahrungen
und Erkenntnissen nicht immunisieren darf. ... Die Texte vergegenwärtigen
ein Stück Zeit- und Theoriegeschichte, aber nicht in geglätteter,
gesetzter Form. Nitzschke will kein Chronist im üblich wertfreien
Sinn sein, er nimmt Stellung, greift an, bezieht klar und deutlich Position,
vor allem gegen die Ausgrenzer und Vereinseitiger, die der Geschichte der
Psychoanalyse ihren Stempel aufgedrückt haben, wie der Freud-Biograph
Ernest Jones.
Dieser informative und sehr lesenswerte Band beschreibt in seinem
ersten Teil den Lebensweg mehrerer Dissidenten. Das ist ein höchst
verdienstvolles Unterfangen, da sie alle wichtige Beiträge zur Entwicklung
der psychoanalytischen Theorie geliefert haben ... Im zweiten Teil seiner
Essays beschäftigt sich Bernd Nitzschke mit der "Zerstörung der
deutschen und der psychoanalytischen Kultur" durch die Nationalsozialisten.
... Am Ende des empfehlenswerten Bandes ... beschäftigt sich Bernd
Nitzschke mit der Zukunft der Psychoanalyse. Das Denken in unversöhnlichen
Gegensätzen zu überwinden ist für ihn die notwendige Voraussetzung,
damit das Realität werden kann, was er als zentrale Aufgabe der Psychoanalyse
sieht.
Als ausgezeichneter Stilist versteht es Nitzschke komplizierte Sachlagen
und vielschichtige Beziehungsstrukturen in einer auch für den nicht-psychoanalytisch
geschulten Leser verständlichen Sprache darzustellen. Seine Aufsätze
sind im besten Sinne psychoanalytisch, die Interpretationen reichen nie
weiter, als es das in der Recherche zu Tage geförderte Material erlaubt,
sie stellen die Akteure nicht bloß, sondern geben feinfühlige
Einblicke in die verschwiegene personale psychoanalytische Beziehungsgeschichte.
In der heutigen Zeit, in der kurzlebige psychoanalytische Publikationen
vorherrschen, ... bestechen sie durch ihren Ernst, ihre Aufrichtigkeit
und Offenheit. ... Sie zeigen, was Psychoanalyse zwar nie ganz war, aber
der Möglichkeit nach hätte sein und werden können, eine
gleichermaßen kritische wie selbstkritische Wissenschaft. Schon deshalb
ist es ein empfehlens- und lesenswertes Buch.
Nitzschke wendet sich dem Unangenehmen, Verdrängten, Verleugneten
in der Psychoanalyse zu – in echter Tradition mit Sigmund Freud, der auf
der Wahrheitssuche die Auseinandersetzung mit dem Unzeitgemäßen
nicht gescheut hatte. Nitzschke deckt dort historische Fakten auf, wo die
unbequeme Wahrheit durch Moralisieren abgewehrt wird. Es macht Freude,
Nitzschke in seiner sachlichen, spannenden und zugleich humorvollen Argumentation
zu folgen.
Nitzschke calls on the integrative power of psychoanalytic theory
itself: Bringing back to conscience the darker chapters of history and
accepting them enables us to get a more complete picture. It is this passionate
belief underlying all of the essays that makes them such a pleasant and
convincing collection. … For everybody interested in a lively and substantiated
debate on psychoanalysis, these essays will definitely be a most invigorating
treat.
... weil Nitzschke ... eine gute Kentnnis des gutbürgerlichen
österreichischen Milieus der ersten zwei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts
beweist, aus dem die "neurosis austriaca", diese Mischung aus Größenphantasien,
Zerstörungswünschen und morbiden Sehnsüchten erwuchs ...
Abgesehen von diesem Österreichbezug ist Nitzschkes Essays zugute
zu halten, dass er unablässig bestrebt ist, die psychoanalytische
Methode auf die Psychoanalytiker anzuwenden, um dadurch idealisierenden
und verdrängenden, projizierenden und nihilisierenden Geschichtsbildern
über die Psychoanalyse entgegenzuwirken. Er schafft sich dadurch nicht
unbedingt Freunde, trägt aber wesentlich dazu bei, die Seriosität
dieser Wissenschaft zu bewahren.
Bernd Nitzschke unternimmt nun den
faszinierenden Versuch, die Ambiguität des Ichbegriffs im Hinblick auf
seine Abgründe, die Fragilität der modernen Subjektivität,
nachzuzeichnen, wie sie sich in der Geschichte der psychoanalytischen
Erforschung des Ichs darstellt und diese Rekonstruktion auch auf die
Theorieentwicklung der Psychoanalyse im 20. Jahrhundert als kollektive
wissenschatfliche "Ichentwicklung" anzuwenden, wobei er deren
spezifische Tendenz zu destruktiven Wiederholungszwängen als eine der
Ambiguitäten der individuellen und der kollektiven Ichentwicklung nicht
ausspart. In bewährter Manier, die wir aus seinen früheren Texten
kennen, folgt er dabei den Spuren der vergessenen Dissidenten der
psychoanalytischen Bewegung H. Silberer, S. Spielrein, O. Groß, O.
Fenichel und W. Reich. ... Dabei kommt ein Untergrundgewebe der
vorherrschenden psychoanalytischen Theoriebildung zum Vorschein, das die
Verlustgeschichte, die Geschichte des Mangels an theoretischer Reflexion
im Begriff des Ichs historiographisch zugleich festhält wie auch
rettet ... Wie ein Detektiv dringt Nitzschke in das Wien der
vorletzten Jahrhundertwende ein und lässt den Leser zum Zeitzeugen
werden ... Vorbildlich für die Geschichtsschreibung anderer
Teildisziplinen der Medizin oder der Psychologie rekonstruiert Nitzschke
nicht einfach den vermeintlich strahlenden Siegeszug einer bestimmten
Disziplin, in diesem Falle der Pschoanalyse im 20. Jahrhundert, sondern
arbeitet in aller Deutlichkeit auch deren Schattenseiten mit heraus. Nitzschke
wendet sich dem Unangenehmen, Verdrängten, Verleugneten in der
Psychoanalyse zu – in echter Tradition mit Sigmund Freud, der auf der
Wahrheitssuche die Auseinandersetzung mit dem Unzeitgemäßen nicht
gescheut hatte. Nitzschke deckt dort die historischen Fakten auf, wo die
unbequeme Wahrheit durch Moralisieren abgewehrt wird. Es macht Freude,
Nitzschke in seiner sachlichen, spannenden und zugleich humorvollen
Argumentation zu folgen.
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