"Ich hieß Sabina Spielrein"

Ein Dokumentarfilm von Elisabeth Márton

 

Bernd Nitzschke über die Uraufführung des Films "Ich hieß Sabina Spielrein" und das Internationale wissenschaftliche Symposium am 27. April 2002 im Filmmuseum der Stadt Düsseldorf:

Sabina Spielrein kam 1904 - sie war damals knapp 19 Jahre alt - in die Psychiatrische Anstalt Burghölzli, wo sie von C. G. Jung wegen „psychotischer Hysterie“ behandelt wurde. Sie war sein „psychoanalytischer Schulfall“, wie es in einem Brief Jungs an Freud heißt. Und sie wurde zum Lehrfall: Der Begriff „Gegenübertragung“ wurde erstmals im Zusammenhang mit der Liebesgeschichte, die nach der Behandlung zwischen Jung und Spielrein begann, in einem Brief Freuds an Jung gebraucht. Darüber hinaus war Sabina Spielrein mit ihrem schmalen, jedoch höchst interessanten Werk eine Pionierin der Psychoanalyse, die viele Denkanstöße gab. Die in Schweden lebende Regisseurin Elisabeth Márton hat dem Andenken dieser einzigartigen Frau einen Dokumentarfilm gewidmet, der am 27. 04. 2002 in Düsseldorf uraufgeführt wurde. Er ist wie ein Traum komponiert. Er ist „Poesie“. Er ist die Liebeserklärung an eine Frau, die vergessen war, bis man eines Tages – zufällig – in Genf einen Koffer mit ihren Tagebüchern und Briefen wiederfand. Der Titel des Films, an dem die Regisseurin sieben Jahre lang gearbeitet hat, ist einem Dokument entnommen, das bei den Krankenakten lag. Es trägt den Titel „Letzter Wille“. Darin schreibt Sabina Spielrein: „... pflanzen sie dort eine Eiche und schreiben sie: >ich war auch einmal ein Mensch. Ich hiess Sabina Spielrein<“.

Welcher Mensch diese Frau war, das zeigt der Film in eindrücklicher und ergreifender Weise. Er führt in Schwarz-Weiß-Bildern, deren Aussagekraft so intensiv ist, dass man glaubt, sie farbig wahrzunehmen, an vergessenen Stätten (etwa am Gebäude, in dem das erste Psychoanalytische Institut in Moskau untergebracht war und an dem Sabina Spielrein kurzzeitig arbeitete) vorbei – zurück in eine versunkene Welt, in die Welt der frühen Psychoanalyse, mit der Sabina Spielreins Leben so innig verbunden war: Zürich – Wien – Berlin. Von dort führte Sabina Spielreins Lebensweg wieder in die Schweiz zurück, nach Genf, wo sie mit Jean Piaget zusammenarbeitete (dessen Lehranalytikerin sie war). Nach der Russischen Revolution kehrt sie nach Moskau, später nach Rostow zurück. Dort holt sie und ihre Familie der Schrecken des 20. Jahrhunderts ein: Stalins Schergen töten ihre drei Brüder; sie und ihre beiden Töchtern werden mit anderen Juden 1942 von den Nationalsozialisten erschossen.

Elisabeth Mártons Film stellt die äußeren Schauplätze mit Fotos, zeitgenössischem Dokumentarfilmmaterial (etwa aus der Zeit des Zarenreichs), aber auch mit neuen Aufnahmen vor, die fast zeitlos, eben wie im Traum, wirken und deshalb oft den Eindruck hinterlassen, als seien sie schon damals, als Sabina Spielrein noch lebte, gedreht worden. Dieser Eindruck wird durch nachgespielte Szenen verstärkt (die etwa Begegnungen Sabina Spielreins und C.G. Jungs darstellen). Aussagen aus Originaldokumenten (darunter viele Briefe) illustrieren diese Szenen. Die Empathie der Regisseurin teilt sich so dem Betrachter mit, der am Ende meint, nun auch noch die Bilder der inneren Schauplätze vor sich zu sehen. Und doch ist es nur ein Dokumentarfilm, der, gestützt auf Aussagen von Zeitzeugen und noch lebenden Familienangehörigen, diese innere und äußere Welt erhellt, in der Sabina Spielrein lebte und litt.

Das Internationale wissenschaftliche Symposium, das die Welturaufführung des Films flankierte, hatte der Verein „Psychoanalyse und Philosophie e.V.“ ausgerichtet. Es fand nach der Uraufführung im Filmmuseum der Stadt Düsseldorf statt und stand unter dem Thema „Sexuelle Übergriffe in der Psychoanalyse – Der Fall Sabina Spielrein“. André Karger (Düsseldorf), der an der Organisation des Symposiums wie der Filmaufführung wesentlich beteiligt war, führte - in Übereinstimmung mit der allgemeinen Verführungstheorie von Laplanche - aus, dass die Psychoanalyse die reale Berührung zwar tabuiere, die übertragene Verführung deshalb aber umso wirksamer inszeniere. Grenzüberschreitung sei daher ein sehr doppelsinniger Begriff, den es zu reflektieren, nicht zu dämonisieren gelte. Daran schloss Bernd Nitzschke (Düsseldorf) an, als er zeigte, warum sich die Bilder der Leidenschaft, die Sabina Spielrein und C.G. Jung verband, nicht dem voyeuristischen und verurteilenden, vielmehr nur dem liebenden und verstehenden Blick öffnen können. Zvi Lothane (New York) ergänzte dies mit dem Hinweis, dass es auch einen „keuschen“ Exzess geben könne, dessen gemilderte Version im psychoanalytisch-psychotherapeutischen Alltag die wesentliche Rolle spiele. An der abschließenden Diskussion mit dem Premierepublikum nahmen außer den genannten noch Peter Schneider (Zürich), Elisabeth Márton (Stockholm) und Gertrud Lettau (Düsseldorf) teil. Letztgenannte ist Mitherausgeberin des dem Symposium zugrunde liegenden Buches: Karger, A., Knellessen, O., Lettau, G., Weissmüller, C. (Ed.): Sexuelle Übergriffe in Psychoanalyse und Psychotherapie. Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2001.

Dieser Text wurde veröffentlicht in: "Werkblatt - Zeitschrift für Psychoanalyse und Gesellschaftskritik" Nr. 48, Heft 1/2002: 120-123.

Weitere Informationen zum Film sind zu finden unter: http://sabinaspielrein.com/

Für den Verleih des Films kann man sich direkt an die Regisseurin wenden:

Elisabeth Márton
Sockenvägen 502
121 34 Stockholm
Schweden
Tel/Fax 0046-8-6497359
e-mail: e-mail an Elisabeth Morton

Szene aus dem Film "Ich hieß Sabina Spielrein"

 

David Cronenberg hat im Spielfilm Eine dunkle Begierde (2011) die Beziehungen zwischen Sabina Spielrein, C. G. Jung und Sigmund Freud melodramatisch in Szene gesetzt. Siehe dazu Bernd Nitzschkes Besprechung bei: http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=16242&ausgabe=201201