Wolfgang
Schmidbauer: Das kalte Herz. Von
der Macht des Geldes und dem Verlust der Gefühle. Hamburg
(Murmann) 2011 Geld macht nicht glücklich. Und weniger ist oft mehr. Neudeutsch formuliert heißt das: small is beautiful. Letzteres muss man nicht unbedingt wörtlich verstehen, denn zwei stolze AKW-Kühltürme können ganz apart aussehen, vielleicht sogar den Türmen des Kölner Doms ähneln, während ein Windpark in der Eifel oder auf den Höhen der Rhön die Landschaft verschandelt. Aber so war das ja auch nicht gemeint, als der Ökonom Ernst Friedrich Schumacher 1973 seinen Alternativ-Bestseller „Small is beautiful“ veröffentlichte, der hierzulande den altdeutschen Titel trägt: „Die Rückkehr zum menschlichen Maß – Alternativen für Wirtschaft und Technik“ (1977). Schumacher ging es nicht um Ästhetik, sondern um Ethik, Wirtschaften im Dienste der Menschen und nicht auf Kosten der Menschheit. Darum geht es Wolfgang Schmidbauer nun auch: um das rechte Maß. Für sein neues Buch – er hat bereits mehr als vierzig Bücher geschrieben! – hat er Wilhelm Hauffs Märchen „Das kalte Herz“ bemüht, das er im Titel und aus dem er in jedem Kapitel programmatische Sentenzen zitiert. Wir erinnern uns: In diesem Märchen verspricht der Holländer-Michel dem Schwarzwald-Köhler Peter Munk, der könne alles bekommen, was sein Herz (als Sitz des Begehrens und der Gier) verlangt, wenn er ihm zuvor sein Herz (als Ursprung des Mitgefühls und der Menschenliebe) überlasse. Peter willigt ein – und bekommt für sein Herz aus Fleisch und Blut ein Herz aus Stein. Und wir bekommen von Wolfgang Schmidbauer kluge Sätze, die wir gar nicht oft genug unterstreichen können, weil wir – wie Helmut Schmidt – zu den menschenfreundlichen und umweltbewussten und auch sonst ganz bescheidenen Kritikern des Raubtierkapitalismus gehören. Also schlagen wir bei Schmidbauer nach: „Wo Leistungsforderungen dominieren, schwindet Einfühlung“ (Seite 10 f.). Und wir lesen dort: „Das Selbstgefühl des Menschen, der narzisstische Kränkungen durch Perfektionismus ausgleicht …, gleicht einergespannten Blase, die durch einen Nadelstich zerreißt“ (Seite 23). Ja, der Meister lässt und in die Werkstatt blicken und plaudert über Menschliches, Allzumenschliches so: „Die reichen Mütter meiner Analysandinnen waren unzufrieden mit sich und ihren Ehemännern“ (Seite 37). Oder so: „Ich arbeitete bis 1992 mit einer mechanischen Schreibmaschine. Nie habe ich bei ihren Defekten etwas erlebt, was sich mit der Angst, Wut und Scham vergleichen lässt, die den Datenverlust nach einem Computerabsturz oder einer Fehlbedienung begleiten“ (Seite 63). Tja, ein im Hintergrund laufendes Datensicherungsprogramm würde zwar vor Datenverlust schützen, doch es kostet Geld und von seiner Anschaffung würde die Konsumgüterindustrie profitieren, der sich Schmidbauer mit all seinem psychoanalytischen Wissen in den Weg stellt. Bis er auf Seite 192 angelangt ist, auf der sich die Psychologie und Philosophie verbrüdern, womit dann die Einsicht gelingt, dass Einfühlung nicht nur im heißen Herzen des Menschenfreundes, sondern auch im kalten Herzen des Bankers zuhause ist. Deshalb muss „Einfühlung …, ganz im Schopenhauer’schen Sinn, durch die Maxime gezügelt werden, niemandem zu schaden und anderen Menschen so viel wie möglich zu helfen. Ohne diese Zügel, die nicht aus ihr selbst kommen, kann sie dem Banker so gut nützen wie dem Psychotherapeuten.“ Und deshalb muss Letzterer die „Filter“ demontieren, die den Gewinn des Ersteren sichern. Denn: „Unter dem Einfluss der Geldwirtschaft entstehen seelische Filter, welche jene Aspekte unserer Emotionen begünstigen, die zu den Kapitalinteressen passen“ (Seite 7). Ja, so ist es heutzutage. Und früher war es besser. Denn: „In Jägerkulturen ist die Natur selbst der Speicher; sie muss nicht bewacht werden; der Bauer hingegen braucht Mauern, bald auch Waffen und Soldaten, um seine Kornspeicher zu schützen und womöglich anderen ihre Speicher zu rauben, ehe sie das mit dem seinigen tun“ (S. 27). Bei soviel Kritik an unserer „Spekulation und Wette beschleunigenden Wirtschaft“ (S. 8) darf Karl Marx nicht fehlen. Er wird denn auch wenigstens einmal – im Stile des Namedroppings – erwähnt. Ja, dieser Ur-Hippies, der hatte den Geist der Zeiten, der alle „idyllischen Verhältnisse“ zerstört, verstanden! Gemeinsam mit seinem Freund Friedrich Engels hat er vor lange Zeit geschrieben: Die Bourgeoisie lässt „kein anderes Band zwischen Mensch und Mensch übrig … als das nackte Interesse, als die gefühllose ‚bare Zahlung’. … Sie hat die persönliche Würde in den Tauschwert aufgelöst ... Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten […] in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt.“ So steht es im Manifest der Kommunistischen Partei von 1848. Offenbar haben Marx und Engels Hauffs Märchen „Das kalte Herz“ auch gelesen, das 1827 im „Märchenalmanach“ erschienen ist. Und nun hat Wolfgang Schmidbauer mit seinem Gang durch die Weltgeschichte der menschlichen Seele die Historie noch ein Stück näher zum guten Ende gebracht, denn er hat ein das Gewissen aller gierigen Menschen aufrüttelndes und das Gewissen aller bescheidenen Menschen beruhigendes Buch geschrieben. Bernd Nitzschke
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