Bernd
Nitzschke Freud
und die akademische Psychologie Einleitende
Bemerkungen zu einer historischen Kontroverse „Brücke und ich, wir haben uns verschworen, die Wahrheit geltend zu machen, daß im Organismus keine anderen Kräfte wirksam sind, als die gemeinen physikalisch-chemischen; daß, wo diese bislang nicht zur Erklärung ausreichen, mittels der physikalisch-mathematischen Methode entweder nach ihrer Art und Weise der Wirksamkeit im konkreten Fall gesucht werden muß, oder daß neue Kräfte angenommen werden müssen, welche, von gleicher Dignität mit den physikalisch-chemischen, der Materie inhärent, stets auf nur abstoßende oder anziehende Componenten zurückzuführen sind.“
Du Bois-Reymond in einem Brief an Hallmann 1842 (zit. n. Bernfeld 1944, 62f.) 1
Der
historische Hintergrund der Beziehungen
zwischen
akademischer Psychologie und Psychoanalyse
In den 60er Jahren des 19.
Jahrhunderts war die sogenannte Helmholtz-Schule (Emil Du Bois-Reymond:
1818-1896; Ernst von Brücke: 1819-1892; Carl Ludwig: 1816-1895; Hermann
von Helmholtz: 1821-1894) in der Physiologie wegweisend. Helmholtz war
es (neben Robert Mayer) gelungen, den Energieerhaltungssatz für die
Physik zu formulieren, ein Denkmodell, das in verwandter Form in der
Psychophysik Fechners und in Freuds psychoenergetischer Theorie
wiederkehrt. Freud hatte sechs Jahre, in der Zeit zwischen 1876 und
1882, im physiologischen Labor Ernst von Brückes, also unter einem führenden
Repräsentanten der Helmholtz-Schule gearbeitet. In heutiger
Terminologie gesprochen, war Freud damals so etwas wie eine studentische
Hilfskraft. Ein Jahr nach seiner
Promotion (1881) verließ Freud das Labor Brückes, weil er sich
verloben wollte (1882) und nicht damit rechnen konnte, eine
Assistentenstelle zu erhalten, demnach keine Aussicht hatte, als
Forscher an der Universität den für eine Familiengründung notwendigen
Lebensunterhalt zu verdienen. Ab 1882 arbeitete Freud als Arzt im
Krankenhaus. 1886, nach der Rückkehr von einem Studienaufenthalt bei
Charcot in Paris, ließ er sich nieder. Nach einer Meldung der Wiener
Medizinische Wochenschrift vom 1. 5. 1886 eröffnete Freud seine
Praxis als „Dozent für Nervenkrankheiten". Er hatte sich
zwischenzeitlich im Fach Neuropathologie habilitiert. Die Assistentenstellen bei
Brücke hatten zwei enge Freunde Freuds inne: Josef Paneth und Ernst
Fleischl von Marxow. Beide starben kurz hintereinander (Paneth 1890;
Fleischl 1891) im mittleren Alter. Die Karriere, die Freud für sich
erträumt hatte, blieb einem anderen vorbehalten: Sigmund Exner. Er
wurde Brückes Assistent und später dessen Nachfolger.[1] So, wie die Umstände nun
einmal lagen, wurde Freud zum Praktiker und Therapeuten, der seine
Forschungsinteressen mehr oder weniger neben seiner Berufsarbeit als
„Privatgelehrter“ verfolgen musste, wofür er nicht das Labor,
sondern das Feld der Praxis zur Verfügung hatte. Während Freud in den
folgenden Jahrzehnten die Theorie entwickelte, die unter dem Namen
„Psychoanalyse“ weltbekannt werden sollte, wurde Exner Nachfolger Brückes
und als solcher dann auch Mitherausgeber der 1890 von Ebbinghaus gegründeten
Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane. Es
war gewissermaßen ein Zufall der Geschichte (nämlich eine Folge des
Amtes, das Exner und nicht Freud inne hatte), dass nun Exner und nicht
Freud Mitherausgeber dieser bedeutenden Fachzeitschrift der akademischen
Psychologie geworden war.[2] Der Einfluß der
Helmholtz-Schule auf Freuds Denken - insbesondere auf Freuds
Metapsychologie (vgl. Bernfeld 1944) - wurde durch den Einfluß ergänzt,
den die Arbeiten Fechners hatten, die in den wissenschaftlichen Kreisen,
zu denen Freud gehörte, bekannt und geschätzt waren. Insbesondere
Freuds väterlicher Mentor, der Physiologe Josef Breuer (vgl. Hirschmüller
1978), kannte Fechners Theorien. Und Exner gab nach Paneths Tod dessen
letzte Arbeit heraus, in der, von Fechners Psychophysik beeinflußt, der
zeitliche Verlauf von Gedächtnisvorstellungen dargestellt wurde (Paneths
1890). Die beiden Männer, Helmholtz und Fechner, die an der Wiege der
akademischen Psychologie standen, hatten also auch auf Freuds Denken
Einfluß. Die Eigenart der Psychoanalyse, in der sich
naturwissenschaftliche und philosophische Traditionslinien überschneiden,
kennzeichnet wiederum das Werk Fechners. Man erinnere sich etwa daran,
daß Fechners Bestimmungen der (Reiz-)„Schwelle“ (Psychophysik) dazu
dienen sollten, Fechners Philosophie (Metaphysik) zu untermauern. Wundt
sprach deshalb Fechner rückblickend als Vollender der romantischen
Naturphilosophie an. Ob nun durch Fechner
beeinflußt oder nicht - auch Freuds Psychoanalyse übernimmt einen Teil
des Erbes der Romantik. Sie knüpft an die Philosophien des Unbewußten
an, die im 19. Jahrhundert vor allem mit den Namen Schopenhauer und von
Hartmann verbunden sind. Über Eduard von Hartmanns „Die Philosophie
des Unbewussten“ (1869) hatte wiederum Ebbinghaus promoviert, während
Fechner eine eigene Theorie des Unbewußten vertrat. Die
unterschiedlichen Traditionslinien, die zur Psychoanalyse führten, sind
in jener Zeit also mehrfach und eng miteinander verschlungen, wobei sie
in der Person Freuds eine eigentümliche Ausgestaltung gewinnen: Der
Umgang mit psychisch Kranken verbindet sich bei ihm mit
naturwissenschaftlichem Denken, mit den Philosophien des Unbewussten,
dem Hypnotismus Charcots und Bernheims. Hinzu kommen Freuds
Rauschdrogenerfahrungen (Kokain) und seine Selbstanalyse, die zur
Traumdeutung führt, aus der die Psychoanalyse im engeren Sinn
hervorgegangen ist. Schließlich hatten Wundt,
der Begründer der akademischen Psychologie, und Freud, der Schöpfer
der Psychoanalyse, dieselbe Denk-Schule durchlaufen: Wundt war mehrere
Jahre Assistent bei Helmholtz in Heidelberg, bei einem Forscher, dessen
engster Freund, Ernst von Brücke, Freuds Lehrer war. Beide Richtungen -
die akademische Psychologie und die Psychoanalyse, deren historisches
Verhältnis der vorliegende Band (Nitzschke, B. [Hg.]: Freud und die
akademische Psychologie, 1989) näher zu bestimmen sucht - sind zunächst
in enger Nachbarschaft angesiedelt. Da Freud jedoch nicht im Labor
arbeiten konnte und deshalb auf das Experiment verzichten mußte,
entwickelte er in der ärztlichen Praxis eine eigene Beobachtungs- und
Forschungsstrategie, die ihn schrittweise von der
naturwissenschaftlichen Psychologie entfernte. Dennoch hielt Freud bis
ans Ende seines Lebens an der Überzeugung fest, die Psychoanalyse ließe
sich mit der naturwissenschaftlichen Traditionslinie vereinbaren. Möglicherweise
ist diese Überzeugung dem Einfluß eines anderen Lehrers Freuds
zuzuschreiben: Franz von Brentano, bei dem Freud ursprünglich vorhatte,
„das Doktorat in Philosophie aufgrund von Philosophie und Zoologie zu
erwerben“ (Freud 1989, 109). Brentano sah zwischen Philosophie und
naturwissenschaftlicher Methode jedenfalls keinen unüberbrückbaren
Gegensatz. Da Freud das Experiment in sein Methodenarsenal aber nicht
aufnehmen konnte, kam es schon frühzeitig zu Einwänden akademischer
Psychologen gegen die Psychoanalyse. So wollte Wundt die Psychoanalyse
deshalb nicht als Wissenschaft gelten lassen, weil sie sich dem
experimentellen Paradigma nicht unterwarf (vgl. Elliger 1986, 85ff.).[3]
Halten wir fest: Freuds
psychoenergetisches (libidotheoretisches) System ist durch Auffassungen,
die Helmholtz vertrat (vgl. Hilgard 1957, 77), aber auch durch Fechners
Ansichten mitbestimmt. Alexander spricht vom „Fechner-Freudschen
Stabilitätsprinzip“ und bezeichnet dieses Prinzip als das
„produktivste Konzept der Psychoanalyse“ (1940, 322). Davon seien
die homöostatischen Aussagen über den psychischen Apparat abzuleiten,
die eine weitreichende Bedeutung für einzelne psychoanalytische
Annahmen besitzen. So dient die vom Ich ausgehende Abwehr der
Aufrechterhaltung der Homöostase (beziehungsweise der Wiederherstellung
des psychoenergetischen Gleichgewichts). Und mit dem Stichwort
„Lustprinzip“ ist ein Regulationsprinzip bezeichnet, dem ebenfalls
Annahmen über Stabilität zugrunde liegen. Schließlich knüpft
Alexander (1956) selbst an den Fechner-Freudschen Überlegungen zur
Stabilität an.[4] Wenn sich die Wege Wundts
(der akademischen Psychologie) und Freuds (der Psychoanalyse) auch frühzeitig
trennten, so gab es anfangs doch noch einen gemeinsamen Schnittpunkt: Am
Beginn der Psychoanalyse steht die Methode der freien Assoziation, die
mit der Methode der Deutung der freien Einfälle verbunden ist. Wundt
war nun aber auch mit Assoziationsexperimenten bekannt geworden. Auch
einer der Lehrer Freuds in Wien hatte über den Assoziationsverlauf
publiziert (Stricker 1883). Rosenzweig (1985) meint, Wundt und Freud hätten
Galton (1883) als gemeinsamen Ausgangspunkt. Die Übernahme der
experimentalpsychologischen Methode Wundts in der Psychiatrie war schließlich
ein besonderes Anliegen Kraepelins, der Wundt von Leipzig her kannte
(Steinberg 2001). Wundts Assoziationsexperimente wurden dann sowohl in Zürich
wie in Prag aufgegriffen. In Zürich experimentierte C. G. Jung unter
Anleitung von Bleuler mit psychisch Kranken, denen Reizworte zugerufen
wurden. Die Reaktionszeiten, die zwischen dem Reizwort und dem
assoziierten Wort (dem freien Einfall) lagen, wurden gemessen. So wurde
vom Manifest-Beobachtbaren (den Reaktionszeiten und Inhalten der
assoziierten Worte) auf das Latent-Unbeobachtbare ( „Komplexe“)
geschlossen. In Prag wurden ähnliche Experimente von Wertheimer und
Klein (1904) unter Leitung des Kriminologen Hans Gross[5]
zum Zwecke der „Tatbestandsdiagnostik“ durchgeführt.[6] In einer Arbeit, die Freud
1906 in der von Hans Gross herausgegebenen Zeitschrift Archiv für
Kriminalanthropologie und Kriminalistik publizierte, wurden schließlich
Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Tatbestandsdiagnostik und
Psychoanalyse diskutiert. Im selben Jahr nahm C. G. Jung Kontakt zu
Freud auf. Er sandte ihm den ersten Band der „Diagnostischen
Assoziationsstudien“ (Jung 1906), dem später ein zweiter Band (Jung
1909) folgen sollte. In Freuds Arbeit von 1906 werden sowohl die
Experimente von Wertheimer und Klein wie die Assoziationsstudien von
Jung erwähnt, auf die Freud vergleichsweise ausführlicher eingeht. Er
hebt dabei ausdrücklich die Bedeutung des „von der Wundtschen Schule
in die Psychologie eingeführten Assoziationsversuchs“ hervor (Freud
1906, 4). Und auch in späteren Schriften kommt Freud auf Jungs
Assoziationsstudien zurück, in denen er eine „erste Brücke (...) von
der Experimentalpsychologie zur Psychoanalyse“ erkannt hatte (Freud
1916/17, 107; ähnlich: 1914, 67). Während nun aber in Prag und Zürich
die Methode der freien Assoziation experimentell angewandt wird, greift
Freud diese Methode im übertragenen Sinn auf: Er führt in der
psychoanalytischen Behandlungssituation ein Quasi-Experiment durch. Dabei werden die
Assoziationen des Analysanden in dem durch das Setting vorgegebenen
Rahmen registriert und interpretiert, wobei jede Assoziation (jeder
freie Einfall des Analysanden) zu einem neuen „Reiz“ und damit zum
Ausgangspunkt einer neuen Reaktion (des nächsten freien Einfalls)
werden kann. Aber auch die Interpretationen des Analytikers werden zu
„Reizen“, auf die der Analysand mit neuen Einfällen oder mit
Schweigen („Widerstand“) reagieren kann. Der potentiell unbegrenzte
Assoziationsverlauf erfolgt demnach in der psychoanalytischen Situation
in einem durch die Person des Analysanden wie durch die Person des
Analytikers begrenzten Feld. So soll aus der gegenwärtigen
Beziehungs-Geschichte zwischen Analysand und Analytiker, die wesentlich
aufgrund der durch den Analytiker interpretierten Assoziationen des
Analysanden entsteht, die vergangene
Lebens-Geschichte des Analysanden re-konstruiert werden. Zu Beginn des 20.
Jahrhunderts gab es aber auch einige Ansätze, mit deren Hilfe die
psychoanalytische Methode experiment-ähnlichen Bedingungen angeglichen
werden sollte. Das gilt etwa für die von Silberer (1912) durchgeführten
„Lekanomantischen Versuche“.[7]
Ellenberger (1965) nimmt an, daß diese Versuche ein Ausgangspunkt für
das von Hermann Rorschach (1921) entwickelten Formdeuteverfahren gewesen
sein könnten. Rorschach, der als Psychiater 1912/13 mit
psychoanalytischen Behandlungen begann, publizierte - wie Silberer -im Zentralblatt
für Psychoanalyse und Psychotherapie, z. B. eine Arbeit, in der die
Zeichnung eines Schizophrenen gedeutet wurde (Rorschach 1914). Man könnte
das Rorschach-Testverfahren schließlich auch als eine Weiterentwicklung
der Wundt-Jungschen Assoziationsversuche begreifen. Denn auch beim
Rorschachtest werden Reaktionen (Assoziationen) auf diffuse Reize
(Tintenkleckse) gemessen und gedeutet (d. h. auf Latent-Unbewußtes
bezogen). Rorschach war von 1919 bis 1922 Vizepräsident der
„Schweizer Psychoanalytischen Gesellschaft“. Vielleicht waren die
Einwände William Sterns, die er auf dem Marburger Kongreß für
Psychologie 1921 gegen das Rorschach-Verfahren vortrug, durch diesen
Umstand (mit-)bestimmt? Sterns Kritik beeinflußte die Aufnahme des
Rorschachtests in der akademischen Psychologie zunächst jedenfalls
negativ. Später konnte sich das Rorschach-Verfahren dann aber in der
akademischen (Test-)Psychologie durchsetzen. Binswanger (1923) veröffentlichte
schon kurz nach Rorschachs Tod (1922) eine Arbeit, in der er das
Rorschach-Verfahren als Beispiel für Verbindungslinien zwischen der
Psychoanalyse und der akademischen Psychologie anführte. Entsprechend würdigte
Pfister die Bedeutung Rorschachs für die Psychoanalyse (Freud &
Pfister 1963, 87ff.).[8] Was hier über den
Zusammenhang zwischen Psychoanalyse, Assoziationsexperimenten und
Rorschach-Test angedeutet wurde, gilt auch für andere projektive Tests,
die in der akademischen Psychologie angewandt wurden. So berichtet
Murray (1940), auf den der Thematische Apperzeptionstest (TAT)
zurückgeht, daß er neben C. G. Jung auch Freud persönlich kannte. Über
Murrays Besuch bei Freud im Jahre 1937 erfährt man in der
Freud-Biographie von Jones allerdings nichts. Murray gehörte in den
1930er Jahren zu einer Forschergruppe in den USA, die sich darum bemühte,
zwischen der akademischen Psychologie und der Psychoanalyse Brücken zu
schlagen.[9]
Zu dieser Gruppe gehörte auch Saul Rosenzweig, auf den der Picture
Frustration Test zurückgeht. Rosenzweig war zeitlebens darum bemüht,
psychoanalytische Hypothesen experimentell zu überprüfen (Rosenzweig
1938, 1992; allgemein s. Sears 1943; Kline 1972; Fisher & Greenberg
1977). Rosenzweig sandte Freud zwei Arbeiten (Rosenzweig 1933;
Rosenzweig & Mason 1934). Er erhielt eine kurze Antwort, aus der
Freuds Einstellung Mitte der 1930er Jahre gegenüber der experimentellen
Psychologie deutlich wird. Freud schrieb damals, eine experimentelle Überprüfung
psychoanalytischer Aussagen könne „nicht schaden“, sie sei aber
auch nicht erforderlich, da die psychoanalytischen Theorien auf einer Fülle
von Beobachtungen an Patienten beruhten, deren Objektivität nicht
infrage stehen könne (Faksimile in: Rosenzweig 1985). 1937 lud
Rosenzweig Freud ein, Mitherausgeber einer neu zu gründenden
Fachzeitschrift für experimentelle Psychopathologie zu werden. Freud
lehnte auch dieses Angebot ab, da er der Auffassung war, neben der
Psychoanalyse sei keine experimentelle Psychopathologie erforderlich. Freuds negative
Einstellung zur experimentellen Überprüfung psychoanalytischer
Aussagen erklärte Rosenzweig (1985) später so: Freud habe nach der
Trennung von Jung mit dessen Assoziationsstudien auch dessen Brückenschlag
zur experimentellen Psychologie verworfen. Ich teile diese
Interpretation nicht. Freuds Einstellung gegenüber dem Experiment und
der akademischen Psychologie - bzw. der „Experimentalpsychologie“
(Freud 1986, 144), die er in einem Brief an Fließ vom 23. 9. 1895 als
Bezugspunkt der Psychoanalyse nennt - ist komplexer. Freuds Standpunkt
ist dabei vor dem Hintergrund seines wissenschaftlichen Selbstverständnisses
zu erörtern. Freud schreibt, ursprünglich sei der Terminus
„Psychoanalyse“ die Bezeichnung für ein ärztliches (Diagnose-und-Therapie-)Verfahren
gewesen. Diesem Verfahren entspricht eine Untersuchungsmethode, die sich
durch den Gegenstand des Verfahrens konstituiert (zu dem, wie bereits
angedeutet, auch das affektive Wechselspiel zwischen Analysand und
Analytiker gehört). Freud bezeichnet den Gegenstandsbereich der
Psychoanalyse als das „Unbewußt-Seelische“. Damit ist die
Psychoanalyse im erweiterten Sinn nicht mehr als Teilbereich der Medizin
zu bezeichnen, vielmehr als „Ergänzung“ der Psychologie zu
verstehen (Freud 1925, 96). Entsprechend heißt es bei Freud weiter,
„die Psychoanalyse“ sei „kein Spezialfach der Medizin (...). Die
Psychoanalyse ist ein Stück Psychologie, auch nicht medizinische
Psychologie im alten Sinne oder Psychologie der krankhaften Vorgänge,
sondern Psychologie schlechtweg, gewiß nicht das Ganze der Psychologie,
sondern ihr Unterbau, vielleicht überhaupt ihr Fundament“ (1926,
289). Später präzisiert Freud diese Aussage wie folgt: Die
Psychoanalyse sei eine „Spezialwissenschaft“ - und als solche sei
sie ein „Zweig der Psychologie“. Mit Bezug zum Gegenstandsbereich
wie zur Methode, die ihm angemessen ist, wird die Psychoanalyse deshalb
jetzt als „Tiefenpsychologie oder Psychologie des Unbewußten“
vorgestellt (Freud 1933, 170f.). Freuds Zurückweisung, die
Psychoanalyse sie als Teilgebiet der Medizin zu verstehen, wird nun
allerdings nicht mit der Forderung verbunden, sie sei dem
Paradigma der experimentellen Psychologie zu unterwerfen. Freud spricht
sich zwar niemals grundsätzlich gegen dieses Paradigma aus, er betont
jedoch stets den Unterschied zwischen der psychoanalytischen
Erkenntnisstrategie und der Perspektive der akademischen
(experimentellen) Psychologie. An diesem Unterschied hält er fest. Er
bezeichnet die Psychoanalyse als „Spezialwissenschaft“, die ihren
Gegenstand verlieren müßte, würde sie sich dem experimentellen
Paradigma unterwerfen. Hält sie hingegen an ihrer eigenständigen (nämlich
ihrem Gegenstand angemessenen) Untersuchungsmethode fest, kann sie als
„Ergänzung“ der akademischen Psychologie dienen, möglicherweise
gar zu deren „Fundament“ gemacht werden. Die Tatsache, daß Freud
die experimentelle Methode nicht grundsätzlich ablehnte, sie aber auch
nicht als Ersatz der psychoanalytischen Methode verstanden wissen
wollte, korrespondiert mit der durchweg positiven Einschätzung der
Jungschen Assoziationsexperimente, die Freud - anders als Rosenzweig
behauptet – auch dann noch beibehielt, nachdem er sich von Jung
getrennt hatte. Freud meinte, die
Psychoanalyse habe den „Primat im Seelenleben für die Affektvorgänge“
(1913, 402) erkannt. Nimmt man diese Aussage Freuds zum Ausgangspunkt
einer näheren Bestimmung, so ließe sich sagen: Die Psychoanalyse beschäftigt
sich als „Spezialwissenschaft“ mit den Derivaten intrapsychischer
und interpersoneller „Affektvorgänge“. Sie generiert ihre
„Daten“ durch Beobachtung von Körperwahrnehmungen, freien Einfällen
und Phantasien, deren unbewußte Bedeutung durch bewußte Deutung (re-)konstruiert
wird. Der Gegenstandsbereich der Psychoanalyse wäre demnach in einem
Zwischenbereich angesiedelt, der durch zwei Ankerpunkte (Körper und
soziale Handlungs-Realität) begrenzt wird, wobei sich körperliche und
soziale Realitäten in diesem affektiv-phantastischen Zwischenbereich überschneiden.
Freuds Begriff der „psychischen Realität“ (vgl. Nitzschke 1978) wäre
dementsprechend zu verstehen: „Psychische Realität“ ist Erleben
unter Einschluß seiner unbewußten Dimensionen. Erleben kann zwar auch
experimentell erzeugt und abstrakt erklärt, mit Hilfe des Experiments
in seiner subjektiven Bedeutung jedoch nicht hinreichend verstanden
werden. Abstrakte Erklärungen für Erleben gibt es freilich auch in der
Psychoanalyse. Sie wurzeln in der Metapsychologie und Libidotheorie, in
Konstrukten und Modellvorstellungen, die aus der Physiologie und
Psychologie herrühren. Im Verlauf des psychoanalytischen Prozesses wird
das Erleben des Beobachtungsobjekts (des Analysanden) allerdings nicht
abstrakt, vielmehr mit Hilfe der affektiven Resonanz des Beobachters
(des Analytikers) aufgefaßt. Die psychische Realität des Analysanden
wird so als ein von der affektiven Resonanz des Beobachters (der Gegenübertragung
des Analytikers) abhängiges Ereignis erkennbar. Aus diesem Grund wird
die Gegenübertragung - d. h. der Selbst-Erkenntnisprozeß des
Analytikers - systematisch in den Beobachtungsprozß einbezogen. Auf
diese Weise wird die Subjektivität des Beobachters, die das klassische
experimentelle Paradigma auszuschließen oder wenigstens als
Fehlerquelle zu erfassen sucht, zum eigenständigen Erkenntnismittel.
Diese Auffassung hat sich in der Psychoanalyse allerdings auch erst allmählich
durchgesetzt. Denn Freud hatte sich - in Anlehnung an das Ideal des
objektiven Beobachters - anfangs sehr darum bemüht, die Subjektivität
des Psychoanalytikers auszuschalten, bzw. hinter eine Spiegelplatte zu
verbannen. Um das Problem von
Erkenntnisgegenstand und Erkenntnisstrategie der Freudschen
Psychoanalyse weiter zu verdeutlichen, gehe ich auf den Traum
als paradigmatischen Gegenstand der Psychoanalyse näher ein. Freud
meinte, er sei „in einen Gegensatz zur offiziellen Wissenschaft“
(1913, 395) geraten, nachdem er versucht habe, den Traum wieder in einen
sinnvollen Zusammenhang mit dem Wachbewußtsein zu bringen. Diese
Feststellung verweist auf den Widerspruch der Psychoanalyse zur Bewußtseinsphilosophie
und Bewusstseinspsychologie: Beginnend mit Descartes war das abendländische
Denken darum bemüht, das Traumbewußtsein als Gegensatz des Wachbewußtseins
erscheinen zu lassen und die Vernunft an das Wachbewußtsein zu binden.
Das auf diese Weise konstituierte Andere der Vernunft (zu dem der Traum
gehört) konnte so zu einem von der Vernunft scheinbar abgetrennten
Erkenntnisgegenstand der Vernunft werden (vgl. Nitzschke 1985, 1988 c).
Wenn sich nun aber Freud dem Anderen der Vernunft (etwa in Gestalt des
Traumes) wieder annähert, dann setzt er diese Konstruktion aufs Spiel.
Das heißt: Freuds Methode des erlebten Beobachtens setzt den
(reversiblen) Verzicht voraus, „vernünftig“ zu denken. Der
partielle und kontrollierte Verzicht auf jene Organisation des Denkens,
die im Sinne der Wachvernunft als „vernünftig“ gilt, soll eine
„kindliche“ Form des Denkens (Phantasierens) rehabilitieren, die dem
gewohnten Denken des „Erwachsenen“ (dem bewußt-gelenkten, ziel- und
zweckorientierten Denken) widerspricht. Die phantastischen Inhalte
dieser „anderen“ Denkform werden unmittelbar erlebt und später,
nach Wiedereinsetzen des „vernünftigen“ Denkens, interpretiert. Dieser Prozeß der
kontrollierten Regression, der (vorübergehend) zur partiellen Ersetzung
des sekundärprozeßhaften durch das primärprozeßhafte Denken führt,
ermöglicht eine andersgeartete Wahrnehmung der eigenen und der fremden
Affektivität. Soweit sich der Psychoanalytiker selbst auf eine
derartige (vorübergehende) Veränderungen seiner Wahrnehmungs- und
Denkmöglichkeiten einläßt, kann er Phänomene anders aufnehmen und verstehen, die - von außen betrachtet –
unverständlich, fremd und absonderlich anmuten. Freuds besonderes
Erkenntnisinteresse bezieht sich also auf Gegenstände, die „wir im
Wachdenken überhaupt nicht“ erkennen können „oder nur als
Grundlage sogenannter Denkfehler“ anerkennen wollen (Freud 1913, 397).
Verwendet man die Freudsche Methode in diesem, also in einem dem
Traumerleben entsprechenden Sinn, kann man das Erleben anders
verstehen, das den neurotischen und psychotischen Prozessen zugrunde
liegt (Freud faßte den Traum bekanntlich als Normalvorbild der Psychose
auf). In diesem Kontext ist dann auch Freuds Aussage zu verstehen, „daß das psychoanalytische Studium der Träume den ersten Einblick in eine bisher nicht geahnte Tiefenpsychologie eröffnet“. Freud setzt dabei voraus, „daß in dem System der unbewußten Seelentätigkeit Prozesse von ganz anderer Art ablaufen als im Bewußtsein wahrgenommen werden“. Und er folgert: „Es werden grundstürzende Abänderungen der Normalpsychologie erforderlich sein, um sie in Einklang mit diesen neuen Einsichten zu bringen“(1913, 397f.). Der Versuch eines „Einklangs“ von oder eines Brückenschlag zwischen der Psychoanalyse und der akademischen Psychologie setzt allerdings die Anerkennung der Differenz beider Disziplinen (ihrer Beobachtungsgegenstände und Beobachtungsmethoden) voraus. Dabei ist keine der beiden Disziplinen der jeweils anderen überlegen. Und keine ist durch die andere zu ersetzen. Obgleich Freud an der grundsätzlichen Differenz also festhält, versucht er doch „Einklang“ zu erreichen. Schließlich stellt er selbst eine Analogie zwischen seiner Methode und dem Experiment her: „Wir haben die technischen Mittel gefunden, um die Lücken unserer Bewußtseinsphänomene auszufüllen, deren wir uns so bedienen wie die Physiker des Experiments. Wir erschließen auf diesem Wege eine Anzahl von Vorgängen, die an und für sich ,unerkennbar’ sind, schalten sie in die uns bewußten ein (...). Mit welchem Recht und mit welchem Grad von Sicherheit wir solche Schlüsse und Interpolationen vornehmen, das bleibt natürlich in jedem Einzelfall der Kritik unterworfen (...)“ (Freud 1940, 127).[10] 2
Weitere
Bemerkungen zum Verhältnis
von
akademischer Psychologie und Psychoanalyse
Für Freud war (und blieb)
das Unbewußte der Gegenstand der Psychoanalyse, durch den die
psychoanalytische (Beobachtungs-)Methode definiert wurde. Mit dieser
Bestimmung war Freud auf der Höhe seiner Zeit - und in Übereinstimmung
mit (einem Teil) der damaligen akademischen Psychologie. So hielt Lipps
1896 beim 3. Internationalen Kongreß für Psychologie in München - den
Freud, wie aus einem Brief an Fließ vom 6. 2. 1896 hervorgeht, besuchen
wollte (Freud 1986, 178)[11]
- ein Referat, in dem er die Frage nach dem Unbewußten nicht nur als
eine, sondern als die Frage der Psychologie bezeichnete.
Entsprechende Äußerungen von Lipps (1897) zitiert Freud in der
„Traumdeutung“ (1900, 616) sinngemäß. Lipps hatte in seinem
Referat zwischen dem „subjektiven Ich“, das er an das aktive Wollen
und an das Bewußtsein anband, und dem „realen Ich“ unterschieden,
das er als unbewußt determinierend in einer Wortwahl beschrieb, die
deutlich an die oben zitierten Formulierungen Freuds erinnert. Bei Lipps
heißt es: „Das reale Ich ist das an sich unbekannte Etwas, das wir
dem unmittelbar erlebten Ich, und allen Objekten des Bewußtseins (...)
denkend zu Grunde legen (...). [Es ist] ein an sich Unbekanntes, darum
doch nicht Unbeschreibbares. Es ist für uns bestimmbar durch seine Bewußtseinswirkungen“
(1897, 153f.). Und weiter: „Die gemeinte Tatsache ist die, daß jedes
gegenwärtige psychische Geschehen mehr oder weniger bedingt zu sein
pflegt durch vergangene Bewußtseinserlebnisse, und daß dies der Fall
sein kann, ohne daß doch diese ehemaligen Bewußtseinserlebnisse im
gegenwärtigen Augenblick für mein Bewußtsein zu bestehen brauchen“
(1897, 155). Wenngleich anders als
Wundt so hat sich doch auch Lipps mit dem Assoziationsverlauf beschäftigt,
der - wie erwähnt - am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts
ein wichtiger Berührungspunkt zwischen der akademischen Psychologie und
der Psychoanalyse war. Es gab deshalb auch immer wieder Versuche, beide
Richtungen miteinander ins Gespräch zu bringen. Einen solchen Versuch
unternahm beispielsweise Stanley Hall, der am 5. 12. 1908 Wundt und
Freud einlud, an der 20. Gründungsfeier der Clark University in die USA
teilzunehmen. Hall hatte bei Wundt in Leipzig studiert und war,
vermittelt durch einen anderen Lehrer (William James) auch schon frühzeitig
mit den Arbeiten von Charcot, Janet, Breuer und Freud bekannt geworden.
Hätte Wundt Halls Einladung angenommen - anstatt abzusagen, weil die
500-Jahr-Feier der Leipziger Universität bevorstand, an der er
unbedingt teilnehmen wollte -, dann wäre es auf amerikanischem Boden zu
einer denkwürdigen Begegnung zwischen Wundt und Freud gekommen, den
Stammvätern der akademischen Psychologie und der Psychoanalyse. Rosenzweig (1985, 19), der
den zwischen Hall und Wundt geführten Briefwechsel dokumentiert hat,
meint, Halls Einladung sei ein Versuch gewesen, zwischen beiden
Disziplinen eine Brücke zu schlagen. Halls Einladung hatte immerhin zur
Folge, daß Freud in den USA eine erste Zusammenschau der Psychoanalyse
vortragen konnte, die alsbald in einem renommierten Fachblatt der
akademischen Psychologie (dem American Journal of Psychology) veröffentlicht
wurde (Freud 1910).[12]
Und sicherlich ist es auch ein (Mit-)Verdienst Stanley Halls, wenn die
Psychoanalyse in den USA in den folgenden Jahrzehnten in der
akademischen Psychologie weit freundlicher aufgenommen worden ist als im
deutschsprachigen Raum.[13]
Daß sich die Tradition des begrenzten Dialogs zwischen Psychoanalyse
und akademischer Psychologie in den USA fortsetzen ließ, liegt aber
auch daran, daß eine große Anzahl deutschsprachiger Psychoanalytiker
und Psychologen in den 1930er Jahren in die USA emigrierte, um dem
nationalsozialistischen Terror zu entkommen. Kurt Lewin, einer der
wenigen bedeutenden akademischen Psychologen in Deutschland, die Freud
stets aufgeschlossen gegenüberstanden, behielt diese positive
Einstellung in den USA bei.[14] Ohne auf Einzelheiten des
Verhältnisses zwischen Psychoanalyse und akademischer Psychologie in
den USA näher eingehen zu können - ein Thema, das der vorliegende Band
(Bernd Nitzschke [Hg.]: Freud und die akademische Psychologie. Beiträge
zu einer historischen Kontroverse. München [Psychologie Verlags Union]
1989) wegen der Fülle des zu verwertenden Materials (vgl. etwa Dollard
& Miller 1950; Shakow & Rapaport 1964) aussparen muß -, seien
doch wenigstens einige Hinweise gegeben: Die Arbeiten der Gruppe um
Murray und Rosenzweig wurden bereits genannt. Hilgard (1957) führt
weiter aus, daß die amerikanische Psychologie durch die Psychoanalyse
vielfältig befruchtet worden sei. Als Beispiel nennt er etwa die
experimentellen Untersuchungen zur Wahrnehmungsabwehr. Solche Anregungen
und Übernahmen seien jedoch selten expliziert worden, während
Ablehnung und Einwände stets deutlich und häufig (gegen Freud)
personalisiert vorgetragen wurden. Als weiteres Beispiel für
die Dialogbereitschaft der amerikanischen akademischen Psychologie sei
schließlich noch die Tatsache erwähnt, daß nach Freuds Tod (1939) das
Journal for Abnormal and Social Psychology einen großen Teil des
Jahresbandes 1940 der Würdigung der Leistungen Freuds bzw. dem Verhältnis
von Psychoanalyse und experimenteller Psychologie gewidmet hat. Dabei
sind die Beiträge der Experimentalpsychologen Boring (1940) und Murray
(1940), die jeweils eine eigene psychoanalytische Lehrerfahrung besaßen
(Boring bei Hanns Sachs, Murray bei Franz Alexander) schon deshalb
interessant, weil auch deren Lehranalytiker antworten konnten (Sachs
1940, Alexander 1940). Einen optimistischen Ausblick formulierte Brown
(1940). Er meinte damals, die psychoanalytische Grundausbildung werde in
den USA dereinst zum Psychologiestudium gehören. Damit wäre die
Psychoanalyse dann an den Universitäten verankert und privatrechtliche
psychoanalytische Ausbildungsinstitute nicht mehr notwendig. Diese
optimistische Sicht hat sich nicht bestätigt. Für Deutschland gilt: Die
Psychoanalyse ist an den Psychologischen Instituten - von wenigen
Ausnahmen abgesehen - nicht (mehr) vertreten. Institutionalisiert ist
sie (vorerst noch) im Bereich Psychotherapie/Psychosomatik innerhalb der
Medizinischen Fakultäten. Diese Einengung der Psychoanalyse auf den
klinischen Bereich ist unter dem Stichwort „Medizinalisierung der
Psychoanalyse“ von einem Teil der Psychoanalytiker kritisiert worden.
Die Entwicklung verlief also konträr zur Erwartung Freuds, der gehofft
hatte, die Psychoanalyse werde eines Tages als Teilgebiet der
(akademischen) Psychologie anerkannt werden. Immerhin sind in
Deutschland derzeit (1985!) knapp die Hälfte der voll ausgebildeten
Psychoanalytiker ihrer universitären Grundausbildung nach akademische
Psychologen (ca. 1500). Vor Einführung des Psychotherapeutengesetzes -
das 1999 die Anerkennung Psychologischer Psychotherapeuten als Angehörige
eines eigenständigen Heilberufs mit sich brachte - unterlagen
Psychoanalytiker, die ihrer Grundausbildung nach akademische Psychologen
und deshalb „Laienanalytiker“ (sprich: Nicht-Medinziner) waren, dem
so genannten „Delegationsverfahren“. Das hieß: Wollten sie eine
psychoanalytische Behandlungen mit einer gesetzlichen Krankenkassen
abrechnen, mußten sie diese Behandlungen durch einen
„delegierenden“ Arzt kontrollieren lassen. Diese Vorschrift eröffnete
(zumindest theoretisch) die groteske Möglichkeit, daß ein
Lehranalytiker, der im Grundberuf akademischer Psychologe war, an einem
von der Kassenärztlichen Vereinigung anerkannten Institut einen
Mediziner zum Psychoanalytiker ausbilden (und dessen Behandlungsfälle
supervidieren) konnte, der seinerseits die Kassenbehandlungen des
Lehranalytikers kontrollieren („delegieren“) konnte, vorausgesetzt,
der Ausbildungskandidat hatte den von der Ärztekammer verliehenen
Zusatztitel „Psychotherapie“ erworben. Freud, der zeitlebens für
die Gleichberechtigung von ärztlichen Analytikern und
„Laienanalytikern“ eintrat, wobei er neben Psychologen auch andere
„Laien“ (etwa Soziologen oder Theologen) als geeignet ansah, den
Psychoanalytiker-Beruf auszuüben, sah sich deshalb (vor allem in den
USA) heftiger Kritik seitens ärztlicher Psychoanalytiker ausgesetzt.
Groteskerweise gelang in Deutschland ein erster Schritt zur Integration
der Psychologen in die psychotherapeutische Versorgung eben zu jener
Zeit, in der die Psychoanalyse nur eingeschränkt akzeptiert war: unter
der Herrschaft des Nationalsozialismus. Die in Deutschland verbliebenen
„arischen“ Psychoanalytiker waren damals maßgeblich an der Einführung
der Berufsbezeichnung „Behandelnder Psychologe“ beteiligt (Geuter
1984, 241). Der Widerstand gegen diese Neuerung - wie gegen die
(erstmalige) Einführung der Diplom-Prüfungsordnung für Psychologen -
ging auch damals von medizinischen Standesvertretern aus.[15] Andererseits ist die
Psychoanalyse trotz Freuds Eintreten für „Laien“ (=Nicht-Mediziner)
immer wieder von deutschen akademischen Psychologen heftig attackiert
worden (vgl. Brodthage & Hoffmann 1981; Elliger 1986). Kurt Lewin
ist eine Ausnahme. Und William Stern, der die Psychoanalyse kritisierte,
sie in Teilbereichen aber auch anerkannte, ist insofern auch eine
Ausnahme, als er mit Freuds Schriften gründlich vertraut war.[16]
Sieht man von anderen Kritikern ab, deren Einwände auf ungenügender
Rezeption und polemischer Voreingenommenheit beruhten, wäre noch einmal
an die Situation zu erinnern, in der sich die Psychoanalyse Anfang des
20. Jahrhunderts befand: Die Psychoanalyse war damals die
Privatangelegenheit eines kleinen Kreises von Männern und Frauen, die
sich ab 1902 in Wien um Freud und etwas später in Zürich um Bleuler
und Jung scharten. Noch der 2. Internationale Psychoanalytische Kongreß,
der 1910 in Nürnberg stattfand, wurde als „privates Treffen“
annonciert. Zwar hatte Freud schon erste internationale Beachtung
gefunden (wie Stanley Halls Einladung zeigt), und der Kreis der
Psychoanalytiker sollte sich zwischen 1910 und 1920 noch erweitern, doch
gleichzeitig prägten Auseinandersetzungen und Abspaltungen, die zur Gründung
eigener Schulen (Adler, Stekel, Jung) führten, das Bild der
Psychoanalyse in der Öffentlichkeit. Die Auseinandersetzungen wurden
dabei oft nicht im wissenschaftlichen Diskurs ausgefochten, sondern
durch persönliche Angriffe ausagiert und erledigt. Freud und die mit
ihm verbundenen Analytiker reagierten schließlich administrativ. Es kam
zur Gründung des „Geheimen Komitees“, das sich als Zensur-Instanz
profilierte. Jones spricht doppeldeutig von einer „für Freud“
bestimmten „Leibwache“ (1957, dt. 1962, Bd. 3, 221). Die 1920er
Jahre bringen dann einen ersten Ansatz institutionalisierter
psychoanalytischer Ausbildung (die obligatorische Lehranalyse). Doch
schon im nächsten Jahrzehnt wird die Psychoanalyse unter Hitler zu
einem Teilmoment der „deutschen“ Psychotherapie degradiert (vgl.
Nitzschke 1999). Sieht man von der
genannten besonderen deutschen Entwicklung ab, läßt sich die Situation
folgendermaßen zusammenfassen: Bis zum Tode Freuds (1939) hatte die
Psychoanalyse ein weitgehend einheitliches Gepräge. Freuds Theorie galt
als Bezugspunkt. Allzu starke Abweichungen provozierten die Gefahr des
Ausschlusses aus der psychoanalytischen Vereinigung. Nach Freuds Tod
bzw. nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges verliert die Psychoanalyse
dann zunehmend an Einheitlichkeit. Schließlich befindet sie sich in
einer „Krise“. Positiv ausgedrückt, befindet sie sich in einem
Zustand schöpferischer Vielfalt, der dadurch gekennzeichnet ist, daß
alle Positionen, die einst von Dissidenten vertreten worden sind, nun
auch innerhalb der psychoanalytischen Vereinigung vertreten werden können
- wenngleich häufig ohne expliziten Bezug auf jene Dissidenten, deren
Auffassungen übernommen und oft neu etikettiert werden, also in
neuartiger Nomenklatur erscheinen. Für die akademische Psychologie gilt
- vereinfacht gesagt - die umgekehrte Entwicklung. Ihr Weg führt von
der Vielfalt zur Einfalt. War die akademische Psychologie vor dem
Zweiten Weltkrieg noch in eine Vielzahl von Schulen zersplittert, so
gewinnt sie nach 1945 an den deutschen Universitäten ein zunehmend
einheitliches Gepräge. Für die Psychoanalyse wie
für die akademische Psychologie vor 1933 gilt wiederum: Beide
Disziplinen kämpften damals noch um ihre „Identität“ und waren
deshalb wenig bereit, in einen anhaltenden Dialog zueinander
einzutreten. Außerdem befand sich die akademische Psychologie in einem
Kampf um Emanzipation von der Philosophie, deren Fakultäten die
psychologischen Lehrstühle noch lange Zeit zugeordnet waren.
Kennzeichnend für die Situation der akademischen Psychologie um 1930
ist die Bestandsaufnahme Karl Bühlers, die unter dem programmatischer
Titel „Die Krise der Psychologie“ (1927) erschienen ist. Bühler
leitet sein Buch mit den Worten ein: „Soviele Psychologien
nebeneinander wie heute, soviele Ansätze auf eigene Faust sind wohl
noch nie beisammen gewesen. Man wird mitunter an die Geschichte vom
Turmbau von Babel erinnert“ (1927, 1). Die Sprachverwirrung reichte
weit, denn die Schulen waren zahlreich: experimentelle Psychologie,
Gestaltpsychologie, Personalismus, Charakterkunde konkurrierten um die
Vorherrschaft. Doch Bühler faßte diese „Krise“ als Ausdruck einer
schöpferischen Situation auf. Und er begriff die Psychoanalyse auch als
eine der „Schulen“ der Psychologie. Dabei widmete er Freuds Schrift
„Jenseits des Lustprinzips“ (1920) besondere Aufmerksamkeit.[17]
In etwa so häufig wie Freud werden von Bühler nur noch Wundt, der
anerkannte Stammvater der akademischen Psychologie, und Spranger
zitiert, damals einer der populärsten und meistgelesenen
psychologischen Autoren. 3
Bemerkungen
zur Konzeption des vorliegenden Buches
(Nitzschke,
B. [Hg.]: Freud und die akademische Psychologie, 1989)
Die historischen
Bedingungen, unter denen sich das Verhältnis von Psychoanalyse und
akademischer Psychologie entwickelt hat, waren schwierig und verweisen
auf das 19. Jahrhundert, in dem die Vorbedingungen für die Entstehung
beider Disziplinen zu suchen sind. Eine vollständige Bearbeitung des
komplexen Themas, dem der vorliegende Band gewidmet ist, würde
umfangreiche Forschungsarbeiten voraussetzen - und vielleicht kann
dieses Buch dazu anregen, solche Arbeiten weiterhin in Angriff zu
nehmen. Fürs erste war eine Auswahl zu treffen, die einen Einstieg in
das Thema erlaubt. Aus der Fülle möglicher Einzelthemen wurden die
folgenden Schwerpunkte ausgewählt:
Was das Verhältnis der
Psychoanalyse zur akademischen Psychologie in den USA anbelangt, so müssen
an dieser Stelle die wenigen im vorliegenden Einleitungskapitel
gegebenen Hinweise genügen. Eine systematische Darstellung gerade
dieses Verhältnisses würde einen eigenen Band erfordern. Im Hinblick
auf deutsche Psychologen, die in den Beiträgen des vorliegenden Bandes
nur kursorisch erwähnt werden - etwa Karl und Charlotte Bühler, Willy
Hellpach, Ludwig Klages oder Eduard Spranger -, sei weiterführend auf
die Publikationen von Brodthage/Hoffmann (1981) und Elliger (1986)
verwiesen. Der vorliegende Band
beansprucht also keine Vollständigkeit, wohl aber das Interesse des
Lesers, der sich einem Thema nähern will, das im Laufe der Jahrzehnte
mit vielen Vorurteilen und Halbwahrheiten befrachtet worden ist. Die
Auswahl der an diesem Band beteiligten Autoren (akademische Psychologen
und/oder Psychoanalytiker, schließlich ein Philosoph, der die
ideengeschichtlichen Hintergründe des 19. Jahrhunderts im Hinblick auf
Freud skizziert) verfolgt das Ziel einer interdisziplinären
Aufarbeitung der mit dem Thema verbundenen Probleme. Es war nicht die
Absicht des Herausgebers, eine „einheitliche“ Linie vorzugeben,
vielmehr sollten die je persönlichen Standpunkte der beteiligten
Autoren deutlich werden - ganz im Sinne eines wissenschaftlichen
Diskurses, der vom argumentativen Austausch lebt, während er an vorgefaßten
Meinungen oder gar an vermeintlich ehernen Wahrheiten zugrunde geht. Der
Herausgeber versteht den Band, der 1989 anläßlich des 50. Todestages
des Schöpfers der Psychoanalyse erschienen ist, nicht zuletzt als
kritische Hommage an Freud, durch die zwei - in der psychoanalytischen
Geschichtsschreibung leider verbreiteten -Tendenzen entgegengewirkt
werden soll: der Tendenz zur hagiographischen Überhöhung der Person
Freuds sowie der Dekontextualisierung seines Werkes (vgl. Junker 1988).
Das heißt, der Ausgliederung Freuds und Freudscher Begriffe, Methoden
und Konzepte aus übergreifenden Strömungen der Geistesgeschichte soll
mit dieser Publikation entgegnet werden. Im Hinblick auf die akademische Psychologie bietet das hier ausgebreitete Material Gelegenheit zu einem vertieften Verständnis der wissenschaftlichen Positionen Freuds und damit zum Abbau von Vorurteilen gegenüber der Psychoanalyse. Hinzuweisen ist schließlich auch noch darauf, daß in mehreren Beiträgen bisher unveröffentlichtes Archivmaterial verwendet worden ist. Den entsprechenden Einrichtungen, die Unterstützung gewährten, ist an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich zu danken. Leider ist auch der einschränkende Hinweis notwendig, daß in einem Fall, in dem es um die Gewährung des Einblicks in Freuds (damals noch nicht veröffentlichte) Briefe an Silberstein ging, die damals unmittelbar zur Publikation anstanden (Freud 1989) und für die Beziehung Freud-Brentano von außerordentlicher Wichtigkeit sind (vgl. die Vorbemerkung zum Beitrag von Horst-Peter Brauns und Alfred Schöpf in diesem Band), eine entsprechende Bitte abschlägig beschieden worden ist. Diese restriktive Haltung der (im vorliegenden Fall: deutschen) Rechteinhaber Freudscher Schriften entspricht dem hinlänglich bekannten und oft kritisierten Umgang der Archive und/oder Personen, die sich als Freuds Stellvertreter(innen) auf Erden mißverstehen. Sie „verwalten“ psychoanalytische Dokumente im schlechtesten Sinn des Wortes. Es ist zu hoffen, daß solcher Usus in absehbarer Zukunft als Abusus erkannt und als Relikt der Tendenz zur Hagiographie bzw. der Tendenz, Freuds Gedanken aus der Geistesgeschichte auszugliedern, um sie sodann „exklusiv“ behandeln zu können, überwunden werden wird. Literatur
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vorstehende Text ist die stark überarbeitete und aktualisierte Fassung
eines Beitrags, der erstmals erschienen ist in: [1] Jones bemerkt über Freud:
„Normalerweise wäre er früher oder später zuerst Assistent,
dann Dozent und schließlich Professor der Physiologie an seinem
geliebten Institut (bei Brücke - B. N) geworden“ (1953, dt. 1962,
Bd. I, 83). Tatsächlich wurde Freud all dies nicht. Daß möglicherweise
auch noch andere Umstände als die genannten Freuds Karriere
behindert haben könnten, geht indirekt (in Form einer Negation) aus
einer weiteren Bemerkung von Jones hervor: „Freud bestritt
energisch, daß es (wie gewisse Leute wie zum Beispiel Wittels
wissen wollten) zwischen ihm und Brücke zu einem Bruch gekommen
war, und wiederholte, er habe das Institut auf Brückes eigenen Rat
verlassen“ (ebd.), nachdem ihm die Aussichtslosigkeit einer
Karriere und damit die reale (finanzielle) Situation vor Augen geführt
worden war. [2] Wie sehr Freud an Exner
orientiert blieb, geht u. a. aus der Tatsache hervor, daß Freuds Entwurf
einer Psychologie (1895) nur ein Jahr nach Erscheinen von Exners
Entwurf zu einer physiologischen Erklärung der psychischen
Erscheinungen (1894) niedergeschrieben wurde. In Freuds
„Entwurf“ geht es ebenfalls um den Versuch, physiologische und
psychische Erscheinungen aufeinander zu beziehen. [3] Nach Freuds eigenen Worten
hat die Psychoanalyse das Erbe des Hypnotismus angetreten. Begreift
man den Hypnotismus mit Mayer (2002, Kap. 2) als
„Experimentalisierung des Unbewußten“, dann kann man Freuds
Praxis auch als „Experimentalismus ohne Labor“) kennzeichnen
(ebd., Kap. 8). Dann lassen sich aber auch die Einwände gegen die
Psychoanalyse aus dieser Traditionslinie herleiten: „Die Ärzte,
die sich der hypnotischen Suggestion bedienten, reklamierten, ihr
Verfahren gebe ‚dem Psychologen die naturwissenschaftliche
Experimentalmethode in die Hand, die ihm bisher gefehlt hatte’ (Forel
1889, 49). In Deutschland formierten sich (...) mehrer
Gesellschaften, die die Ausbildung einer solchen auf den
Erscheinungen des Hypnotismus basierenden experimentellen
Psychologie betrieben. Das zentrale publizistische Forum für dieses
Projekt war die 1892 von Forel gegründete Zeitschrift für
Hypnotismus, Suggestionstherapie, Suggestionslehre und verwandte
psychologische Forschungen (...). Die Anhänger dieser
Hypnosebewegung, die ausgehend von ihrer klinischen Praxis
weitreichende psychologische Theorien aufstellten, gerieten damit in
Konfrontation mit der akademisch verankerten Fachpsychologie, wie
sie sich ausgehend vom Leipziger Labor Wilhelm Wundts etablierte.
Wundt griff die Hypnosebewegung schon bald mit einer scharfen
Polemik an, in der er den hypnotischen Versuchen den Charakter eines
psychologischen Experiments absprach und deren Theorien in die Nähe
des Okkultismus rückte“ (Mayer 2002, 201f.). [4] In einer teilweise
autobiographischen Skizze berichtet Alexander (1940, 307), sein
Vater habe bei Lotze und Helmholtz studiert. Franz Alexander selbst
stand in Göttingen mit dem Experimentalpsychologen Geza Revesz (der
sein Schwager war) und mit dessen Freund David Katz in
wissenschaftlichem Austausch (Alexander 1940, 309; vgl. Harmat 1988,
74). [5] Der Kriminalistikprofessor
Hans Gross war der Vater von Otto Gross, ein politischer Anarchist,
der zu Beginn des 20. Jahrhunderts als enfant terrible der
Psychoanalyse von sich reden gemacht hatte und später in
Vergessenheit geriet (vgl. Nitzschke 2000). Max Wertheimer, ein
Assistent des Vaters Hans Gross, intervenierte in einem besonderen
Fall sogar wegen Kurpfuscherei, die aus seiner Sicht Otto Gross
anzulasten war (Dehmlow 2003). [6] Es ist in diesem
Zusammenhang bemerkenswert, daß der spätere Mentor der
ganzheitlich orientierten Gestaltpsychologie, Max Wertheimer, seine
wissenschaftliche Laufbahn mit
assoziationstheoretisch-elementenpsychologischen Arbeiten begann.
Zwischen Wertheimer und C. G. Jung kam es sogar zu Streitigkeiten
bezüglich der Frage, wem das Prioritätsrecht an den
Assoziationsexperimenten zugesprochen werden sollte (vgl. Dehmlow
2003). [7] Piaget bezeichnet Herbert
Silberer als Schüler Freuds, „der sich speziell mit dem
Symbolismus im mystischen Denken befaßt hat. Aber kritisch und
empirisch ausgerichtet, hat er versucht, die Theorie des Symbols
weiterzuentwickeln, indem er die Bilder im Halbschlaf mittels einer
originellen und fruchtbaren Methode analysierte. Das Schweigen der
Freudianer zu diesen Arbeiten ist schwer zu erklären (...), denn
sie sind von besonderem Interesse und hätten, wenn sie
weiterentwickelt worden wären, dazu beigetragen, die Psychoanalyse
und die übrige Psychologie einander näherzubringen“ (1975,
247f.). Piaget bezieht sich mit dieser Bemerkung vor allem auf zwei
Studien Silberers (1909, 1911). Zum Werk und Leben Silberers vgl.
Nitzschke (1988 b). [8] Zu Rorschach sei noch
dieser Hinweis gegeben: In der Sowjetunion konstituierten sich zu
Beginn der 1920er Jahre kurz nacheinander zwei psychoanalytische
Gruppen, die eine in Moskau, die andere (unter Beteiligung von Luria)
in Kasan. Beide Gruppen publizierten in der Internationalen
Zeitschrift für Psychoanalyse getrennte Sitzungsberichte. Es
ist nicht überraschend, daß sich in der Hauptstadt des Landes eine
psychoanalytische Gruppe konstituierte. Aber warum gab es in der
Provinz eine eigenständige - sehr aktive - zweite psychoanalytische
Gruppe? Es mag sein, daß die Existenz dieser Gruppe auf Hermann
Rorschachs Einfluß zurückzuführen ist, der mit Olga Stempelin
verheiratet war, eine russische Studienkollegin, die aus Kasan
stammte. Rorschach, der sich zu diesem Zeitpunkt bereits intensiv
mit der Psychoanalyse beschäftigt hatte, hielt sich 1913/14 in
Kasan auf (später arbeitete er in einem Sanatorium nahe Moskau). Möglicherweise
brachten er und seine Frau wichtige Informationen über
Psychoanalyse nach Kasan. [9] Henry A. Murray widmete
das von ihm herausgegebene Buch „Explorations in Personality“
(1938) denn auch Morton Prince, Lawrence J. Henderson, Alfred N.
Whitehead, S. Freud und C. G. Jung. Den Hinweis verdanke ich
Horst-Peter Brauns (Berlin). [10] Es
muß an dieser Stelle betont werden, daß die gegebene
Charakterisierung der Psychoanalyse nicht „die“ Psychoanalyse
und schon gar nicht alle gegenwärtigen Strömungen der
Psychoanalyse (Eagle 1984) trifft. Es geht hier vielmehr um Freuds
Verständnis des Gegenstandes und der Methode der Psychoanalyse. Nach
Freud hat sich die Psychoanalyse von einer Theorie des Unbewußten
(der Triebe, des Es) über eine Theorie des Ichs und seiner
Funktionen zu einer Theorie der verinnerlichten Objektbeziehungen
und schließlich zu einer Theorie interaktioneller Prozesse
fortentwickelt. Dabei hat sich die Psychoanalyse der
Bewusstseinspsychologie wieder soweit angenähert, daß in manchen
Standardlehrbüchern der Psychoanalyse das Stichwort „Unbewußtes“
kaum noch auftaucht (so etwa bei Thomä und Kächele, in deren
Lehrbuch [1985] das Stichwort „unbewußte Phantasien“ völlig
fehlt). Unter Voraussetzung dieser weitreichenden Veränderung ist
es verständlich, wenn die psychoanalytische Situation oft nur noch
als „Feld“ gilt, in dem es um „die Gewinnung heuristisch
wertvoller Erkenntnisse“ geht, die als Hypothesen aufzufassen und
- unabhängig von diesem Feld - nach den Standards der akademischen
(empirischen) Psychologie (Wissenschaft) zu überprüfen wären
(Thomä, Kächele 1985, 383). Vertreter dieser Auffassung lehnen die
Freudsche Metapsychologie ab, die einen „deformierenden Einfluß
auf die klinische Erfahrung und Interpretation“ ausgeübt habe
(Thomä, Kächele 1985, 382). Um das inzwischen erreichte Ausmaß
der Veränderung bzw. der Toleranz gegenüber solchen Auffassungen
zu ermessen, die Freuds Standpunkt widersprechen oder verwerfen, wäre
an Bowlby zu erinnern, der (neben Spitz) als einer der ersten
Psychoanalytiker die Mutter-Kind-Beziehung empirisch untersuchte. In
einem Interview schilderte er die Außenseiterstellung, in der er
sich in den 1950er Jahren befand, und die Widerstände, auf die er
traf, als er damals die empirische Überprüfung psychoanalytischer
Aussagen empfahl bzw. Freuds Metapsychologie, Triebtheorie und
Libidotheorie verwarf (Bowlby et al. 1986). [11] Es gibt keinen mir
bekannten Nachweis dafür, dass Freud tatsächlich am 3.
Internationalen Kongreß für Psychologie in München 1896
teilgenommen hat. Sicher ist hingegen, daß er sich für den 1.
Internationalen Kongreß für Physiologische Psychologie angemeldet
hatte, der 1889 in Paris stattfand (Chertok & de Saussure 1979,
120f.). [12] Diese Tatsache ist auch
deshalb besonders bemerkenswert, weil Freud niemals in einer
deutschsprachigen psychologischen Fachzeitschrift publiziert hat. [13] Anläßlich der Jubiläumsfeier
der Clark University traf Freud auch mit William James zusammen
(vgl. Shakow & Rapaport 1964, 67f.). James hatte 1882 (drei
Jahre früher als Freud) Charcot in Paris besucht und bereits 1894
eine Arbeit von Breuer und Freud (1893) über Hysterie rezensiert.
Diese relative Aufgeschlossenheit amerikanischer akademische
Psychologen der Psychoanalyse gegenüber dauerte in der Folgezeit
an. So erhielt beispielsweise noch 1982 der Psychoanalytiker Roy
Schafer für sein Gesamtwerk eine Auszeichnung der American
Psychological Assoziation, den Award for Distinguished
Professional Contributions. Eysencks vorurteilsbehaftete
Position gegenüber der Psychoanalyse (vgl. die entsprechende Kritik
bei Rosenzweig 1985, 47f.) ist demnach keineswegs repräsentativ für
die Rezeption der Psychoanalyse durch die angelsächsische
akademische Psychologie. [14] Noch in einer seiner
letzten Arbeiten unterstreicht Lewin Freuds Verdienste: „Der
Begriff der Regression ist von Freud eingeführt (...) worden. Freud
erkannte die Bedeutung des Regressionsproblems für die Theorie der
Entwicklung von Anfang an. Seine Theorie der Stufen der
Libido-Organisation, die die Entwicklung des Individuums einteilt,
beruht größtenteils auf Beobachtungen der Regression im Bereich
der Psychopathologie“ (1941, 393f.). Lewin unterscheidet einen
historischen und einen systematischen Ansatz bei der Untersuchung
des Regressionsproblems, wobei er den erstgenannten Ansatz für
Freud, den letztgenannten für seine eigenen Forschungen
beansprucht: „Beide Fragen sind durchaus legitim und müssen in
einer psychologischen Untersuchung der Regression abgehandelt
werden“ (Lewin 1941, 298). [15] Eine besonders zynische
Begründung für den Anspruch der Mediziner, den Einfluß der
Psychologen bei der Behandlung psychisch Kranker zurückzudrängen,
findet sich in einem Brief von Wuth, in dem er sich darüber
beklagt, daß Psychologen gerade zu der Zeit vordrängten, zu der
die Anzahl der Patienten - wegen der „Euthanasie“ (sprich:
Ermordung) von Geisteskranken - abgenommen habe (vgl. Geuter 1984,
386). Wuth erhob also keineswegs Einspruch gegen die
„Euthanasie“, vielmehr machte standespolitische Bedenken
geltend, um das Terrain gegen Psychologen zu verteidigen. [16] 1928 weilte William Stern
zu Vorlesungen in Wien, Bei dieser Gelegenheit besuchte er Sigmund
Freud. Das zweistündige Gespräch verlief „bei aller Gegensätzlichkeit
in d. angenehmsten Form“ (Stern, undatierte Postkarte an Jonas
Cohn – Briefschaften „Stern, William und Clara“, Jonas Cohn
Archiv Universität Duisburg – vgl. Geuter, Nitzschke 1989, 129,
Anm. 2). [17] Interessanterweise
bezeichnet Bühler (1927, 182) in seiner Schrift eben jenen Gedanken
Fechners (1873, 94), den Freud (1920, 4) als Zitat anführt, um das
psychoanalytische Lustprinzip mit Hinweis auf Fechners Prinzip der
Tendenz zur Stabilität zu untermauern, als einen „unausgereiften
Gedanken“ Fechners. Auch Bühlers Umgang mit Freuds Schrift
„Jenseits des Lustprinzips“ (1920) ist nicht frei von
Voreingenommenheit. Dennoch ist zu bemerken, daß es sich bei Bühlers
Auseinandersetzung mit dieser Schrift Freuds um einen der ausführlichsten
Versuche der akademischen Psychologie handelt, die von Freud 1920
vorgenommene Revision der Triebtheorie zu würdigen. [18]
Wundt wird in der psychoanalytischen Literatur häufig
unterschlagen. So werden etwa Freuds Begriff der Assoziation bzw.
die Technik der freien Assoziation in zwei neueren Arbeiten zur
Geschichte der Psychoanalyse (Reicheneder 1988; Hölzer & Kächele
1988) ohne jeden Versuch einer Rückbeziehung auf Wundt diskutiert. [19] Einen ersten zusammenfassenden Überblick hat Alexander Etkind (1996) gegeben.
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