Das
Paranoide von Gut und Böse 1
Interview mit Bernd Nitzschke KriT: Wie haben Sie den 11. September erlebt? Bernd Nitzschke: Am Nachmittag des 11. September sagte mir eine Analysandin zu Anfang einer Stunde, sie habe soeben aus dem Autoradio erfahren, in Manhattan seien Attentäter mit Flugzeugen in Wolkenkratzer gerast. Meine Reaktion war: das kann nicht wahr sein. Das sind Phantasien à la Hollywood. Da wurde eine Nachricht missverstanden. Vermutlich hatte man im Radio über einen makaberen PR-Gag gesprochen, mit dessen Hilfe das von der Bush-Regierung geplante Schutzschild gegen Weltraumangriffe vorangebracht werden sollte? Schließlich kann man die Zustimmung breiter Mehrheiten erreichen, wenn man ihnen Angst einjagt und ihnen dann zur Wiederherstellung ihres Sicherheitsgefühls die Mittel anbietet, die man schon vorbereitet hat. Als ich dann aber aus den Abendnachrichten erfuhr, dass die Attentate keine Phantasie, sondern Realität waren, war ich schockiert. Ich war entsetzt bei der Vorstellung, ich könnte einer der Passagiere in einem der Flugzeuge oder ein Angestellter in einem der Wolkenkratzerbüros gewesen sein. Von der Gewalt der Bilder ging aber auch eine eigentümliche Faszination aus: Der Feuerball über Manhattan wurde wieder und wieder im Fernsehen gezeigt und schließlich fiel mir auch der Code-Name des Atomforschungsprogramms wieder ein, das vor einem halben Jahrhundert in Hiroshima und Nagasaki zu Ende geführt wurde: "Manhattan-Projekt". KriT: Wie erklären Sie den Hass, der die Attentäter beherrscht? Oder ist Hass kein Begriff, der uns verstehen hilft? Bernd Nitzschke: Seit dem 11. September erhalten wir eine Unmenge von Interpretationen über die möglichen Motive der Attentäter - obgleich nur mutmaßliche Attentäter bekannt sind und keine Bekennerbriefe vorliegen. Solche Schnellschuss - Diagnosen korrespondieren mit der raschen Bekanntgabe der Hintermänner. Bis zum 11. September hatte angeblich kein Geheimdienst dieser Welt von den jahrelangen Vorbereitungen der Attentäter etwas erfahren - und nach dem 11. September kannte man sofort den in den Bergen Afghanistans hausenden Chefplaner der Attentate: einen Mann, der unter ständiger Kontrolle des US-Geheimdienstes stand und auf den schon seit Jahren eine Kopfprämie von 5 Millionen Dollar ausgesetzt war. Hinsichtlich solcher Aufklärungserfolge ist Skepsis angebracht. "Hüten wir uns vor wilden Psycho-Analysen und wildgewordenen Rettern des Abendlandes" Das intellektuelle Niveau dieser und ähnlicher Propagandaaktionen ist meist erbärmlich. Ich erinnere mich an einen der intellektuellen Wortführer während des zweiten Golfkrieges, der damals Hitlers Wiedergänger entlarvte. Das tat er nicht, solange Saddam Hussein als stiller Verbündeter der USA die "richtigen" Ölfelder (nämlich die des Iran) zu erobern versuchte, obgleich Saddam schon während des ersten Golfkrieges Kurden vergaste. Er entdeckte das Urböse in Saddam vielmehr erst, als der die "falschen", nämlich die Ölfelder Kuwaits besetzen wollte. Hüten wir uns also vor wilden Psycho-Analysen und wildgewordenen Rettern des Abendlandes, die uns solche Analysen anbieten. Was die möglichen Motive der Attentäter anbelangt, so können wir uns darüber dennoch Gedanken machen. Dabei schließen wir aber - ohne dies unbedingt zu bemerken - stets von uns auf andere. Das heißt: Wir unterstellen den Attentätern Motive, die für uns verständlich sind. Und Hass - diesen Affekt kennen wir ja selbst. Wir wissen, wozu wir - zumindest in der Phantasie - fähig sind, wenn wir hassen. Und wir verstehen auch, dass Hass eine Reaktion auf Kränkung ist. Darauf zielten die Attentäter vermutlich ab: auf Kränkung, auf Demütigung. Die Rückzahlung von Verletzungen - vulgo Rache genannt - ist denn auch als Versuch zu verstehen, das Trauma durch Wiederholung der Tat ungeschehen zu machen. Trauma und Wiederholungszwang sind - psychologisch betrachtet - "Twin Towers". Das sehen wir auch bei den Aktionen, die unter dem Motto "Amerika schlägt zurück" stehen. KriT: Was lesen Sie aus diesen Fotos von 2 der mutmaßlichen Attentäter, die viele Zeitungen veröffentlicht haben: Bernd Nitzschke: Gesetzt der Fall, ich wüsste nicht, wer diese Männer sind, so würde ich annehmen, dass sich der eine beim Versuch Geld abzuheben, bei dem ihm der andere zusieht, mit der Geheimnummer vertan hat. Deshalb blickt er ziemlich griesgrämig drein. Beim zweiten Versuch hat es dann geklappt - und deshalb sieht er jetzt zufrieden aus. Ich will damit sagen: Attentäter reagieren in Alltagssituationen auch nicht anders aus als Du und ich. Und sie sehen auch nicht so aus, wie sich Klein-Max Verschwörer vorstellt. Sie sehen nur dann so aus wie Ikonen, wenn man sie dazu macht. Dann sehen sie aus wie bin Laden, der Che Guevara der Islamisten. KriT: Auffallend in diesen Tagen ist die Bereitschaft von westlichen Politikern schwerste und auch nukleare Waffen gegen ein bereits zerstörtes Land einzusetzen, wissend, dass das Töten der Zivilbevölkerung unvermeidlich ist. Was sind das für Mechanismen in der Psyche von Politikern, die die Hemmschwelle so niedrig halten? Helfen uns Begriffe wie männliche Machtgier und Angst, Abwehr und mangelndes Verantwortungsgefühl beim Verstehen? Bernd Nitzschke: Die Psychologie regierender Politiker ist auch nicht einfacher zu erkunden als die der Attentäter. Man muss, um zu gültigen Aussagen zu gelangen, immer den konkreten Menschen kennen. Oder man zieht sich auf pauschale Feststellungen zurück - also etwa auf die, dass sich nicht nur manche Attentäter, sondern auch manche Politiker als verlängerter Arm Gottes wähnen: Allahu akhbar - God bless America. Die Denkstrukturen sind bei allen Fundamentalisten gleich, ob sie nun in christlichen, islamischen oder jüdischen Lagerburgen hausen. Stets vertreten sie religiös drapierte patriarchale Ideologien. Immer haben sie das Gefühl, von Feinden umzingelt zu sein. Und wenn sie keine Feinde haben, dann schaffen sie sich welche. Denn sie brauchen Feinde, um sich selbst zu erhöhen. Im übrigen warne ich vor einer zu umfassenden Psychologisierung" politischen Handelns. Töten im Auftrag des Herrn oder im Dienst höherer Werte war schon immer politisches Kalkül. Es hat deshalb zu allen Zeiten und jenseits aller persönlichen Motive "Kreuzzüge" oder "Heilige Kriege" gegeben. Überraschend in der derzeitigen Situation ist lediglich, wie rasch die intellektuellen Dämme gebrochen sind, wie widerstandslos der Aufruf zum allgemeinen Krieg in den "zivilisierten" Ländern akzeptiert worden ist. Vermutlich liegt es an der Parole "Krieg dem Terror". Das hört sich an, als gelte es das Böse zu besiegen. Und weil es sich so anhört - wäre mehr Kritik an dieser Parole zu erwarten gewesen. KriT: Was wären kluge politische Entscheidungen gegen Terrorismus. Bernd Nitzschke: Klug ist der Gebrauch der Vernunft. Nur damit kann sich der Mensch, kann sich die Menschheit aus selbst verschuldeter Unmündigkeit befreien. Das bedeutet die Beherrschung der Affekte, die Zähmung aller Rachegelüste, um sich Zeit für vernünftige Überlegungen nehmen zu können. Es sah ja nach dem 11. September auch so aus, als wollte man sich Zeit lassen, nachdenken, analysieren, Ursachen erforschen, Netzwerke aufdecken, um dann mit gezielten und effektiven Maßnahmen nach den Attentätern zu suchen und ihre Organisationen auszuschalten. Das war aber ein Trugschluss, wie sich herausstellen sollte. Die Zeit, die man sich nahm, brauchte man, um mit einer Reihe terroristischer Regime eine heilige Allianz "gegen den Terror" zu schmieden; und natürlich brauchte man auch einige Wochen Zeit, um den Aufmarsch gegen Afghanistan vorzubereiten. Dann aber schlug man blind und erbarmungslos zu wie am ersten Tag. Zur politischen Klugheit hätte es hingegen gehört, die Folgen des Handelns zu antizipieren und abzuwägen, in welchem Verhältnis die durchgeführten Aktionen zum angestrebten Ziel stehen. Wenn das Ziel "Rache" heißt, dann haben die Amerikaner zweckentsprechend klug gehandelt. Wenn das Ziel "Bekämpfung des Terrors" heißen sollte, dann haben sie eine der dümmsten politischen Entscheidungen seit "Versailles" getroffen. KriT: Horst-Eberhard Richter fordert in seinem Text "Solidarität?" eine "kritische Selbstbesinnung". Wie steht es damit in Deutschland? Bernd Nitzschke: Horst-Eberhard Richter hat unter der Aufforderung zur "kritischen Selbstbesinnung" die Suche nach einer Antwort auf die Frage verstanden, was wir mit dem Hass zu tun haben könnten, der uns in manchen islamischen, aber auch in anderen Staaten der Dritten Welt entgegenschlägt. Der französischsprachige Psychiater Frantz Fanon, selbst ein Farbiger", hat auf diese Frage schon vor Jahrzehnten eine einleuchtende Antwort gegeben. Sie ist in seinem klassischen Werk über "Die Verdammten dieser Erde" nachzulesen: "Die Gewalt, mit der sich die Überlegenheit der weißen Werte behauptet hat, die Aggressivität, die die siegreiche Konfrontation dieser Werte mit den Lebens- oder Denkweisen der Kolonisierten gezeichnet hat, führt durch eine legitime Umkehr der Dinge dazu, dass der Kolonisierte grinst, wenn man diese Werte vor ihm heraufbeschwört." Wir haben im Namen unserer Werte über Jahrhunderte hinweg, bis heute, fremde Kontinente geplündert, fremde Kulturen vernichtet, fremde Menschen heimatlos gemacht. Und jetzt kommen diese Fremden zu uns zurück - zum Beispiel als Flüchtlinge. Und nun klagen wir sie an, sie plünderten unseren Sozialstaat aus. Also machen wir die Schotten dicht. Doch so dicht können wir unsere Flughäfen, unsere Bahnhöfe, unsere Häuser gar nicht machen, um die Angst draußen zu halten. Einige Teppichmesser reichen aus - und schon schwitzt "unsere" Zivilisation die Angst aus, die wir in andere Länder exportiert haben. KriT: Ihre Kollegen, Psychoanalytiker und Psychologen, wie diskutieren sie über den WTC-Anschlag? An welchen zentralen Fragen scheiden sich die Geister und worüber sind sie sich einig? Bernd Nitzschke: Es gibt Kontroversen, ja sehr gegensätzliche Annahmen. So meinen etwa die einen, Attentäter seien gewissenlose Täter; während andere annehmen, Fanatikern hätten ein besonders rigides Gewissen. Ein Schwerpunkt der Übereinstimmung besteht demgegenüber hinsichtlich der Verknüpfung traumatischer Erfahrungen mit dem Versuch, das Trauma durch Revanche ungeschehen machen zu wollen. Diese Art vermeintlicher Wiedergutmachung scheitert immer. Sie führt zu neuen Taten, die neue Untaten nach sich ziehen. Therapie, wenn man sie denn kollektiv verordnen könnte, bestünde hingegen in Trauerarbeit, die zur Einsicht führen müsste, dass das Prinzip Auge um Auge, Zahn um Zahn, das die Menschheitsgeschichte beherrscht, nie zur Heilung, immer nur zu Unheil führen kann. Politische Therapie hätte also zum Ziel, die Wunden anzuerkennen, die wir dem anderen geschlagen haben. Und wenn der andere dieselbe Einsicht gewinnt, dann hat er die Wunden anerkannt, die er uns geschlagen hat. Dann müsste die Anerkennung des eigenen Leidens durch den jeweils andere nicht mehr herbeigebombt werden. So gesehen hätte politische Therapie dasselbe Ziel wie die Rache; sie würde nur versuchen, dieses Ziel mit anderen Mitteln zu erreichen. Das gemeinsam Ziel aber wäre, dass sich jeder um die Verhinderung des Leidens bemüht, das er selbst herbeigeführt hat oder herbeiführen will; dass also jeder die Verantwortung für seine eigenen Taten übernimmt. Sagen Sie das aber mal einem Politiker. Er wird Sie bestenfalls als Träumer oder Spinner abtun - und schlimmstenfalls wird er in Ihnen einen Komplizen des Bösen-Anderen sehen. KriT: Wie helfen wir uns selbst mit unserer Angst vor weiteren Anschlägen und der Ohnmacht und Empörung gegenüber der militärischen Zerstörungsmaschinerie der USA? Bernd Nitzschke: Wir müssen die bekannten Denkmuster überwinden, denen zufolge die Welt in Weiß und Schwarz, Gut und Böse einzuteilen ist. Das heißt: Wenn wir an der Überschreitung paranoider Denkmuster interessiert sind, dürfen wir niemanden dämonisieren. Das gilt in Bezug auf die islamische Welt; und das gilt in Bezug auf die USA. Kompakte Mehrheiten existieren hier wie dort nicht per se. Sie werden hier wie dort erst einmal herbeigeschrieben, herbeigepredigt, herbeigebombt. Dem müssen wir widersprechen. Also müssen wir allen widersprechen, die paranoide Denkmuster propagieren und damit entsprechende Aktionen legitimieren, auch wenn sie behaupten, sie kämpften für die Befreiung oder sie dienten damit der Verteidigung der Freiheit. KriT: Vielen Dank für das Interview Interview von Ralph Segert (Krit-Journal). 1 Zuerst erschienen am 17.10.2001 im Online-Magazin "Krit-Journal" für politisches Engagement und humanitäre Hilfe (http://krit.de).
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