Gerd
Rudolf, Peter Henningsen (Hrsg.): Psychotherapeutische Medizin und
Psychosomatik. Ein einführendes Lehrbuch auf psychodynamischer Grundlage.
6., neu bearbeitete Auflage. Thieme Verlag, Stuttgart 2007. 442 Seiten,
39,95 € Gerd Rudolf gibt seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten ein Lehrbuch heraus, das ursprünglich als Reaktion auf die Einführung eines neuen medizinischen Fachgebiets entstanden ist. Damals, 1993, hieß dieses Gebiet „Psychotherapeutische Medizin“; seit 2003 heißt es „Psychosomatische Medizin und Psychotherapie“. Der Buchtitel macht diese Umkehrung nicht mit; vielmehr hält er an der historischen Reihenfolge fest: „Psychotherapeutische Medizin und Psychosomatik“. Dafür sind nicht etwa nostalgische Gründe verantwortlich, vielmehr entspricht diese Reihung der Überzeugung des Herausgebers, der das Unbewußte in Freudscher Tradition als Bindeglied zwischen Psyche und Soma auffaßt und mit den Ergebnissen moderner empirischer Forschung verknüpft. Rudolf folgt dabei in den von ihm verfaßten Kapiteln des Lehrbuchs, die etwa zwei Drittel der Beiträge umfassen, weitgehend der theoretischen Konzeption, die der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) zugrunde liegt, an deren Ausarbeitung er selbst wesentlich beteiligt war. Das Ineinandergreifen von Entwicklung(spathologie) und Konflikt(pathologie) wird so in allgemeiner Form verständlich und in ausgewählten Fällen psychischer Erkrankung noch einmal gesondert erläutert. Strukturelle Vulnerabilität und die Ausbildung phasenspezifischer Grundkonflikte können dabei als miteinander verschränkt erkannt und unter Rückgriff auf entwicklungspsychologische Forschungsergebnisse einmal anders als bisher (mit Hilfe tradierter psychoanalytischer Konstruktionen) verstanden werden. Das ist überhaupt der Vorzug dieses Lehrbuchs: daß es einen Weg zwischen der Szylla dogmatischer Behauptung und der Charybdis eklektizistischer Beliebigkeit eröffnet, auf dem der Leser zum befreiten Nachdenken kommt. Die soeben erschienene 6. Auflage des Lehrbuchs berücksichtigt dabei wiederum neueste Literatur, – und zwar nicht nur zur Hauptthematik psychischer Erkrankung und Therapie, sondern auch zu deren Voraussetzungen und Grundlagen wie etwa Philosophie, Psychophysiologie, Motivation oder Emotion. Der neu hinzugekommene Mitherausgeber des Lehrbuchs, Peter Henningsen, Psychoanalytiker wie Gerd Rudolf, unterstreicht dabei als Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Technischen Universität München noch einmal das Gewicht, das der „Psychosomatik in unterschiedlichen Feldern der Medizin“ (3. Hauptkapitel) zukommt. Kenntnisse auf diesem Gebiet sind nun aber nicht nur für ärztliche, sondern auch für psychologische Psychotherapeuten unerläßlich. Das gilt schon deshalb, weil immer mehr Patienten seelisches Leid im oder durch ihren Körper ausdrücken. Und da die Beiträge über psychosomatische Aspekte der Neurologie (Peter Henningsen), Kardiologie (Christoph Herrmann-Lingen), Gynäkologie (Mechthild Neises), Onkologie (Monika Keller), Funktionelle Sexualstörungen (Ulrich Clement) und Schmerz (Marcus Schiltenwolf) in voraussetzungsloser Sprache vorgetragen werden, sind sie auch für medizinische Laien verständlich. Ebenso präzis wird die Literatur über allgemeine (Rudolf) und besondere (Henningsen) Aspekte somatoformer Störungen referiert. Alles in allem handelt es sich um ein Lehrbuch, das jeder, der mit psychisch Kranken und mit Psychotherapie befaßt ist, erst einmal mit Gewinn lesen wird und dann – im konkreten Fall – als Nachschlagewerk nutzen kann. Bernd
Nitzschke, Düsseldorf
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